Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Gremitagenallee
Sophns Banditz. Erzählung von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann
(Schluß)

WM>a, ich kann nun allerdings nicht den Zusammenhang zwischen dieser
Geschichte und der Lunds sehen, wandte Eller ein.

Da ist auch weiter keiner, erwiderte ich, als daß es sich in
beiden Fällen darum handelt, daß ein Mann, der so glücklich ge¬
wesen ist, eine Gunst, oder wie du es nennen willst, von einer Frau
I zu empfangen, verwandelt wird, etwas tut, was er sonst nicht getan
haben würde. Wäre der Leutnant Dichter gewesen, so hätte er ein unsterbliches
Gedicht geschrieben, und wäre er Gelehrter gewesen, so hätte er vermutlich die
Welt mit einer epochemachenden Erfindung bereichert. Nun war er nur Soldat,
und was konnte er da andres tun als für sein Land fallen? Mich dünkt, das ist
so einfach, es mußte so kommen -- ebenso wie ich finde, daß das unmittelbar
Ergreifendste hier in der Welt eine schöne Frau ist und ein mutiger Mann.

Darin mag etwas sein, räumte Lund ein. Aber Eros ist doch ein mächtigerer
Gott als Mars!

Na na! brummte Eller.

Ja, unbedingt! -- Wenn wir ganz ehrlich sein wollen, jetzt sitzen wir vier
ältesten Kavaliere hier --

Na im! brummte Eller von neuem.

Ja, ältere Kavaliere, sage ich! Wir haben alle im Leben etwas erreicht, wir
sitzen hier trocken unter Dach im Schloßkrug, wahrend der Regen herabströmt, und
wir haben Zigarren und Rüdesheimer -- da ist noch eine ganze Flasche --, und
doch würden wir ja alle, ohne uns zu bedenken, das und vieles andre hingeben,
könnten wir eine Stunde wirklicher Jugend fühlen, könnten wir den Flügelschlag
des großen Eros spüren -- Herrgott, daß der Regen auch nicht aufhören will! rief
er mit einem plötzlichen Übergang aus. Ich habe mich wie ein Kind darauf gefreut,
die Sonne untergehn zu sehen! Ich liebe es, die Sonne untergehn zu sehen, nicht
sie aufgehen zu sehn -- das tut sie immer zu einer so unmenschlichen Zeit. Wenn
es sich doch nur aufklären wollte!

Ich teilte Lunds Wunsch vollkommen, und namentlich konnte ich es nicht lassen,
fortwährend an den Fremden zu denken, der -- wie ich vermutete -- "Ast" im
goldnen Schimmer des Sonnenuntergangs treffen wollte -- und mußte.

Frederik Gjedde, der ein wenig schwerfällig war, auch im gewöhnlichen Leben,
und häufig Ideen wieder aufnahm, die wir andern vor einiger Zeit hatten fallen
lassen, sagte jetzt im Anschluß an Lunds Äußerungen über die Zeit der Jugend-
Ja, das ist alles ganz schön, das mit der Erotik -- es ist nur ein Jammer, daß
hier im Leben soviel davon verloren geht -- ebenso wie von Tönen und von
Blumenstaub, der mit dem Winde fliegt.


Grenzboten IV 1909 48


Die Gremitagenallee
Sophns Banditz. Erzählung von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann
(Schluß)

WM>a, ich kann nun allerdings nicht den Zusammenhang zwischen dieser
Geschichte und der Lunds sehen, wandte Eller ein.

Da ist auch weiter keiner, erwiderte ich, als daß es sich in
beiden Fällen darum handelt, daß ein Mann, der so glücklich ge¬
wesen ist, eine Gunst, oder wie du es nennen willst, von einer Frau
I zu empfangen, verwandelt wird, etwas tut, was er sonst nicht getan
haben würde. Wäre der Leutnant Dichter gewesen, so hätte er ein unsterbliches
Gedicht geschrieben, und wäre er Gelehrter gewesen, so hätte er vermutlich die
Welt mit einer epochemachenden Erfindung bereichert. Nun war er nur Soldat,
und was konnte er da andres tun als für sein Land fallen? Mich dünkt, das ist
so einfach, es mußte so kommen — ebenso wie ich finde, daß das unmittelbar
Ergreifendste hier in der Welt eine schöne Frau ist und ein mutiger Mann.

Darin mag etwas sein, räumte Lund ein. Aber Eros ist doch ein mächtigerer
Gott als Mars!

Na na! brummte Eller.

