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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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zu leisten, nachdem diese sie bei der Finanzreform schmählich im Stich ge¬
lassen haben. Die Liberalen müssen sich von einer Politik fernhalten, die nur
eine Vermehrung der sozialdemokratischen Stimmen zur Folge haben kann.
Tun sie dies nicht, so werden sie mit in den Strudel hineingezogen werden,
den eine kurzsichtige, einseitige Politik geschaffen hat. Darüber werden sich
die Konservativen klar werden müssen, daß sie nicht fürderhin mehr, um und
Herrn von Heydebrand zu sprechen, mit liberalen Streitkräften konservative
Politik t ^' in. reiben werden.




Die Stellung des Griechentums auf der Balkan¬
halbinsel
von Dr. R. Dieterich

s war von jeher das Verhängnis der Staatenbildungen ini
vordem Orient, daß sie stets in Extreme umschlugen: auf die
altgriechische Kleinstaaterei folgte das Weltreich Alexanders, eine
politische Phantasmagorie, die wie eine Seifenblase zerplatzte.
Dann kam der Römer und stellte mit starker Faust die Ordnung
wieder her, als aber die Osthälfte des römischen Weltreiches als eigner poli¬
tischer Organismus vom Westen losgetrennt war und römische Institutionen
auf griechischem Kulturboden und einem bunten, unausgeglichnen ethnischen
Substrat aufgepfropft wurden, begann die lange, bald gewaltige, bald erbärm¬
liche Geschichte des byzantinischen Reiches, eines Reiches, das der echte Typus
eines östlichen Staatsgebildes war, insofern es weder organisch entstanden noch
national verankert war und somit alle Wechselfülle eines luftigen Eroberungs¬
staates durchmachte, der sich wie ein Ballon bald ausblies, wenn er mit Gas
gefüllt war, bald in sich zusammenfiel, wenn das Gas ausging, ein Wechsel¬
spiel, das den eigentlichen Inhalt der äußern byzantinischen Geschichte bildet.
Tasselbe gilt von den mit Byzanz und miteinander rivalisierenden Staats-
bildungen der Bulgaren und Serben, die schließlich alle zusammen in dem
Rachen des türkischen Ungeheuers verschwanden. Die Türkei hatte ja das
byzantinische Staatswesen sozusagen mit Haut und Haaren verschlungen und in
Ach aufgenommen -- wie sie es verdaut hat, zeigt ja der Verlauf ihrer Ge¬
schichte, die nur ein Abklatsch der byzantinischen ist. Ja, unter der türkischen
Hülle bestand das byzantinische Reich ruhig weiter mit seinen alten imperia¬
listischen Instinkten: der vom Sultan offiziell als "Rum-allee-bachi" (Oberhaupt
der Römer) anerkannte, und zwar nicht nur in geistlichen, sondern auch in
Weltlichen Dingen, und daher in seinem Wappen noch den byzantinischen Doppel¬
adler mit Reichsapfel und Zepter führende ökumenische Patriarch ist der direkte


Grenzboten III U109 22

zu leisten, nachdem diese sie bei der Finanzreform schmählich im Stich ge¬
lassen haben. Die Liberalen müssen sich von einer Politik fernhalten, die nur
eine Vermehrung der sozialdemokratischen Stimmen zur Folge haben kann.
Tun sie dies nicht, so werden sie mit in den Strudel hineingezogen werden,
den eine kurzsichtige, einseitige Politik geschaffen hat. Darüber werden sich
die Konservativen klar werden müssen, daß sie nicht fürderhin mehr, um und
Herrn von Heydebrand zu sprechen, mit liberalen Streitkräften konservative
Politik t ^' in. reiben werden.




Die Stellung des Griechentums auf der Balkan¬
halbinsel
von Dr. R. Dieterich

s war von jeher das Verhängnis der Staatenbildungen ini
vordem Orient, daß sie stets in Extreme umschlugen: auf die
altgriechische Kleinstaaterei folgte das Weltreich Alexanders, eine
politische Phantasmagorie, die wie eine Seifenblase zerplatzte.
Dann kam der Römer und stellte mit starker Faust die Ordnung
wieder her, als aber die Osthälfte des römischen Weltreiches als eigner poli¬
tischer Organismus vom Westen losgetrennt war und römische Institutionen
auf griechischem Kulturboden und einem bunten, unausgeglichnen ethnischen
Substrat aufgepfropft wurden, begann die lange, bald gewaltige, bald erbärm¬
liche Geschichte des byzantinischen Reiches, eines Reiches, das der echte Typus
eines östlichen Staatsgebildes war, insofern es weder organisch entstanden noch
national verankert war und somit alle Wechselfülle eines luftigen Eroberungs¬
staates durchmachte, der sich wie ein Ballon bald ausblies, wenn er mit Gas
gefüllt war, bald in sich zusammenfiel, wenn das Gas ausging, ein Wechsel¬
spiel, das den eigentlichen Inhalt der äußern byzantinischen Geschichte bildet.
Tasselbe gilt von den mit Byzanz und miteinander rivalisierenden Staats-
bildungen der Bulgaren und Serben, die schließlich alle zusammen in dem
Rachen des türkischen Ungeheuers verschwanden. Die Türkei hatte ja das
byzantinische Staatswesen sozusagen mit Haut und Haaren verschlungen und in
Ach aufgenommen — wie sie es verdaut hat, zeigt ja der Verlauf ihrer Ge¬
schichte, die nur ein Abklatsch der byzantinischen ist. Ja, unter der türkischen
Hülle bestand das byzantinische Reich ruhig weiter mit seinen alten imperia¬
listischen Instinkten: der vom Sultan offiziell als „Rum-allee-bachi" (Oberhaupt
der Römer) anerkannte, und zwar nicht nur in geistlichen, sondern auch in
Weltlichen Dingen, und daher in seinem Wappen noch den byzantinischen Doppel¬
adler mit Reichsapfel und Zepter führende ökumenische Patriarch ist der direkte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/411>, abgerufen am 28.04.2024.