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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Aus dem griechischen Erzgebirge

den Umwohnern Provlaka heißt (was nicht, wie Fallmerayer meinte, ein sla¬
wisches, sondern ein gut griechisches Wort ist und aus ?r^o und "^"5 ent¬
standen ist, also etwa "Vorgraben" bedeutet*); Struck, der keine Deutung des
Wortes versucht, betont übrigens Provlaka, was kaum richtig sein kann, wie
er überhaupt die heutigen Namen nicht immer richtig betont). Die Frage ist
nnr die, ob der Kanal nur in Angriff genommen aber nicht vollendet, oder
ob er schon durchfahren worden ist. Was Struck vorläufig feststellen konnte,
ist folgendes: die Kanallinie durchzieht den Isthmus in einer Länge von fast
zweieinhalb Kilometern in einer von Norden nach Südwesten ausgeschweiften
oder in stumpfen Winkeln gebrochnen Linie. Am deutlichsten ist diese im süd¬
lichen Teil, wo "der Graben noch eine wenig unterbrochne, zwei bis drei
Meter tiefe und zwanzig bis vierzig Meter breite Mulde" bildet. Dagegen
ist diese Linie nach Norden zu nur schwach oder gar nicht erkennbar, und
zwar um so mehr, je höher sich das Terrain erhebt. Aber auch hier zeigt
sich, daß das Erdreich weich und mit Schutt gemengt ist, was Struck aus
dem allmählichen Verfall der nicht verkleideten Böschungen erklärt, wie über¬
haupt das ganze Werk einen rein provisorischen Charakter und später keine
Bedeutung mehr hatte. Soweit Strucks Darstellung in seinem Reisebericht.
Inzwischen hat er in einer eignen Studie über den Xerxeskanal (Neue Jahr¬
bücher für das klassische Altertum usw., Bd. 19 ^1907^. S. 115 bis 130) das
Problem von der historischen Seite zu fassen gesucht und eine höchst lehrreiche
Übersicht gegeben über die literarischen Denkmäler des Altertums und über die
neuern Reiseberichte, die den Kanalbau erwähnen. Danach sprechen die griechischen
Autoren, wie Platon, Lysias und Äschines, von ihm wie von etwas fest¬
stehendem und durch das Imponierende seines Werkes sprichwörtlich gewordnen.
Erst die spätern Satiriker wie Lukian, Juvenal und Catull bezeichneten das
Werk als etwas fabelhaftes und sprachen von einer Durchbohrung des Athos-
berges. Nur der Geograph Strabo glaubt noch an die Existenz des Kanals.
Für die Schwierigkeit des Baues zeugt der von Plutarch überlieferte Droh¬
brief des Xerxes an den Athos, wo es heißt: "Göttlicher Athos, dessen Spitze
zum Himmel ragt, setze meinem Werke keine großen und harten Felsen ent¬
gegen, sonst laß ich dich abhauen und ins Meer stürzen."

Eine wichtige Ergänzung zu den antiken Zeugnissen bilden die der neuern
Reisenden aus den letzten hundert Jahren. Von ihnen bezeugen fast alle,
Choiseul-Gouffier (1791), Hunt (1815), Leake (1806), Urquhart (1830), Spratt
(1838). Grisebach (1839) und Tozer (1853), übereinstimmend das Vorhanden¬
sein mehr oder weniger deutlicher Spuren einer alten Kanalfurche. Nur der
Franzose Cousinery kommt zu dem phantastischen Schluß, Xerxes habe beide
seitliche Abhänge des Athos leicht abböschen lassen und dann die Schiffe auf
einem festen Bretterboden hinüberrollen lassen, während er die Angaben des



') Wie ich nachträglich sehe, hat diese Deutung schon der Engländer Leake gegeben.
Aus dem griechischen Erzgebirge

den Umwohnern Provlaka heißt (was nicht, wie Fallmerayer meinte, ein sla¬
wisches, sondern ein gut griechisches Wort ist und aus ?r^o und «^«5 ent¬
standen ist, also etwa „Vorgraben" bedeutet*); Struck, der keine Deutung des
Wortes versucht, betont übrigens Provlaka, was kaum richtig sein kann, wie
er überhaupt die heutigen Namen nicht immer richtig betont). Die Frage ist
nnr die, ob der Kanal nur in Angriff genommen aber nicht vollendet, oder
ob er schon durchfahren worden ist. Was Struck vorläufig feststellen konnte,
ist folgendes: die Kanallinie durchzieht den Isthmus in einer Länge von fast
zweieinhalb Kilometern in einer von Norden nach Südwesten ausgeschweiften
oder in stumpfen Winkeln gebrochnen Linie. Am deutlichsten ist diese im süd¬
lichen Teil, wo „der Graben noch eine wenig unterbrochne, zwei bis drei
Meter tiefe und zwanzig bis vierzig Meter breite Mulde" bildet. Dagegen
ist diese Linie nach Norden zu nur schwach oder gar nicht erkennbar, und
zwar um so mehr, je höher sich das Terrain erhebt. Aber auch hier zeigt
sich, daß das Erdreich weich und mit Schutt gemengt ist, was Struck aus
dem allmählichen Verfall der nicht verkleideten Böschungen erklärt, wie über¬
haupt das ganze Werk einen rein provisorischen Charakter und später keine
Bedeutung mehr hatte. Soweit Strucks Darstellung in seinem Reisebericht.
Inzwischen hat er in einer eignen Studie über den Xerxeskanal (Neue Jahr¬
bücher für das klassische Altertum usw., Bd. 19 ^1907^. S. 115 bis 130) das
Problem von der historischen Seite zu fassen gesucht und eine höchst lehrreiche
Übersicht gegeben über die literarischen Denkmäler des Altertums und über die
neuern Reiseberichte, die den Kanalbau erwähnen. Danach sprechen die griechischen
Autoren, wie Platon, Lysias und Äschines, von ihm wie von etwas fest¬
stehendem und durch das Imponierende seines Werkes sprichwörtlich gewordnen.
Erst die spätern Satiriker wie Lukian, Juvenal und Catull bezeichneten das
Werk als etwas fabelhaftes und sprachen von einer Durchbohrung des Athos-
berges. Nur der Geograph Strabo glaubt noch an die Existenz des Kanals.
Für die Schwierigkeit des Baues zeugt der von Plutarch überlieferte Droh¬
brief des Xerxes an den Athos, wo es heißt: „Göttlicher Athos, dessen Spitze
zum Himmel ragt, setze meinem Werke keine großen und harten Felsen ent¬
gegen, sonst laß ich dich abhauen und ins Meer stürzen."

