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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Verfügung des Kurfürsten beunruhigt worden ist, die ihn sehr tief Hütte er¬
schüttern sollen. Im Jahre 1651 war er ordiniert und hierbei auf die Kon-
kordienformel verpflichtet worden, 1656 hob der Kurfürst die Verpflichtung der
Ordinanden auf die Konkordienformel auf und beschränkte damit für die Zukunft
den streng lutherischen Charakter der Mark. Das bewog aber Gerhardt keines¬
wegs, sich nach einer Pfarrei außerhalb der Mark umzusehen, vielmehr folgte
er ein Jahr darauf, 1657, dem Ruf, die Propstei in Mittenwalde mit dem
Diakonat an der Nikolaikirche in Berlin zu vertauschen. Noch mehr! Auch die
Tatsache, daß das Konsistorium, das gegen die Aufhebung der Verpflichtung
auf die Konkordienformel Einspruch erhob, abgewiesen wurde, scheint keinen
tiefen Eindruck ans Gerhardt gemacht zu haben. Auch dadurch wurde seine
Amtsfreudigkeit nicht beeinträchtigt, daß der Präsident des Konsistoriums seines
Amts enthoben und einige Jahre später durch einen reformierten Präsidenten
ersetzt wurde. Nicht einmal daran scheint er Anstoß genommen zu haben, daß
seit 1658 von den Ordinanden im Sinne des Edikts Johann Sigismunds ge¬
fordert wurde, sich des Scheidens und Lästerns der Lutheraner gegen die Re¬
formierten und umgekehrt auf der Kanzel zu enthalten.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
vierte Reihe
von der Natur und der Heugabel 1

rein Professor Spitzbart war unglücklich. Seit dem Tode ihres süßen
Annchens war sie immer unglücklich, Sie sagte nichts, sie klagte nicht,
sie seufzte nur und war unglücklich. Der Herr Professor war ein
gelehrter Mann, im Nebenberufe Philolog, im Hauptberufe wissen¬
schaftlicher Pädagog. Ihr meint, ich hätte Haupt- und Nebenberuf
in umgekehrter Weise angeben sollen. Es war aber doch so, wie ich
sagte. Denn dem Herrn Professor standen in erster Linie die Methode und erst in
zweiter Linie die unregelmäßigen Verden. Nach fünf Jahren merkte der Herr
Professor, daß seine Frau unglücklich sei. Er unterzog diese Beobachtung einer
Psychologischen Analyse und ließ, da er ein guter Mensch im allgemeinen und ein
guter Ehemann im besondern war, von Mey und Etlich einen Granatschmuck für
hundertundzwanzig Mark kommen. Frau Professor nahm diesen Schmuck gerührt
entgegen, seufzte, legte ihn beiseite und fuhr fort, unglücklich zu sein.

Nach Verlauf von weitern zwei Jahren entschloß sich der Herr Professor mit
seiner lieben Frau zu deren Zerstreuung Reisen zu machen und Bäder zu besuchen.
Das bedeutete für ihn ein großes Opfer. Denn er befand sich nirgend wohler als
ein seinem Schreibtische oder in seinem pädagogischen Seminar, in dem er den
Herren Lehramtskandidaten, die den Unterricht an dem Gymnasium verschönten, die
Feinheiten der fünf formalen Stufen auseinandersetzte. Er verbrachte also unterwegs


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Verfügung des Kurfürsten beunruhigt worden ist, die ihn sehr tief Hütte er¬
schüttern sollen. Im Jahre 1651 war er ordiniert und hierbei auf die Kon-
kordienformel verpflichtet worden, 1656 hob der Kurfürst die Verpflichtung der
Ordinanden auf die Konkordienformel auf und beschränkte damit für die Zukunft
den streng lutherischen Charakter der Mark. Das bewog aber Gerhardt keines¬
wegs, sich nach einer Pfarrei außerhalb der Mark umzusehen, vielmehr folgte
er ein Jahr darauf, 1657, dem Ruf, die Propstei in Mittenwalde mit dem
Diakonat an der Nikolaikirche in Berlin zu vertauschen. Noch mehr! Auch die
Tatsache, daß das Konsistorium, das gegen die Aufhebung der Verpflichtung
auf die Konkordienformel Einspruch erhob, abgewiesen wurde, scheint keinen
tiefen Eindruck ans Gerhardt gemacht zu haben. Auch dadurch wurde seine
Amtsfreudigkeit nicht beeinträchtigt, daß der Präsident des Konsistoriums seines
Amts enthoben und einige Jahre später durch einen reformierten Präsidenten
ersetzt wurde. Nicht einmal daran scheint er Anstoß genommen zu haben, daß
seit 1658 von den Ordinanden im Sinne des Edikts Johann Sigismunds ge¬
fordert wurde, sich des Scheidens und Lästerns der Lutheraner gegen die Re¬
formierten und umgekehrt auf der Kanzel zu enthalten.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
vierte Reihe
von der Natur und der Heugabel 1

