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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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zugestoßen, und dann guckte ich durch die Tür. Er merkte es nicht. Und da lag
er auf den Knien und streichelte Mutters Kopfkissen --

Und seither bist du nicht wieder bange gewesen, wie?

Nein, seither bin ich nicht bange gewesen -- Und nun wird mir nie im Leben
wieder bange sein! Bei dir!

Berry!

Sie saßen beieinander -- lautlos.

Da richteten sie sich beide auf und lauschten. Es klang so laut und deutlich
aus dem Nebenzimmer zu ihnen herein: Ja ja, in einem Portal von schimmerndem
G



Als Svend Bugge am nächsten Morgen im Begriff war, zur Schule zu gehn,
kam Oberlehrer Heath Mädchen mit dem Bescheid, daß der Oberlehrer über Nacht
gestorben sei.

Sie hatten ihn im Bett gefunden, ruhig und friedlich -- als schlafe er.




Von dem hohen Kirchturm herab läuteten die Glocken. Der Klang zitterte
lange nach in der frostklaren Luft.

schimmernd weiß lag das Land da mit seinen Bergen, so festtägig still in
dem Schneegewand. Der Sund flutete dunkelblau, und auf den Hügeln stand der
Birkenwald und glitzerte von Reif.

Den Friedhofsweg hinan bewegte sich der lange, schwarze Leichenzug. Die
Letzten waren noch nicht aus dem Schulportal heraus. An der Spitze, hoch oben
auf dem Hügel, schritt die Prima als Wache und Garde der florumwundnen
Schulfahne.

Dann folgte der schwarze Wagen mit dem unter Blumen begrabnen Sarge
des Oberlehrers.

Und der Glockenklang zitterte lange nach in der sonnigen Frostlnft.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Die Reichstagsdebatten über das Kaiserinterview. Die Franzosen und das
Grubenunglück in Westfalen.)

Heute ist es unmöglich, mit etwas anderm zu beginnen, als mit einem Rück¬
blick auf die Reichstagsdebatten über das unglückselige Kaiserinterview des Duile,
Telegraph, dessen authentischer englischer Text übrigens in Deutschland immer noch
nicht in weitern Kreisen bekannt geworden ist. Auf die einzelnen Reden hier ein-
zugehn, ersparen wir uns gern; sie sind durch alle Tagesblätter gelaufen und von
allen Seiten beleuchtet worden. Aber eins verdient hervorgehoben zu werden, weil
es etwas höchst seltnes ist. Der Reichstag war einmal vom äußersten rechten bis
zum äußersten linken Flügel einig in seinem Urteil, einig wie das deutsche Volk,
das er vertritt, und wie die deutsche Presse. Leider war dieses Urteil zunächst
rein negativ, war eine scharfe, zu schonungslose Kritik am Oberhaupte der Nation,
eine Kritik" wie sie niemals ein modernes Parlament an seinein Monarchen geübt
hat. Das war des Reichstags gutes Recht; zu bedauern bleibt aber doch, daß


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zugestoßen, und dann guckte ich durch die Tür. Er merkte es nicht. Und da lag
er auf den Knien und streichelte Mutters Kopfkissen —

Und seither bist du nicht wieder bange gewesen, wie?

Nein, seither bin ich nicht bange gewesen — Und nun wird mir nie im Leben
wieder bange sein! Bei dir!

Berry!

Sie saßen beieinander — lautlos.

Da richteten sie sich beide auf und lauschten. Es klang so laut und deutlich
aus dem Nebenzimmer zu ihnen herein: Ja ja, in einem Portal von schimmerndem
G



Als Svend Bugge am nächsten Morgen im Begriff war, zur Schule zu gehn,
kam Oberlehrer Heath Mädchen mit dem Bescheid, daß der Oberlehrer über Nacht
gestorben sei.

Sie hatten ihn im Bett gefunden, ruhig und friedlich — als schlafe er.




Von dem hohen Kirchturm herab läuteten die Glocken. Der Klang zitterte
lange nach in der frostklaren Luft.

schimmernd weiß lag das Land da mit seinen Bergen, so festtägig still in
dem Schneegewand. Der Sund flutete dunkelblau, und auf den Hügeln stand der
Birkenwald und glitzerte von Reif.

Den Friedhofsweg hinan bewegte sich der lange, schwarze Leichenzug. Die
Letzten waren noch nicht aus dem Schulportal heraus. An der Spitze, hoch oben
auf dem Hügel, schritt die Prima als Wache und Garde der florumwundnen
Schulfahne.

Dann folgte der schwarze Wagen mit dem unter Blumen begrabnen Sarge
des Oberlehrers.

Und der Glockenklang zitterte lange nach in der sonnigen Frostlnft.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Die Reichstagsdebatten über das Kaiserinterview. Die Franzosen und das
Grubenunglück in Westfalen.)

Heute ist es unmöglich, mit etwas anderm zu beginnen, als mit einem Rück¬
blick auf die Reichstagsdebatten über das unglückselige Kaiserinterview des Duile,
Telegraph, dessen authentischer englischer Text übrigens in Deutschland immer noch
nicht in weitern Kreisen bekannt geworden ist. Auf die einzelnen Reden hier ein-
zugehn, ersparen wir uns gern; sie sind durch alle Tagesblätter gelaufen und von
allen Seiten beleuchtet worden. Aber eins verdient hervorgehoben zu werden, weil
es etwas höchst seltnes ist. Der Reichstag war einmal vom äußersten rechten bis
zum äußersten linken Flügel einig in seinem Urteil, einig wie das deutsche Volk,
das er vertritt, und wie die deutsche Presse. Leider war dieses Urteil zunächst
rein negativ, war eine scharfe, zu schonungslose Kritik am Oberhaupte der Nation,
eine Kritik» wie sie niemals ein modernes Parlament an seinein Monarchen geübt
hat. Das war des Reichstags gutes Recht; zu bedauern bleibt aber doch, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/410>, abgerufen am 04.05.2024.