Eine wichtige Ergänzung zu den antiken Zeugnissen bilden die der neuern
Reisenden aus den letzten hundert Jahren. Von ihnen bezeugen fast alle,
Choiseul-Gouffier (1791), Hunt (1815), Leake (1806), Urquhart (1830), Spratt
(1838). Grisebach (1839) und Tozer (1853), übereinstimmend das Vorhanden¬
sein mehr oder weniger deutlicher Spuren einer alten Kanalfurche. Nur der
Franzose Cousinery kommt zu dem phantastischen Schluß, Xerxes habe beide
seitliche Abhänge des Athos leicht abböschen lassen und dann die Schiffe auf
einem festen Bretterboden hinüberrollen lassen, während er die Angaben des



') Wie ich nachträglich sehe, hat diese Deutung schon der Engländer Leake gegeben.
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[0340] Aus dem griechischen Erzgebirge den Umwohnern Provlaka heißt (was nicht, wie Fallmerayer meinte, ein sla¬ wisches, sondern ein gut griechisches Wort ist und aus ?r^o und «^«5 ent¬ standen ist, also etwa „Vorgraben" bedeutet*); Struck, der keine Deutung des Wortes versucht, betont übrigens Provlaka, was kaum richtig sein kann, wie er überhaupt die heutigen Namen nicht immer richtig betont). Die Frage ist nnr die, ob der Kanal nur in Angriff genommen aber nicht vollendet, oder ob er schon durchfahren worden ist. Was Struck vorläufig feststellen konnte, ist folgendes: die Kanallinie durchzieht den Isthmus in einer Länge von fast zweieinhalb Kilometern in einer von Norden nach Südwesten ausgeschweiften oder in stumpfen Winkeln gebrochnen Linie. Am deutlichsten ist diese im süd¬ lichen Teil, wo „der Graben noch eine wenig unterbrochne, zwei bis drei Meter tiefe und zwanzig bis vierzig Meter breite Mulde" bildet. Dagegen ist diese Linie nach Norden zu nur schwach oder gar nicht erkennbar, und zwar um so mehr, je höher sich das Terrain erhebt. Aber auch hier zeigt sich, daß das Erdreich weich und mit Schutt gemengt ist, was Struck aus dem allmählichen Verfall der nicht verkleideten Böschungen erklärt, wie über¬ haupt das ganze Werk einen rein provisorischen Charakter und später keine Bedeutung mehr hatte. Soweit Strucks Darstellung in seinem Reisebericht. Inzwischen hat er in einer eignen Studie über den Xerxeskanal (Neue Jahr¬ bücher für das klassische Altertum usw., Bd. 19 ^1907^. S. 115 bis 130) das Problem von der historischen Seite zu fassen gesucht und eine höchst lehrreiche Übersicht gegeben über die literarischen Denkmäler des Altertums und über die neuern Reiseberichte, die den Kanalbau erwähnen. Danach sprechen die griechischen Autoren, wie Platon, Lysias und Äschines, von ihm wie von etwas fest¬ stehendem und durch das Imponierende seines Werkes sprichwörtlich gewordnen. Erst die spätern Satiriker wie Lukian, Juvenal und Catull bezeichneten das Werk als etwas fabelhaftes und sprachen von einer Durchbohrung des Athos- berges. Nur der Geograph Strabo glaubt noch an die Existenz des Kanals. Für die Schwierigkeit des Baues zeugt der von Plutarch überlieferte Droh¬ brief des Xerxes an den Athos, wo es heißt: „Göttlicher Athos, dessen Spitze zum Himmel ragt, setze meinem Werke keine großen und harten Felsen ent¬ gegen, sonst laß ich dich abhauen und ins Meer stürzen." Eine wichtige Ergänzung zu den antiken Zeugnissen bilden die der neuern Reisenden aus den letzten hundert Jahren. Von ihnen bezeugen fast alle, Choiseul-Gouffier (1791), Hunt (1815), Leake (1806), Urquhart (1830), Spratt (1838). Grisebach (1839) und Tozer (1853), übereinstimmend das Vorhanden¬ sein mehr oder weniger deutlicher Spuren einer alten Kanalfurche. Nur der Franzose Cousinery kommt zu dem phantastischen Schluß, Xerxes habe beide seitliche Abhänge des Athos leicht abböschen lassen und dann die Schiffe auf einem festen Bretterboden hinüberrollen lassen, während er die Angaben des ') Wie ich nachträglich sehe, hat diese Deutung schon der Engländer Leake gegeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/340>, abgerufen am 16.05.2024.