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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Paul Gerhardt und der Große Kurfürst

bei den Erwartungen von Würde und Majestät, die der Name Karls des
Großen erweckt, gefährlich; indem er das Mädchen in die Dirneugasse und
die Schenke am Flusse führt, macht er jeder tragischen Sympathie mit Karl
rettungslos den Garaus. Er sucht zwar deu Kaiser dadurch zu heben, daß
er ihm eine väterliche, seelsorgerische Milde und Nachsicht gegen die junge
Sünderin leiht; aber vergeblich. Im wesentlichen sieht man doch mit Altum
einen bedauernswerten Greis, dessen Sinne nach einer Buhldirne betteln und
winseln.




Paul Gerhardt und der Große Kurfürst
Hermann Jacoliy, von Geh. Uircheurat in Königsberg i. pr.
2

me Änderung in der kirchlichen Lage Deutschlands, insoweit die
Beziehung zwischen Reformierten und Lutheranern in Betracht
kam, und die wir als die Einleitung zu dem tragischen Konflikt
betrachten dürfen, dessen Opfer Gerhardt wurde, trat erst im
Jahre 1661 ein.

Der hessische Landgraf Wilhelm veranstaltete erst in diesem
Jahre zu Kassel ein Religionsgespräch zwischen Vertretern der reformierten
Marburger und der lutherischen Nintelnschen theologischen Fakultät, das die er¬
freulichsten Ergebnisse hatte. Beide Teile kamen sich sehr nahe. Und diese Männer
vereinigten sich in dem Beschluß, den Landgrafen zu bitten, "daß er dieses göttliche,
von ihnen angefangne Werk des geistlichen Kirchenfriedens" befördern möge, damit
die benachbarten Universitäten und Kirchen, vor allem aber die brandenburgischen
und braunschweigischen, diesem Friedensbunde beitraten.") In demselben Unions¬
interesse wurde 1662 vom Kurfürsten den Studierenden der Theologie und
Philosophie der Besuch der Universität Wittenberg verboten, wer dort studierte,
wurde zurückgerufen. Solche Verbote waren damals nichts Unerhörtes. Kur¬
sachsen hatte seinerzeit den Besuch von Helmstedt, als Calixt dort lehrte, ver¬
boten? und 1660 hatte sich die Leipziger Universität für die Ausweisung der
Kalvinisten erklärt. Das Verbot des Besuchs der Wittenberger Universität war
darin begründet, daß sie nicht bloß der Vorkämpfer der lutherischen Orthodoxie
war, sondern zugleich der Trüger der heftigsten, maßlosesten Polemik gegen die
Reformierten. Als Reformierter sah sich der Kurfürst von den Wittenberger
Theologen verletzt. Er mußte befürchten, daß die in Wittenberg studierenden
Untertanen zu einer ihm feindseligen Gesinnung verführt würden.' Das Verbot
war also wesentlich eine politische Maßnahme. Von diesen Vorgängen war es
nur einer, der Gerhardt beunruhigte, das Kasseler Religionsgespräch. Wir er¬
kennen dies aus einem Gutachten, das er in bezug auf die Frage abgab, ob




Anmerkung der Redaktion! Zu Anfang des ersten Teiles dieses Artikels (Heft 17) muß
es natürlich anstatt "am 12. März d. I." "am 12. März v. I." heißen.
Vgl. Hering, Geschichte der kirchlichen Unionsversuche. Bd. 2. Leipzig, 1838. S. 134.
Paul Gerhardt und der Große Kurfürst

bei den Erwartungen von Würde und Majestät, die der Name Karls des
Großen erweckt, gefährlich; indem er das Mädchen in die Dirneugasse und
die Schenke am Flusse führt, macht er jeder tragischen Sympathie mit Karl
rettungslos den Garaus. Er sucht zwar deu Kaiser dadurch zu heben, daß
er ihm eine väterliche, seelsorgerische Milde und Nachsicht gegen die junge
Sünderin leiht; aber vergeblich. Im wesentlichen sieht man doch mit Altum
einen bedauernswerten Greis, dessen Sinne nach einer Buhldirne betteln und
winseln.




Paul Gerhardt und der Große Kurfürst
Hermann Jacoliy, von Geh. Uircheurat in Königsberg i. pr.
2

me Änderung in der kirchlichen Lage Deutschlands, insoweit die
Beziehung zwischen Reformierten und Lutheranern in Betracht
kam, und die wir als die Einleitung zu dem tragischen Konflikt
betrachten dürfen, dessen Opfer Gerhardt wurde, trat erst im
Jahre 1661 ein.

