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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Bürgerliche Kultur

narrheiten und vieles andere finden wir, häufig nach den stets drastischen und
plastischen Äußerungen des Meisters selbst, mitgeteilt. So wird dieses Buch, wie
die Werke Buschs selbst, seineu Platz in der Literatur behaupten.


Wilhelm Pocal


Bürgerliche Aultur
Entwicklungstendenzen der modernen, dekorativen Kunst

le moderne dekorative Bewegung, die Architektur, Raumkunst und
Kunstgewerbe umfaßt, ist eine städtische Bewegung. Erst bestimmte
große Zentren -- seien es Kunstzentren, seien es Industrie¬
zentren -- machen eine solche bewußte Willensanstrengung möglich.

In den kleineren Zentren wird diese Bewegung von den
höheren kunstfreundlichen Kreisen gefördert, in den großen Städten wird sie von
der Industrie getragen, die bald merkt, daß ihr hier ein neues Mittel um¬
fassendster, einwandfreier künstlerischer Reklame erwächst.

In beiden Fällen sind es die Künstler, die den Anstoß geben. Und in
beiden Füllen dient die Kunst dazu, zu blenden, die eigene Stellung dadurch
mit Glanz zu umgeben. Die Kunst wird damit uicht erniedrigt. Es ist nicht
zu verlangen, daß das Kunstverständnis sich von selbst so weit ausbreitet, daß
instinktiv ein Durchdringen zur künstlerischen Gestaltung der Umgebung, der
Bedarfsgegenstände stattfindet. Die Industrie braucht nur ihrem Wesen treu zu
bleiben, energisch nach neuen Mitteln zu suchen, Aufsehen zu erregen, und sie
wird und muß auf die Kunst verfallen. Das um so sicherer, je mehr das
Publikum in seinen Urteilen sich künstlerisch differenziert, woran ja allenthalben
gearbeitet wird. Es treffen sich hier also die beiden Interessenten Industrie
und Publikum in einen: Punkte.

Der Fürst des kleineren Hofes, der die moderne Bewegung unterstützt, sich
ihr scheinbar dienstbar macht, tut das aus demselben Grunde wie in der Gro߬
stadt die Industrie. Er schafft sich eine neue Ausnahmestellung. Er blendet
das Publikum. Und er kann es, weil das Publikum hier sich nicht in der
"vorgeschrittenen" Entwicklung befindet wie in der Großstadt. Er zeigt, wie
weiten Ausblick er hat; er geht dem Publikum voraus. Er ist Mäzen aus
demselben Grunde, wie die Fürsten der früheren Jahrhunderte Mäzene waren.
Die Menge war zurückgeblieben, dumpf. Der Fürst aufgeklärt, er gab Ziel-


Bürgerliche Kultur

narrheiten und vieles andere finden wir, häufig nach den stets drastischen und
plastischen Äußerungen des Meisters selbst, mitgeteilt. So wird dieses Buch, wie
die Werke Buschs selbst, seineu Platz in der Literatur behaupten.


Wilhelm Pocal


Bürgerliche Aultur
Entwicklungstendenzen der modernen, dekorativen Kunst

le moderne dekorative Bewegung, die Architektur, Raumkunst und
Kunstgewerbe umfaßt, ist eine städtische Bewegung. Erst bestimmte
große Zentren — seien es Kunstzentren, seien es Industrie¬
zentren — machen eine solche bewußte Willensanstrengung möglich.

In den kleineren Zentren wird diese Bewegung von den
höheren kunstfreundlichen Kreisen gefördert, in den großen Städten wird sie von
der Industrie getragen, die bald merkt, daß ihr hier ein neues Mittel um¬
fassendster, einwandfreier künstlerischer Reklame erwächst.

