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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Modell der Schmerzen

Herodot über den Kanalbau für eitle griechische Prahlerei erklärt. Dem sowie
der ablehnenden Haltung Niebuhrs gegenüber hat jetzt Struck sicher nach¬
gewiesen, daß der Kanal nicht nur gebaut, sondern auch durchfahren worden
sein muß, und daß die Ergebnisse seiner Nachforschungen bestätigen, wie treu
"Herodot das ihm Überlieferte aufgezeichnet und uns erhalten hat".

So wird uns. wie aus dieser gedrängten Zusammenfassung hervorgehn
wird, ein landschaftlich, kulturhistorisch und archäologisch reizvolles Stück
griechischen Landes dem Naturfreunde wie dem Forscher hier neu erschlossen,
und man kann nnr lebhaft wünschen, daß auch der Reiseverkehr an diesem
auch mit einem gesunden Klima gesegneten Ländchen nicht länger mehr vorbei¬
gehn möge. Von Salonik aus ist ja wenigstens der westliche, kultivierteste
Teil der Chalkidike leicht zu erreichen, und hier findet man sogar schon zwei
aufblühende Kur- und Badeorte (Sedes und Galätista), die untrüglichsten Vor¬
boten und stärksten Vorposten moderner Kultur, die vielleicht auch einmal den
ehrwürdigen Athos aus einem Sitz mittelalterlicher Askese zu einer Stätte
modernen Naturheilverfahrens machen werden.




Das Modell der Schmerzen
Israel Jangwill von
Lrstes Kapitel
wie ich das Modell gefunden habe

es möchte nicht behaupten, daß es irgend etwas mit meiner religiösen
Anschauung zu tun gehabt hätte, daß ich mir die Aufgabe stellte, den
Mann der Schmerzen zu malen, aber ich fürchte beinahe, daß mein
guter alter Papa in dem Pfarrhause diesen Entschluß für ein Zeichen
des Gnadendurchbruchs gehalten hat. Ich habe als Künstler immer
nur ungern eine Linie zwischen dem Geistlichen und dem Schönen
gezogen, da ich immer der Ansicht gewesen bin, daß die Schönheit dasselbe unbe¬
grenzte Element umfaßt, das das Wesen jeder Religion ausmacht. Es wird mir
übrigens nicht leicht, mich durch Worte auszudrücken, da der Pinsel bisher das
einzige Ausdrucksmittel war, dessen ich mich bedient habe. Wenn ich trotzdem in
diesem besondern Falle zu der Feder greife, um durch Worte zu erläutern, was
mir vielleicht nicht gelungen ist, durch meinen Pinsel auszudrücken, so geschieht dies,
weil die Kritik, die mein Bild "Der Mann der Schmerzen" so schwer angegriffen
hat, mich dazu reizt, eine Erklärung zu versuchen. Nehmen wir an, daß mein Bild
nur halb ausspricht, was ich sagen wollte. Vielleicht gelingt es meiner Feder, die
andre Hälfte zu sagen, besonders da diese aus Dingen besteht, die ich teils selbst
gesehen, teils mir habe erzählen lassen.

Zuerst möchte ich erklären, daß das Bild, das jetzt in seinem goldnen Rahmen
dahängt, weit verschieden von meiner ersten Auffassung ist, daß es sich nnr langsam


Grenzboten II 1908 43
Das Modell der Schmerzen

Herodot über den Kanalbau für eitle griechische Prahlerei erklärt. Dem sowie
der ablehnenden Haltung Niebuhrs gegenüber hat jetzt Struck sicher nach¬
gewiesen, daß der Kanal nicht nur gebaut, sondern auch durchfahren worden
sein muß, und daß die Ergebnisse seiner Nachforschungen bestätigen, wie treu
„Herodot das ihm Überlieferte aufgezeichnet und uns erhalten hat".

So wird uns. wie aus dieser gedrängten Zusammenfassung hervorgehn
wird, ein landschaftlich, kulturhistorisch und archäologisch reizvolles Stück
griechischen Landes dem Naturfreunde wie dem Forscher hier neu erschlossen,
und man kann nnr lebhaft wünschen, daß auch der Reiseverkehr an diesem
auch mit einem gesunden Klima gesegneten Ländchen nicht länger mehr vorbei¬
gehn möge. Von Salonik aus ist ja wenigstens der westliche, kultivierteste
Teil der Chalkidike leicht zu erreichen, und hier findet man sogar schon zwei
aufblühende Kur- und Badeorte (Sedes und Galätista), die untrüglichsten Vor¬
boten und stärksten Vorposten moderner Kultur, die vielleicht auch einmal den
ehrwürdigen Athos aus einem Sitz mittelalterlicher Askese zu einer Stätte
modernen Naturheilverfahrens machen werden.




