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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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sumurun
vom Überbrettl zum Unterbrettl

le hat das kurze, wenig freudige Schicksal gehabt, das den Stücken
vom Schlüsse der Spielzeit beschieden zu sein pflegt. Angekündigt
mit all dem überschwnnglichen Lärm, den ein kundiger Theater¬
direktor zu erzeugen versteht, ausgestattet mit ersten Schlägern und
doch mit einer weisen Sparsamkeit, schleppte sich "die erste Frau
des Scheichs" durch etliche Wochen scheinbar erfolgreich hin, um dann sanft zu
entschlafen, wahrscheinlich für immer.

Seltsam, höchst seltsam ist die Geschichte von Sumurun, das versicherte
wenigstens der verträumte Teppichhändler als Prologus. Den meisten Zuschauern
ist sie wahrscheinlich nur langweilig gewesen und all die Theaterkunststückchen,
der Blnmensteg und der plump karikaturenhafte Prunk eines Simili-Orients
vermochten nicht hinwegzutäuschen über die urgründige Langeweile, die das
ewige Hin- und Herschubsen des scheintoten Buckligen auf der Bühne erzeugen
muß. In der Erzählung macht sich das ganz nett. Die langwierigen Prozeduren
des Transports fallen da ganz weg. Man empfindet nur die gruselige Komik,
die in der Verblüffung der immer neuen Finder und vermeintlichen Mörder des
scheintoten liegt. Auf dem Theater drängen sich die zeitraubenden und obendrein
nur ungenügend darstellbaren Schwierigkeiten der Leichcnbeförderung so sehr in
den Vordergrund, dasz alle anderen Teile der Handlung darunter leiden, um so
mehr leiden, als der Nachdruck des Wortes fehlt. Selbst Grete Wiesenthals feines,
ausdruckvolles Spiel kann den derben Packträgerpantomimen gegenüber kaum
aufkommen.

Und doch ist Sumurun eine seltsame Geschichte, wenn man sie in der rechten
Weise betrachtet. Kurzweilig wird sie auch dann nicht, aber lehrreich, höchst
lehrreich.

Uhland hat das Märchen vom Dornröschen literarisch gedeutet. Das ver¬
zauberte Königskind ist die deutsche Poesie, die von der Stubenpocsie in viel-
hundertjährigen Schlaf versenkt und von dem Prinzen, dein gottbegnadeter Genius,
zu neuem Leben geküßt wird. Eine nachträgliche, aber packende Auslegung eines
uralten Naturmythus.

Ob die Märchen aus Tausendundeiner Nacht auch Gleichnisse tiefgründiger Welt¬
anschauungsgedanken sind, das mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls steht es frei,
sie auf moderne Verhältnisse zu deuten. Man setze für den Scheich den Direktor
eines großstädtischen Theaters und man wird erstaunt sein, wie sich aus Sumurun




sumurun
vom Überbrettl zum Unterbrettl

le hat das kurze, wenig freudige Schicksal gehabt, das den Stücken
vom Schlüsse der Spielzeit beschieden zu sein pflegt. Angekündigt
mit all dem überschwnnglichen Lärm, den ein kundiger Theater¬
direktor zu erzeugen versteht, ausgestattet mit ersten Schlägern und
doch mit einer weisen Sparsamkeit, schleppte sich „die erste Frau
des Scheichs" durch etliche Wochen scheinbar erfolgreich hin, um dann sanft zu
entschlafen, wahrscheinlich für immer.

Seltsam, höchst seltsam ist die Geschichte von Sumurun, das versicherte
wenigstens der verträumte Teppichhändler als Prologus. Den meisten Zuschauern
ist sie wahrscheinlich nur langweilig gewesen und all die Theaterkunststückchen,
der Blnmensteg und der plump karikaturenhafte Prunk eines Simili-Orients
vermochten nicht hinwegzutäuschen über die urgründige Langeweile, die das
ewige Hin- und Herschubsen des scheintoten Buckligen auf der Bühne erzeugen
muß. In der Erzählung macht sich das ganz nett. Die langwierigen Prozeduren
des Transports fallen da ganz weg. Man empfindet nur die gruselige Komik,
die in der Verblüffung der immer neuen Finder und vermeintlichen Mörder des
scheintoten liegt. Auf dem Theater drängen sich die zeitraubenden und obendrein
nur ungenügend darstellbaren Schwierigkeiten der Leichcnbeförderung so sehr in
den Vordergrund, dasz alle anderen Teile der Handlung darunter leiden, um so
mehr leiden, als der Nachdruck des Wortes fehlt. Selbst Grete Wiesenthals feines,
ausdruckvolles Spiel kann den derben Packträgerpantomimen gegenüber kaum
aufkommen.

