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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Meine Jugend und die Religion

sache individuelle Menschen zur Darstellung. Der Engländer Whistler hat eine
Studie von Cremone Gartens ausgestellt, die aber so sehr in den äußersten
Anfängen stecken geblieben ist, daß man mehr ahnt als sieht. Sein Landsmann
Charles Ricketts malt ein Skelett als Kunstkritiker. Er scheint kein Freund der
Kritik, hat sie aber nicht zu fürchten, denn seine Messaline und sein Don
Juan sind in ihrer Art hervorragende Arbeiten. Eine Landschaft von Dauchez
(Paris) fesselt durch die feine Wirkung des Lichtes, der Sommer von Gaston
la Touche und dessen spanisches Fest sind Bilder, auf denen koloristische
Finessen mit großer Bravour, wenn auch uicht mit strenger Anlehnung an die
Natur, versucht wurden. Auch einige Wiener haben sich eingefunden: Egger-
Lienz mit einem Totentanz von Anno Neun, ungeschlachte, fast karikierte
Bauerngestalten, in rötlich-braunen Tönen gemalt, sehr unwahr und unerfreulich,
ohne jeden monumentalen Zug, in demselben Raum aber ein hervorragendes
Damenporträt von Adams und das Bildnis eines Mannes von Krausz.

Die Plastik zeigt im ganzen wenig Bemerkenswertes, aber eine Fülle
von Mittelgut. Wandschneiders Achilles, Brudes Brunnenfigur, Gasteigers
Pferdebändiger ragen durch einen Hauch monumentaler Größe hervor. Viel
Antikisierendes ist vorhanden, das aber von der persönlichen Note der Künstler
keine Anschauung gibt. Eine Anzahl guter Büsten muß dafür entschädigen.

Von Ludwig Hoffmann sind in einem Zimmer Abbildungen seiner Berliner
Bauten ausgestellt, die den großen Zug dieses genialen Architekten zeigen, in
einem andern Raum Zeichnungen der Friedenauer Einküchenhüuser von Geßner,
von Drescher und Berghoff der Entwurf eines Rathauses für Spandau, von
Brurein der Entwurf eines Bahnhofs für Darmstadt.

Der Verband der Illustratoren bringt in buntem Durcheinander eine Fülle
von Gutem und Minderwertigem, übt aber auf die Mehrheit der Besucher
durch den stofflichen Inhalt einen nie versagenden Reiz aus.


Gisen träger


Meine Jugend und die Religion
von Ludwig Germerslzeim (Fortsetzung)
8. heiligendäinmerung, neue Heilige

Heimat,
Es lebte
liebe fürin diese Zeit lehnten sich mein Verstand und mein Gemüt gegen den
Marien- und Alvysiuskult auf, der uns Schülern empfohlen, ans
Herz gelegt, anerzogen wurde, je nach unsrer Empfänglichkeit. Ich
nahm der Schutzheiligen des Frankenlandes ihre Gleichgiltigkeit
gegen die Not der Hexen übel, und der Patron der studierenden
- Jugend war mir in tiefster Seele unsympathisch. Sein Name, seine
sein Aussehen, sein Leben, alles, was ich von ihm hörte, stieß mich ab.
in mir eine tiefe Abneigung gegen alles Romanische, eine mächtige Vor¬
germanische Körper- und Geistesart. Der bleiche junge Priester Aloysus


Meine Jugend und die Religion

sache individuelle Menschen zur Darstellung. Der Engländer Whistler hat eine
Studie von Cremone Gartens ausgestellt, die aber so sehr in den äußersten
Anfängen stecken geblieben ist, daß man mehr ahnt als sieht. Sein Landsmann
Charles Ricketts malt ein Skelett als Kunstkritiker. Er scheint kein Freund der
Kritik, hat sie aber nicht zu fürchten, denn seine Messaline und sein Don
Juan sind in ihrer Art hervorragende Arbeiten. Eine Landschaft von Dauchez
(Paris) fesselt durch die feine Wirkung des Lichtes, der Sommer von Gaston
la Touche und dessen spanisches Fest sind Bilder, auf denen koloristische
Finessen mit großer Bravour, wenn auch uicht mit strenger Anlehnung an die
Natur, versucht wurden. Auch einige Wiener haben sich eingefunden: Egger-
Lienz mit einem Totentanz von Anno Neun, ungeschlachte, fast karikierte
Bauerngestalten, in rötlich-braunen Tönen gemalt, sehr unwahr und unerfreulich,
ohne jeden monumentalen Zug, in demselben Raum aber ein hervorragendes
Damenporträt von Adams und das Bildnis eines Mannes von Krausz.

Die Plastik zeigt im ganzen wenig Bemerkenswertes, aber eine Fülle
von Mittelgut. Wandschneiders Achilles, Brudes Brunnenfigur, Gasteigers
Pferdebändiger ragen durch einen Hauch monumentaler Größe hervor. Viel
Antikisierendes ist vorhanden, das aber von der persönlichen Note der Künstler
keine Anschauung gibt. Eine Anzahl guter Büsten muß dafür entschädigen.