rein Professor Spitzbart war unglücklich. Seit dem Tode ihres süßen
Annchens war sie immer unglücklich, Sie sagte nichts, sie klagte nicht,
sie seufzte nur und war unglücklich. Der Herr Professor war ein
gelehrter Mann, im Nebenberufe Philolog, im Hauptberufe wissen¬
schaftlicher Pädagog. Ihr meint, ich hätte Haupt- und Nebenberuf
in umgekehrter Weise angeben sollen. Es war aber doch so, wie ich
sagte. Denn dem Herrn Professor standen in erster Linie die Methode und erst in
zweiter Linie die unregelmäßigen Verden. Nach fünf Jahren merkte der Herr
Professor, daß seine Frau unglücklich sei. Er unterzog diese Beobachtung einer
Psychologischen Analyse und ließ, da er ein guter Mensch im allgemeinen und ein
guter Ehemann im besondern war, von Mey und Etlich einen Granatschmuck für
hundertundzwanzig Mark kommen. Frau Professor nahm diesen Schmuck gerührt
entgegen, seufzte, legte ihn beiseite und fuhr fort, unglücklich zu sein.

Nach Verlauf von weitern zwei Jahren entschloß sich der Herr Professor mit
seiner lieben Frau zu deren Zerstreuung Reisen zu machen und Bäder zu besuchen.
Das bedeutete für ihn ein großes Opfer. Denn er befand sich nirgend wohler als
ein seinem Schreibtische oder in seinem pädagogischen Seminar, in dem er den
Herren Lehramtskandidaten, die den Unterricht an dem Gymnasium verschönten, die
Feinheiten der fünf formalen Stufen auseinandersetzte. Er verbrachte also unterwegs


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[0201] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Verfügung des Kurfürsten beunruhigt worden ist, die ihn sehr tief Hütte er¬ schüttern sollen. Im Jahre 1651 war er ordiniert und hierbei auf die Kon- kordienformel verpflichtet worden, 1656 hob der Kurfürst die Verpflichtung der Ordinanden auf die Konkordienformel auf und beschränkte damit für die Zukunft den streng lutherischen Charakter der Mark. Das bewog aber Gerhardt keines¬ wegs, sich nach einer Pfarrei außerhalb der Mark umzusehen, vielmehr folgte er ein Jahr darauf, 1657, dem Ruf, die Propstei in Mittenwalde mit dem Diakonat an der Nikolaikirche in Berlin zu vertauschen. Noch mehr! Auch die Tatsache, daß das Konsistorium, das gegen die Aufhebung der Verpflichtung auf die Konkordienformel Einspruch erhob, abgewiesen wurde, scheint keinen tiefen Eindruck ans Gerhardt gemacht zu haben. Auch dadurch wurde seine Amtsfreudigkeit nicht beeinträchtigt, daß der Präsident des Konsistoriums seines Amts enthoben und einige Jahre später durch einen reformierten Präsidenten ersetzt wurde. Nicht einmal daran scheint er Anstoß genommen zu haben, daß seit 1658 von den Ordinanden im Sinne des Edikts Johann Sigismunds ge¬ fordert wurde, sich des Scheidens und Lästerns der Lutheraner gegen die Re¬ formierten und umgekehrt auf der Kanzel zu enthalten. Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von vierte Reihe von der Natur und der Heugabel 1 rein Professor Spitzbart war unglücklich. Seit dem Tode ihres süßen Annchens war sie immer unglücklich, Sie sagte nichts, sie klagte nicht, sie seufzte nur und war unglücklich. Der Herr Professor war ein gelehrter Mann, im Nebenberufe Philolog, im Hauptberufe wissen¬ schaftlicher Pädagog. Ihr meint, ich hätte Haupt- und Nebenberuf in umgekehrter Weise angeben sollen. Es war aber doch so, wie ich sagte. Denn dem Herrn Professor standen in erster Linie die Methode und erst in zweiter Linie die unregelmäßigen Verden. Nach fünf Jahren merkte der Herr Professor, daß seine Frau unglücklich sei. Er unterzog diese Beobachtung einer Psychologischen Analyse und ließ, da er ein guter Mensch im allgemeinen und ein guter Ehemann im besondern war, von Mey und Etlich einen Granatschmuck für hundertundzwanzig Mark kommen. Frau Professor nahm diesen Schmuck gerührt entgegen, seufzte, legte ihn beiseite und fuhr fort, unglücklich zu sein. Nach Verlauf von weitern zwei Jahren entschloß sich der Herr Professor mit seiner lieben Frau zu deren Zerstreuung Reisen zu machen und Bäder zu besuchen. Das bedeutete für ihn ein großes Opfer. Denn er befand sich nirgend wohler als ein seinem Schreibtische oder in seinem pädagogischen Seminar, in dem er den Herren Lehramtskandidaten, die den Unterricht an dem Gymnasium verschönten, die Feinheiten der fünf formalen Stufen auseinandersetzte. Er verbrachte also unterwegs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/201>, abgerufen am 01.05.2024.