Ja, unbedingt! — Wenn wir ganz ehrlich sein wollen, jetzt sitzen wir vier
ältesten Kavaliere hier —

Na im! brummte Eller von neuem.

Ja, ältere Kavaliere, sage ich! Wir haben alle im Leben etwas erreicht, wir
sitzen hier trocken unter Dach im Schloßkrug, wahrend der Regen herabströmt, und
wir haben Zigarren und Rüdesheimer — da ist noch eine ganze Flasche —, und
doch würden wir ja alle, ohne uns zu bedenken, das und vieles andre hingeben,
könnten wir eine Stunde wirklicher Jugend fühlen, könnten wir den Flügelschlag
des großen Eros spüren — Herrgott, daß der Regen auch nicht aufhören will! rief
er mit einem plötzlichen Übergang aus. Ich habe mich wie ein Kind darauf gefreut,
die Sonne untergehn zu sehen! Ich liebe es, die Sonne untergehn zu sehen, nicht
sie aufgehen zu sehn — das tut sie immer zu einer so unmenschlichen Zeit. Wenn
es sich doch nur aufklären wollte!

Ich teilte Lunds Wunsch vollkommen, und namentlich konnte ich es nicht lassen,
fortwährend an den Fremden zu denken, der — wie ich vermutete — „Ast" im
goldnen Schimmer des Sonnenuntergangs treffen wollte — und mußte.

Frederik Gjedde, der ein wenig schwerfällig war, auch im gewöhnlichen Leben,
und häufig Ideen wieder aufnahm, die wir andern vor einiger Zeit hatten fallen
lassen, sagte jetzt im Anschluß an Lunds Äußerungen über die Zeit der Jugend-
Ja, das ist alles ganz schön, das mit der Erotik — es ist nur ein Jammer, daß
hier im Leben soviel davon verloren geht — ebenso wie von Tönen und von
Blumenstaub, der mit dem Winde fliegt.