Und doch ist Sumurun eine seltsame Geschichte, wenn man sie in der rechten
Weise betrachtet. Kurzweilig wird sie auch dann nicht, aber lehrreich, höchst
lehrreich.

Uhland hat das Märchen vom Dornröschen literarisch gedeutet. Das ver¬
zauberte Königskind ist die deutsche Poesie, die von der Stubenpocsie in viel-
hundertjährigen Schlaf versenkt und von dem Prinzen, dein gottbegnadeter Genius,
zu neuem Leben geküßt wird. Eine nachträgliche, aber packende Auslegung eines
uralten Naturmythus.

Ob die Märchen aus Tausendundeiner Nacht auch Gleichnisse tiefgründiger Welt¬
anschauungsgedanken sind, das mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls steht es frei,
sie auf moderne Verhältnisse zu deuten. Man setze für den Scheich den Direktor
eines großstädtischen Theaters und man wird erstaunt sein, wie sich aus Sumurun


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[0448] [Abbildung] sumurun vom Überbrettl zum Unterbrettl le hat das kurze, wenig freudige Schicksal gehabt, das den Stücken vom Schlüsse der Spielzeit beschieden zu sein pflegt. Angekündigt mit all dem überschwnnglichen Lärm, den ein kundiger Theater¬ direktor zu erzeugen versteht, ausgestattet mit ersten Schlägern und doch mit einer weisen Sparsamkeit, schleppte sich „die erste Frau des Scheichs" durch etliche Wochen scheinbar erfolgreich hin, um dann sanft zu entschlafen, wahrscheinlich für immer. Seltsam, höchst seltsam ist die Geschichte von Sumurun, das versicherte wenigstens der verträumte Teppichhändler als Prologus. Den meisten Zuschauern ist sie wahrscheinlich nur langweilig gewesen und all die Theaterkunststückchen, der Blnmensteg und der plump karikaturenhafte Prunk eines Simili-Orients vermochten nicht hinwegzutäuschen über die urgründige Langeweile, die das ewige Hin- und Herschubsen des scheintoten Buckligen auf der Bühne erzeugen muß. In der Erzählung macht sich das ganz nett. Die langwierigen Prozeduren des Transports fallen da ganz weg. Man empfindet nur die gruselige Komik, die in der Verblüffung der immer neuen Finder und vermeintlichen Mörder des scheintoten liegt. Auf dem Theater drängen sich die zeitraubenden und obendrein nur ungenügend darstellbaren Schwierigkeiten der Leichcnbeförderung so sehr in den Vordergrund, dasz alle anderen Teile der Handlung darunter leiden, um so mehr leiden, als der Nachdruck des Wortes fehlt. Selbst Grete Wiesenthals feines, ausdruckvolles Spiel kann den derben Packträgerpantomimen gegenüber kaum aufkommen. Und doch ist Sumurun eine seltsame Geschichte, wenn man sie in der rechten Weise betrachtet. Kurzweilig wird sie auch dann nicht, aber lehrreich, höchst lehrreich. Uhland hat das Märchen vom Dornröschen literarisch gedeutet. Das ver¬ zauberte Königskind ist die deutsche Poesie, die von der Stubenpocsie in viel- hundertjährigen Schlaf versenkt und von dem Prinzen, dein gottbegnadeter Genius, zu neuem Leben geküßt wird. Eine nachträgliche, aber packende Auslegung eines uralten Naturmythus. Ob die Märchen aus Tausendundeiner Nacht auch Gleichnisse tiefgründiger Welt¬ anschauungsgedanken sind, das mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls steht es frei, sie auf moderne Verhältnisse zu deuten. Man setze für den Scheich den Direktor eines großstädtischen Theaters und man wird erstaunt sein, wie sich aus Sumurun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/448>, abgerufen am 05.05.2024.