Der hessische Landgraf Wilhelm veranstaltete erst in diesem
Jahre zu Kassel ein Religionsgespräch zwischen Vertretern der reformierten
Marburger und der lutherischen Nintelnschen theologischen Fakultät, das die er¬
freulichsten Ergebnisse hatte. Beide Teile kamen sich sehr nahe. Und diese Männer
vereinigten sich in dem Beschluß, den Landgrafen zu bitten, „daß er dieses göttliche,
von ihnen angefangne Werk des geistlichen Kirchenfriedens" befördern möge, damit
die benachbarten Universitäten und Kirchen, vor allem aber die brandenburgischen
und braunschweigischen, diesem Friedensbunde beitraten.") In demselben Unions¬
interesse wurde 1662 vom Kurfürsten den Studierenden der Theologie und
Philosophie der Besuch der Universität Wittenberg verboten, wer dort studierte,
wurde zurückgerufen. Solche Verbote waren damals nichts Unerhörtes. Kur¬
sachsen hatte seinerzeit den Besuch von Helmstedt, als Calixt dort lehrte, ver¬
boten? und 1660 hatte sich die Leipziger Universität für die Ausweisung der
Kalvinisten erklärt. Das Verbot des Besuchs der Wittenberger Universität war
darin begründet, daß sie nicht bloß der Vorkämpfer der lutherischen Orthodoxie
war, sondern zugleich der Trüger der heftigsten, maßlosesten Polemik gegen die
Reformierten. Als Reformierter sah sich der Kurfürst von den Wittenberger
Theologen verletzt. Er mußte befürchten, daß die in Wittenberg studierenden
Untertanen zu einer ihm feindseligen Gesinnung verführt würden.' Das Verbot
war also wesentlich eine politische Maßnahme. Von diesen Vorgängen war es
nur einer, der Gerhardt beunruhigte, das Kasseler Religionsgespräch. Wir er¬
kennen dies aus einem Gutachten, das er in bezug auf die Frage abgab, ob




Anmerkung der Redaktion! Zu Anfang des ersten Teiles dieses Artikels (Heft 17) muß
es natürlich anstatt „am 12. März d. I." „am 12. März v. I." heißen.
Vgl. Hering, Geschichte der kirchlichen Unionsversuche. Bd. 2. Leipzig, 1838. S. 134.
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[0288] Paul Gerhardt und der Große Kurfürst bei den Erwartungen von Würde und Majestät, die der Name Karls des Großen erweckt, gefährlich; indem er das Mädchen in die Dirneugasse und die Schenke am Flusse führt, macht er jeder tragischen Sympathie mit Karl rettungslos den Garaus. Er sucht zwar deu Kaiser dadurch zu heben, daß er ihm eine väterliche, seelsorgerische Milde und Nachsicht gegen die junge Sünderin leiht; aber vergeblich. Im wesentlichen sieht man doch mit Altum einen bedauernswerten Greis, dessen Sinne nach einer Buhldirne betteln und winseln. Paul Gerhardt und der Große Kurfürst Hermann Jacoliy, von Geh. Uircheurat in Königsberg i. pr. 2 me Änderung in der kirchlichen Lage Deutschlands, insoweit die Beziehung zwischen Reformierten und Lutheranern in Betracht kam, und die wir als die Einleitung zu dem tragischen Konflikt betrachten dürfen, dessen Opfer Gerhardt wurde, trat erst im Jahre 1661 ein. Der hessische Landgraf Wilhelm veranstaltete erst in diesem Jahre zu Kassel ein Religionsgespräch zwischen Vertretern der reformierten Marburger und der lutherischen Nintelnschen theologischen Fakultät, das die er¬ freulichsten Ergebnisse hatte. Beide Teile kamen sich sehr nahe. Und diese Männer vereinigten sich in dem Beschluß, den Landgrafen zu bitten, „daß er dieses göttliche, von ihnen angefangne Werk des geistlichen Kirchenfriedens" befördern möge, damit die benachbarten Universitäten und Kirchen, vor allem aber die brandenburgischen und braunschweigischen, diesem Friedensbunde beitraten.") In demselben Unions¬ interesse wurde 1662 vom Kurfürsten den Studierenden der Theologie und Philosophie der Besuch der Universität Wittenberg verboten, wer dort studierte, wurde zurückgerufen. Solche Verbote waren damals nichts Unerhörtes. Kur¬ sachsen hatte seinerzeit den Besuch von Helmstedt, als Calixt dort lehrte, ver¬ boten? und 1660 hatte sich die Leipziger Universität für die Ausweisung der Kalvinisten erklärt. Das Verbot des Besuchs der Wittenberger Universität war darin begründet, daß sie nicht bloß der Vorkämpfer der lutherischen Orthodoxie war, sondern zugleich der Trüger der heftigsten, maßlosesten Polemik gegen die Reformierten. Als Reformierter sah sich der Kurfürst von den Wittenberger Theologen verletzt. Er mußte befürchten, daß die in Wittenberg studierenden Untertanen zu einer ihm feindseligen Gesinnung verführt würden.' Das Verbot war also wesentlich eine politische Maßnahme. Von diesen Vorgängen war es nur einer, der Gerhardt beunruhigte, das Kasseler Religionsgespräch. Wir er¬ kennen dies aus einem Gutachten, das er in bezug auf die Frage abgab, ob Anmerkung der Redaktion! Zu Anfang des ersten Teiles dieses Artikels (Heft 17) muß es natürlich anstatt „am 12. März d. I." „am 12. März v. I." heißen. Vgl. Hering, Geschichte der kirchlichen Unionsversuche. Bd. 2. Leipzig, 1838. S. 134.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/288>, abgerufen am 01.05.2024.