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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die Stellung des Griechentums auf der Balkanhalbinsel

Nachfolger des byzantinischen Basileus und wird mit denselben Ehrenbezeugungen
begrüßt wie dieser.*)

Unter dem Schutze der Türkei nahm das griechische Element überhaupt
eine bevorzugte Stellung in weltlicher wie in geistlicher Hinsicht ein, eine
Stellung, die sich an den Namen des alten Stadtteils des PHanars knüpft:
dort ist nicht nur der Sitz des Patriarchats, sondern auch jener als Phanarioten
bekannten kaufmännischen Emporkömmlinge, deren finanzielles Gedeihen mit dem
des türkischen Reiches stieg und fiel, und die das innige Bündnis zwischen
Türken und Byzantinern vortrefflich verkörpern: sie verstanden es nämlich, sich
der Regierung als Bankiers und Unterhändler unentbehrlich zu machen und
fanden sich stets zu deu skrupellosesten Kompagniegeschüften bereit, wenn es ihren
Vorteil galt. Patriarch und Phanarioten waren es, die im Bunde mit den
Türken auf die von diesen unterworfnen Völker den schwersten Druck ausübten,
sodaß diese Völker, Slawen und Rumänen, unter einer doppelten Knechtschaft
seufzten, der politischen der Türken und der sozialen und kirchlichen der byzan¬
tinischen Erben; die letzten nehmen somit eine Mittelstellung ein zwischen den
türkischen Herren und den übrigen "Najcihs".

Dieses "christliche" Element des türkischen Reiches arbeitete nun eifrig mit
nicht nur an dem Abbröcklungsprozeß dieses Reiches selbst, sondern auch an
der Zerstörung der kulturellen Vorherrschaft des Griechentums auf der nördlichen
Balkanhalbinsel. Denn war auch Byzanz im Kampfe mit den Barbaren als
politische Macht unterlegen, so hatte es ihnen von seiner Kulturkraft doch so viel
eingeimpft, daß noch heute zahlreiche Spuren in Sprache und Volkstum von
Südslawen und Rumänen von dem starken griechischen Einfluß zeugen, dem sie
ein Jahrtausend lang ausgesetzt waren; ja es wäre vielleicht zu einer völligen
Gräzisierung gekommen, wenn nicht teils die Schwäche der Politik von Byzanz
selbst, teils die Brutalität seiner weltlichen und geistlichen Epigonen das National¬
bewußtsein jener Völker wachgerufen hätte. So aber begann mit dem Zerfall
der Türkei zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts auch die Zurückdrängung
des Griechentums, zunächst in Rumänien, wo die Phanarioten ein Jahrhundert
lang die Bevölkerung ausgesogen hatten (1730 bis 1821). Denn zugleich mit
dem Signal zum griechischen Aufstande wurde auch das Signal zur Erhebung
Rumäniens gegeben gegen phanariotische Tyrannei. Sehr gegen den Willen
dieser Phanariotenpartei wurde dann (1821) der griechische Aufstand in volks¬
tümliche Bahnen gedrängt und in das eigentliche Griechenland hinübergespielt,
und so entstand zehn Jahre später die von schlechten Politikern und guten
Philhellenen unterstützte Zangengeburt des "Königreichs Griechenland"; es be¬
stätigte sich hierbei wieder die schon eingangs gemachte Beobachtung der poli¬
tischen Extreme: ein neubyzantinisches Großreich strebte man an, und ein ver¬
krüppelter Zwergstaat sprang heraus.



*) Man lese zum Beispiel die Schilderung bei H. Gelzer, Geistliches und Weltliches
aus dem türkisch-griechischen Orient (Leipzig 1300), S. S6sf,
Die Stellung des Griechentums auf der Balkanhalbinsel

Nachfolger des byzantinischen Basileus und wird mit denselben Ehrenbezeugungen
begrüßt wie dieser.*)

Unter dem Schutze der Türkei nahm das griechische Element überhaupt
eine bevorzugte Stellung in weltlicher wie in geistlicher Hinsicht ein, eine
Stellung, die sich an den Namen des alten Stadtteils des PHanars knüpft:
dort ist nicht nur der Sitz des Patriarchats, sondern auch jener als Phanarioten
bekannten kaufmännischen Emporkömmlinge, deren finanzielles Gedeihen mit dem
des türkischen Reiches stieg und fiel, und die das innige Bündnis zwischen
Türken und Byzantinern vortrefflich verkörpern: sie verstanden es nämlich, sich
der Regierung als Bankiers und Unterhändler unentbehrlich zu machen und
fanden sich stets zu deu skrupellosesten Kompagniegeschüften bereit, wenn es ihren
Vorteil galt. Patriarch und Phanarioten waren es, die im Bunde mit den
Türken auf die von diesen unterworfnen Völker den schwersten Druck ausübten,
sodaß diese Völker, Slawen und Rumänen, unter einer doppelten Knechtschaft
seufzten, der politischen der Türken und der sozialen und kirchlichen der byzan¬
tinischen Erben; die letzten nehmen somit eine Mittelstellung ein zwischen den
türkischen Herren und den übrigen „Najcihs".