Von Ludwig Hoffmann sind in einem Zimmer Abbildungen seiner Berliner
Bauten ausgestellt, die den großen Zug dieses genialen Architekten zeigen, in
einem andern Raum Zeichnungen der Friedenauer Einküchenhüuser von Geßner,
von Drescher und Berghoff der Entwurf eines Rathauses für Spandau, von
Brurein der Entwurf eines Bahnhofs für Darmstadt.

Der Verband der Illustratoren bringt in buntem Durcheinander eine Fülle
von Gutem und Minderwertigem, übt aber auf die Mehrheit der Besucher
durch den stofflichen Inhalt einen nie versagenden Reiz aus.


Gisen träger


Meine Jugend und die Religion
von Ludwig Germerslzeim (Fortsetzung)
8. heiligendäinmerung, neue Heilige

Heimat,
Es lebte
liebe fürin diese Zeit lehnten sich mein Verstand und mein Gemüt gegen den
Marien- und Alvysiuskult auf, der uns Schülern empfohlen, ans
Herz gelegt, anerzogen wurde, je nach unsrer Empfänglichkeit. Ich
nahm der Schutzheiligen des Frankenlandes ihre Gleichgiltigkeit
gegen die Not der Hexen übel, und der Patron der studierenden
- Jugend war mir in tiefster Seele unsympathisch. Sein Name, seine
sein Aussehen, sein Leben, alles, was ich von ihm hörte, stieß mich ab.
in mir eine tiefe Abneigung gegen alles Romanische, eine mächtige Vor¬
germanische Körper- und Geistesart. Der bleiche junge Priester Aloysus


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[0426] Meine Jugend und die Religion sache individuelle Menschen zur Darstellung. Der Engländer Whistler hat eine Studie von Cremone Gartens ausgestellt, die aber so sehr in den äußersten Anfängen stecken geblieben ist, daß man mehr ahnt als sieht. Sein Landsmann Charles Ricketts malt ein Skelett als Kunstkritiker. Er scheint kein Freund der Kritik, hat sie aber nicht zu fürchten, denn seine Messaline und sein Don Juan sind in ihrer Art hervorragende Arbeiten. Eine Landschaft von Dauchez (Paris) fesselt durch die feine Wirkung des Lichtes, der Sommer von Gaston la Touche und dessen spanisches Fest sind Bilder, auf denen koloristische Finessen mit großer Bravour, wenn auch uicht mit strenger Anlehnung an die Natur, versucht wurden. Auch einige Wiener haben sich eingefunden: Egger- Lienz mit einem Totentanz von Anno Neun, ungeschlachte, fast karikierte Bauerngestalten, in rötlich-braunen Tönen gemalt, sehr unwahr und unerfreulich, ohne jeden monumentalen Zug, in demselben Raum aber ein hervorragendes Damenporträt von Adams und das Bildnis eines Mannes von Krausz. Die Plastik zeigt im ganzen wenig Bemerkenswertes, aber eine Fülle von Mittelgut. Wandschneiders Achilles, Brudes Brunnenfigur, Gasteigers Pferdebändiger ragen durch einen Hauch monumentaler Größe hervor. Viel Antikisierendes ist vorhanden, das aber von der persönlichen Note der Künstler keine Anschauung gibt. Eine Anzahl guter Büsten muß dafür entschädigen. Von Ludwig Hoffmann sind in einem Zimmer Abbildungen seiner Berliner Bauten ausgestellt, die den großen Zug dieses genialen Architekten zeigen, in einem andern Raum Zeichnungen der Friedenauer Einküchenhüuser von Geßner, von Drescher und Berghoff der Entwurf eines Rathauses für Spandau, von Brurein der Entwurf eines Bahnhofs für Darmstadt. Der Verband der Illustratoren bringt in buntem Durcheinander eine Fülle von Gutem und Minderwertigem, übt aber auf die Mehrheit der Besucher durch den stofflichen Inhalt einen nie versagenden Reiz aus. Gisen träger Meine Jugend und die Religion von Ludwig Germerslzeim (Fortsetzung) 8. heiligendäinmerung, neue Heilige Heimat, Es lebte liebe fürin diese Zeit lehnten sich mein Verstand und mein Gemüt gegen den Marien- und Alvysiuskult auf, der uns Schülern empfohlen, ans Herz gelegt, anerzogen wurde, je nach unsrer Empfänglichkeit. Ich nahm der Schutzheiligen des Frankenlandes ihre Gleichgiltigkeit gegen die Not der Hexen übel, und der Patron der studierenden - Jugend war mir in tiefster Seele unsympathisch. Sein Name, seine sein Aussehen, sein Leben, alles, was ich von ihm hörte, stieß mich ab. in mir eine tiefe Abneigung gegen alles Romanische, eine mächtige Vor¬ germanische Körper- und Geistesart. Der bleiche junge Priester Aloysus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/426>, abgerufen am 28.04.2024.