Grenzboten IV 1909 48
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314728"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341889_314346/figures/grenzboten_341889_314346_314728_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Gremitagenallee<lb/><note type="byline"> Sophns Banditz. </note> Erzählung von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann<lb/>
(Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1753"> WM&gt;a, ich kann nun allerdings nicht den Zusammenhang zwischen dieser<lb/>
Geschichte und der Lunds sehen, wandte Eller ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1754"> Da ist auch weiter keiner, erwiderte ich, als daß es sich in<lb/>
beiden Fällen darum handelt, daß ein Mann, der so glücklich ge¬<lb/>
wesen ist, eine Gunst, oder wie du es nennen willst, von einer Frau<lb/>
I zu empfangen, verwandelt wird, etwas tut, was er sonst nicht getan<lb/>
haben würde. Wäre der Leutnant Dichter gewesen, so hätte er ein unsterbliches<lb/>
Gedicht geschrieben, und wäre er Gelehrter gewesen, so hätte er vermutlich die<lb/>
Welt mit einer epochemachenden Erfindung bereichert. Nun war er nur Soldat,<lb/>
und was konnte er da andres tun als für sein Land fallen? Mich dünkt, das ist<lb/>
so einfach, es mußte so kommen &#x2014; ebenso wie ich finde, daß das unmittelbar<lb/>
Ergreifendste hier in der Welt eine schöne Frau ist und ein mutiger Mann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1755"> Darin mag etwas sein, räumte Lund ein. Aber Eros ist doch ein mächtigerer<lb/>
Gott als Mars!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1756"> Na na! brummte Eller.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1757"> Ja, unbedingt! &#x2014; Wenn wir ganz ehrlich sein wollen, jetzt sitzen wir vier<lb/>
ältesten Kavaliere hier &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1758"> Na im! brummte Eller von neuem.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1759"> Ja, ältere Kavaliere, sage ich! Wir haben alle im Leben etwas erreicht, wir<lb/>
sitzen hier trocken unter Dach im Schloßkrug, wahrend der Regen herabströmt, und<lb/>
wir haben Zigarren und Rüdesheimer &#x2014; da ist noch eine ganze Flasche &#x2014;, und<lb/>
doch würden wir ja alle, ohne uns zu bedenken, das und vieles andre hingeben,<lb/>
könnten wir eine Stunde wirklicher Jugend fühlen, könnten wir den Flügelschlag<lb/>
des großen Eros spüren &#x2014; Herrgott, daß der Regen auch nicht aufhören will! rief<lb/>
er mit einem plötzlichen Übergang aus. Ich habe mich wie ein Kind darauf gefreut,<lb/>
die Sonne untergehn zu sehen! Ich liebe es, die Sonne untergehn zu sehen, nicht<lb/>
sie aufgehen zu sehn &#x2014; das tut sie immer zu einer so unmenschlichen Zeit. Wenn<lb/>
es sich doch nur aufklären wollte!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1760"> Ich teilte Lunds Wunsch vollkommen, und namentlich konnte ich es nicht lassen,<lb/>
fortwährend an den Fremden zu denken, der &#x2014; wie ich vermutete &#x2014; &#x201E;Ast" im<lb/>
goldnen Schimmer des Sonnenuntergangs treffen wollte &#x2014; und mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1761"> Frederik Gjedde, der ein wenig schwerfällig war, auch im gewöhnlichen Leben,<lb/>
und häufig Ideen wieder aufnahm, die wir andern vor einiger Zeit hatten fallen<lb/>
lassen, sagte jetzt im Anschluß an Lunds Äußerungen über die Zeit der Jugend-<lb/>
Ja, das ist alles ganz schön, das mit der Erotik &#x2014; es ist nur ein Jammer, daß<lb/>
hier im Leben soviel davon verloren geht &#x2014; ebenso wie von Tönen und von<lb/>
Blumenstaub, der mit dem Winde fliegt.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1909 48</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0381] [Abbildung] Die Gremitagenallee Sophns Banditz. Erzählung von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann (Schluß) WM>a, ich kann nun allerdings nicht den Zusammenhang zwischen dieser Geschichte und der Lunds sehen, wandte Eller ein. Da ist auch weiter keiner, erwiderte ich, als daß es sich in beiden Fällen darum handelt, daß ein Mann, der so glücklich ge¬ wesen ist, eine Gunst, oder wie du es nennen willst, von einer Frau I zu empfangen, verwandelt wird, etwas tut, was er sonst nicht getan haben würde. Wäre der Leutnant Dichter gewesen, so hätte er ein unsterbliches Gedicht geschrieben, und wäre er Gelehrter gewesen, so hätte er vermutlich die Welt mit einer epochemachenden Erfindung bereichert. Nun war er nur Soldat, und was konnte er da andres tun als für sein Land fallen? Mich dünkt, das ist so einfach, es mußte so kommen — ebenso wie ich finde, daß das unmittelbar Ergreifendste hier in der Welt eine schöne Frau ist und ein mutiger Mann. Darin mag etwas sein, räumte Lund ein. Aber Eros ist doch ein mächtigerer Gott als Mars! Na na! brummte Eller. Ja, unbedingt! — Wenn wir ganz ehrlich sein wollen, jetzt sitzen wir vier ältesten Kavaliere hier — Na im! brummte Eller von neuem. Ja, ältere Kavaliere, sage ich! Wir haben alle im Leben etwas erreicht, wir sitzen hier trocken unter Dach im Schloßkrug, wahrend der Regen herabströmt, und wir haben Zigarren und Rüdesheimer — da ist noch eine ganze Flasche —, und doch würden wir ja alle, ohne uns zu bedenken, das und vieles andre hingeben, könnten wir eine Stunde wirklicher Jugend fühlen, könnten wir den Flügelschlag des großen Eros spüren — Herrgott, daß der Regen auch nicht aufhören will! rief er mit einem plötzlichen Übergang aus. Ich habe mich wie ein Kind darauf gefreut, die Sonne untergehn zu sehen! Ich liebe es, die Sonne untergehn zu sehen, nicht sie aufgehen zu sehn — das tut sie immer zu einer so unmenschlichen Zeit. Wenn es sich doch nur aufklären wollte! Ich teilte Lunds Wunsch vollkommen, und namentlich konnte ich es nicht lassen, fortwährend an den Fremden zu denken, der — wie ich vermutete — „Ast" im goldnen Schimmer des Sonnenuntergangs treffen wollte — und mußte. Frederik Gjedde, der ein wenig schwerfällig war, auch im gewöhnlichen Leben, und häufig Ideen wieder aufnahm, die wir andern vor einiger Zeit hatten fallen lassen, sagte jetzt im Anschluß an Lunds Äußerungen über die Zeit der Jugend- Ja, das ist alles ganz schön, das mit der Erotik — es ist nur ein Jammer, daß hier im Leben soviel davon verloren geht — ebenso wie von Tönen und von Blumenstaub, der mit dem Winde fliegt. Grenzboten IV 1909 48

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/381
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/381>, abgerufen am 03.05.2024.