In beiden Fällen sind es die Künstler, die den Anstoß geben. Und in
beiden Füllen dient die Kunst dazu, zu blenden, die eigene Stellung dadurch
mit Glanz zu umgeben. Die Kunst wird damit uicht erniedrigt. Es ist nicht
zu verlangen, daß das Kunstverständnis sich von selbst so weit ausbreitet, daß
instinktiv ein Durchdringen zur künstlerischen Gestaltung der Umgebung, der
Bedarfsgegenstände stattfindet. Die Industrie braucht nur ihrem Wesen treu zu
bleiben, energisch nach neuen Mitteln zu suchen, Aufsehen zu erregen, und sie
wird und muß auf die Kunst verfallen. Das um so sicherer, je mehr das
Publikum in seinen Urteilen sich künstlerisch differenziert, woran ja allenthalben
gearbeitet wird. Es treffen sich hier also die beiden Interessenten Industrie
und Publikum in einen: Punkte.

Der Fürst des kleineren Hofes, der die moderne Bewegung unterstützt, sich
ihr scheinbar dienstbar macht, tut das aus demselben Grunde wie in der Gro߬
stadt die Industrie. Er schafft sich eine neue Ausnahmestellung. Er blendet
das Publikum. Und er kann es, weil das Publikum hier sich nicht in der
„vorgeschrittenen" Entwicklung befindet wie in der Großstadt. Er zeigt, wie
weiten Ausblick er hat; er geht dem Publikum voraus. Er ist Mäzen aus
demselben Grunde, wie die Fürsten der früheren Jahrhunderte Mäzene waren.
Die Menge war zurückgeblieben, dumpf. Der Fürst aufgeklärt, er gab Ziel-


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[0400] Bürgerliche Kultur narrheiten und vieles andere finden wir, häufig nach den stets drastischen und plastischen Äußerungen des Meisters selbst, mitgeteilt. So wird dieses Buch, wie die Werke Buschs selbst, seineu Platz in der Literatur behaupten. Wilhelm Pocal Bürgerliche Aultur Entwicklungstendenzen der modernen, dekorativen Kunst le moderne dekorative Bewegung, die Architektur, Raumkunst und Kunstgewerbe umfaßt, ist eine städtische Bewegung. Erst bestimmte große Zentren — seien es Kunstzentren, seien es Industrie¬ zentren — machen eine solche bewußte Willensanstrengung möglich. In den kleineren Zentren wird diese Bewegung von den höheren kunstfreundlichen Kreisen gefördert, in den großen Städten wird sie von der Industrie getragen, die bald merkt, daß ihr hier ein neues Mittel um¬ fassendster, einwandfreier künstlerischer Reklame erwächst. In beiden Fällen sind es die Künstler, die den Anstoß geben. Und in beiden Füllen dient die Kunst dazu, zu blenden, die eigene Stellung dadurch mit Glanz zu umgeben. Die Kunst wird damit uicht erniedrigt. Es ist nicht zu verlangen, daß das Kunstverständnis sich von selbst so weit ausbreitet, daß instinktiv ein Durchdringen zur künstlerischen Gestaltung der Umgebung, der Bedarfsgegenstände stattfindet. Die Industrie braucht nur ihrem Wesen treu zu bleiben, energisch nach neuen Mitteln zu suchen, Aufsehen zu erregen, und sie wird und muß auf die Kunst verfallen. Das um so sicherer, je mehr das Publikum in seinen Urteilen sich künstlerisch differenziert, woran ja allenthalben gearbeitet wird. Es treffen sich hier also die beiden Interessenten Industrie und Publikum in einen: Punkte. Der Fürst des kleineren Hofes, der die moderne Bewegung unterstützt, sich ihr scheinbar dienstbar macht, tut das aus demselben Grunde wie in der Gro߬ stadt die Industrie. Er schafft sich eine neue Ausnahmestellung. Er blendet das Publikum. Und er kann es, weil das Publikum hier sich nicht in der „vorgeschrittenen" Entwicklung befindet wie in der Großstadt. Er zeigt, wie weiten Ausblick er hat; er geht dem Publikum voraus. Er ist Mäzen aus demselben Grunde, wie die Fürsten der früheren Jahrhunderte Mäzene waren. Die Menge war zurückgeblieben, dumpf. Der Fürst aufgeklärt, er gab Ziel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/400>, abgerufen am 05.05.2024.