Das Modell der Schmerzen
Israel Jangwill von
Lrstes Kapitel
wie ich das Modell gefunden habe

es möchte nicht behaupten, daß es irgend etwas mit meiner religiösen
Anschauung zu tun gehabt hätte, daß ich mir die Aufgabe stellte, den
Mann der Schmerzen zu malen, aber ich fürchte beinahe, daß mein
guter alter Papa in dem Pfarrhause diesen Entschluß für ein Zeichen
des Gnadendurchbruchs gehalten hat. Ich habe als Künstler immer
nur ungern eine Linie zwischen dem Geistlichen und dem Schönen
gezogen, da ich immer der Ansicht gewesen bin, daß die Schönheit dasselbe unbe¬
grenzte Element umfaßt, das das Wesen jeder Religion ausmacht. Es wird mir
übrigens nicht leicht, mich durch Worte auszudrücken, da der Pinsel bisher das
einzige Ausdrucksmittel war, dessen ich mich bedient habe. Wenn ich trotzdem in
diesem besondern Falle zu der Feder greife, um durch Worte zu erläutern, was
mir vielleicht nicht gelungen ist, durch meinen Pinsel auszudrücken, so geschieht dies,
weil die Kritik, die mein Bild „Der Mann der Schmerzen» so schwer angegriffen
hat, mich dazu reizt, eine Erklärung zu versuchen. Nehmen wir an, daß mein Bild
nur halb ausspricht, was ich sagen wollte. Vielleicht gelingt es meiner Feder, die
andre Hälfte zu sagen, besonders da diese aus Dingen besteht, die ich teils selbst
gesehen, teils mir habe erzählen lassen.

Zuerst möchte ich erklären, daß das Bild, das jetzt in seinem goldnen Rahmen
dahängt, weit verschieden von meiner ersten Auffassung ist, daß es sich nnr langsam


Grenzboten II 1908 43
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[0341] Das Modell der Schmerzen Herodot über den Kanalbau für eitle griechische Prahlerei erklärt. Dem sowie der ablehnenden Haltung Niebuhrs gegenüber hat jetzt Struck sicher nach¬ gewiesen, daß der Kanal nicht nur gebaut, sondern auch durchfahren worden sein muß, und daß die Ergebnisse seiner Nachforschungen bestätigen, wie treu „Herodot das ihm Überlieferte aufgezeichnet und uns erhalten hat". So wird uns. wie aus dieser gedrängten Zusammenfassung hervorgehn wird, ein landschaftlich, kulturhistorisch und archäologisch reizvolles Stück griechischen Landes dem Naturfreunde wie dem Forscher hier neu erschlossen, und man kann nnr lebhaft wünschen, daß auch der Reiseverkehr an diesem auch mit einem gesunden Klima gesegneten Ländchen nicht länger mehr vorbei¬ gehn möge. Von Salonik aus ist ja wenigstens der westliche, kultivierteste Teil der Chalkidike leicht zu erreichen, und hier findet man sogar schon zwei aufblühende Kur- und Badeorte (Sedes und Galätista), die untrüglichsten Vor¬ boten und stärksten Vorposten moderner Kultur, die vielleicht auch einmal den ehrwürdigen Athos aus einem Sitz mittelalterlicher Askese zu einer Stätte modernen Naturheilverfahrens machen werden. Das Modell der Schmerzen Israel Jangwill von Lrstes Kapitel wie ich das Modell gefunden habe es möchte nicht behaupten, daß es irgend etwas mit meiner religiösen Anschauung zu tun gehabt hätte, daß ich mir die Aufgabe stellte, den Mann der Schmerzen zu malen, aber ich fürchte beinahe, daß mein guter alter Papa in dem Pfarrhause diesen Entschluß für ein Zeichen des Gnadendurchbruchs gehalten hat. Ich habe als Künstler immer nur ungern eine Linie zwischen dem Geistlichen und dem Schönen gezogen, da ich immer der Ansicht gewesen bin, daß die Schönheit dasselbe unbe¬ grenzte Element umfaßt, das das Wesen jeder Religion ausmacht. Es wird mir übrigens nicht leicht, mich durch Worte auszudrücken, da der Pinsel bisher das einzige Ausdrucksmittel war, dessen ich mich bedient habe. Wenn ich trotzdem in diesem besondern Falle zu der Feder greife, um durch Worte zu erläutern, was mir vielleicht nicht gelungen ist, durch meinen Pinsel auszudrücken, so geschieht dies, weil die Kritik, die mein Bild „Der Mann der Schmerzen» so schwer angegriffen hat, mich dazu reizt, eine Erklärung zu versuchen. Nehmen wir an, daß mein Bild nur halb ausspricht, was ich sagen wollte. Vielleicht gelingt es meiner Feder, die andre Hälfte zu sagen, besonders da diese aus Dingen besteht, die ich teils selbst gesehen, teils mir habe erzählen lassen. Zuerst möchte ich erklären, daß das Bild, das jetzt in seinem goldnen Rahmen dahängt, weit verschieden von meiner ersten Auffassung ist, daß es sich nnr langsam Grenzboten II 1908 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/341>, abgerufen am 01.05.2024.