Dieses „christliche" Element des türkischen Reiches arbeitete nun eifrig mit
nicht nur an dem Abbröcklungsprozeß dieses Reiches selbst, sondern auch an
der Zerstörung der kulturellen Vorherrschaft des Griechentums auf der nördlichen
Balkanhalbinsel. Denn war auch Byzanz im Kampfe mit den Barbaren als
politische Macht unterlegen, so hatte es ihnen von seiner Kulturkraft doch so viel
eingeimpft, daß noch heute zahlreiche Spuren in Sprache und Volkstum von
Südslawen und Rumänen von dem starken griechischen Einfluß zeugen, dem sie
ein Jahrtausend lang ausgesetzt waren; ja es wäre vielleicht zu einer völligen
Gräzisierung gekommen, wenn nicht teils die Schwäche der Politik von Byzanz
selbst, teils die Brutalität seiner weltlichen und geistlichen Epigonen das National¬
bewußtsein jener Völker wachgerufen hätte. So aber begann mit dem Zerfall
der Türkei zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts auch die Zurückdrängung
des Griechentums, zunächst in Rumänien, wo die Phanarioten ein Jahrhundert
lang die Bevölkerung ausgesogen hatten (1730 bis 1821). Denn zugleich mit
dem Signal zum griechischen Aufstande wurde auch das Signal zur Erhebung
Rumäniens gegeben gegen phanariotische Tyrannei. Sehr gegen den Willen
dieser Phanariotenpartei wurde dann (1821) der griechische Aufstand in volks¬
tümliche Bahnen gedrängt und in das eigentliche Griechenland hinübergespielt,
und so entstand zehn Jahre später die von schlechten Politikern und guten
Philhellenen unterstützte Zangengeburt des „Königreichs Griechenland"; es be¬
stätigte sich hierbei wieder die schon eingangs gemachte Beobachtung der poli¬
tischen Extreme: ein neubyzantinisches Großreich strebte man an, und ein ver¬
krüppelter Zwergstaat sprang heraus.



*) Man lese zum Beispiel die Schilderung bei H. Gelzer, Geistliches und Weltliches
aus dem türkisch-griechischen Orient (Leipzig 1300), S. S6sf,
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[0412] Die Stellung des Griechentums auf der Balkanhalbinsel Nachfolger des byzantinischen Basileus und wird mit denselben Ehrenbezeugungen begrüßt wie dieser.*) Unter dem Schutze der Türkei nahm das griechische Element überhaupt eine bevorzugte Stellung in weltlicher wie in geistlicher Hinsicht ein, eine Stellung, die sich an den Namen des alten Stadtteils des PHanars knüpft: dort ist nicht nur der Sitz des Patriarchats, sondern auch jener als Phanarioten bekannten kaufmännischen Emporkömmlinge, deren finanzielles Gedeihen mit dem des türkischen Reiches stieg und fiel, und die das innige Bündnis zwischen Türken und Byzantinern vortrefflich verkörpern: sie verstanden es nämlich, sich der Regierung als Bankiers und Unterhändler unentbehrlich zu machen und fanden sich stets zu deu skrupellosesten Kompagniegeschüften bereit, wenn es ihren Vorteil galt. Patriarch und Phanarioten waren es, die im Bunde mit den Türken auf die von diesen unterworfnen Völker den schwersten Druck ausübten, sodaß diese Völker, Slawen und Rumänen, unter einer doppelten Knechtschaft seufzten, der politischen der Türken und der sozialen und kirchlichen der byzan¬ tinischen Erben; die letzten nehmen somit eine Mittelstellung ein zwischen den türkischen Herren und den übrigen „Najcihs". Dieses „christliche" Element des türkischen Reiches arbeitete nun eifrig mit nicht nur an dem Abbröcklungsprozeß dieses Reiches selbst, sondern auch an der Zerstörung der kulturellen Vorherrschaft des Griechentums auf der nördlichen Balkanhalbinsel. Denn war auch Byzanz im Kampfe mit den Barbaren als politische Macht unterlegen, so hatte es ihnen von seiner Kulturkraft doch so viel eingeimpft, daß noch heute zahlreiche Spuren in Sprache und Volkstum von Südslawen und Rumänen von dem starken griechischen Einfluß zeugen, dem sie ein Jahrtausend lang ausgesetzt waren; ja es wäre vielleicht zu einer völligen Gräzisierung gekommen, wenn nicht teils die Schwäche der Politik von Byzanz selbst, teils die Brutalität seiner weltlichen und geistlichen Epigonen das National¬ bewußtsein jener Völker wachgerufen hätte. So aber begann mit dem Zerfall der Türkei zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts auch die Zurückdrängung des Griechentums, zunächst in Rumänien, wo die Phanarioten ein Jahrhundert lang die Bevölkerung ausgesogen hatten (1730 bis 1821). Denn zugleich mit dem Signal zum griechischen Aufstande wurde auch das Signal zur Erhebung Rumäniens gegeben gegen phanariotische Tyrannei. Sehr gegen den Willen dieser Phanariotenpartei wurde dann (1821) der griechische Aufstand in volks¬ tümliche Bahnen gedrängt und in das eigentliche Griechenland hinübergespielt, und so entstand zehn Jahre später die von schlechten Politikern und guten Philhellenen unterstützte Zangengeburt des „Königreichs Griechenland"; es be¬ stätigte sich hierbei wieder die schon eingangs gemachte Beobachtung der poli¬ tischen Extreme: ein neubyzantinisches Großreich strebte man an, und ein ver¬ krüppelter Zwergstaat sprang heraus. *) Man lese zum Beispiel die Schilderung bei H. Gelzer, Geistliches und Weltliches aus dem türkisch-griechischen Orient (Leipzig 1300), S. S6sf,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/412>, abgerufen am 13.05.2024.