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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Mnchens Geheimnis

diese Befugnis nehmen lassen. Der häufigste Fall ist die Kuponsteuer auf
die eignen Anleihen des besteuernden Staates. Sie ist nichts als eine
einseitige Herabsetzung des Zinsfußes.

Dagegen bedeutet das Völkerprivatrecht wie das Völkerrecht eine Schranke
für die Gewalt, die die unterste Grundlage bildet von allem einzelstaatlichen
Gesetzesrecht. Da herrscht nur die Rechtschöpfung aus der Überzeugung vieler
Gleichberechtigten heraus, die sich betätigt in ausdrücklichen Abkommen oder
dauernder tatsächlicher Übung. Zwar erscheint die Gewalt viel häufiger im
Verkehr der Staaten untereinander als im Innern der Staaten, auch dient sie
dort öfter dem Erwerbe von Rechten, z. B. bei der Eroberung; aber sie kann
dort niemals Rechtssätze schaffen, wie sie im Einzelstaat die Verfassung und
damit mittelbar andre Gesetze erzeugen kann. Sollten aber einmal die Staaten
zu einer großen völkerrechtlichen Einheit zusammentreten, dann wird dort für
die Gewalt, indem sie sich der Verfassung dieser Einheit bemächtigt, die
Möglichkeit gegeben sein, in letzter Reihe Recht zu erzeugen. Die Gewalt
würde dann auch Völkerrecht schaffen können.

Wird aber die Rechtschaffung durch die Gewalt sich niemals durch etwas
anderes ersetzen lassen? Eins wäre in Zukunft möglich: Es könnten alle
gewaltsamen Verfassungsänderungen der Vergangenheit durch stete, langdauernde
Gesetzlichkett so in den Hintergrund der Erinnerung geraten und die Gesetzes¬
treue bei Herrschern und Beherrschten könnte so stark werden, daß tatsächlich
in allen Staaten die Möglichkeit einer gewaltsamen Verfassungsänderung in
sehr große Ferne rückt, und man wird sagen können: Geschichtlich beruht unser
Recht vielfach auf Gewalt, aber jetzt und in Zukunft entsteht das Gesetz nur
aus dem Gesetz. Doch das ist ferne Zukunft und nicht Gegenwart.




Minchens Geheimnis
Max Hoffmcinn Novelle von

SMMU
HMAMM! Is der Berliner Hausbesitzer und Rentner Gottlieb Hegerbarth am
frühen Morgen des 1". März 1848 ein Fenster des Wohnzimmers
! öffnete und hinaussah, lag die Frankfurter Straße, die er über¬
blickte, noch in friedlicher Ruhe. Es war ein klarer, ziemlich kühler
I Vorfrühlingstag und das Wasser in den Rinnsteinen zu beiden
Seiten des holprigen Dammes leicht übergefroren. Den Hinaus¬
schauenden fröstelte trotz seines guten, dicken Schlafrocks und des schönbestickten,
mit grüner Troddel versehenen Knppchens auf seinem runden Haupt. Eben wollte
er deshalb das Fenster wieder schließen, da wurde seine Aufmerksamkeit durch ein
Stimmengewirr, das von: Frankfurter Tor zu ihm drang, gefesselt, und er steckte
den Kopf rasch wieder hinaus.


Mnchens Geheimnis

diese Befugnis nehmen lassen. Der häufigste Fall ist die Kuponsteuer auf
die eignen Anleihen des besteuernden Staates. Sie ist nichts als eine
einseitige Herabsetzung des Zinsfußes.

Dagegen bedeutet das Völkerprivatrecht wie das Völkerrecht eine Schranke
für die Gewalt, die die unterste Grundlage bildet von allem einzelstaatlichen
Gesetzesrecht. Da herrscht nur die Rechtschöpfung aus der Überzeugung vieler
Gleichberechtigten heraus, die sich betätigt in ausdrücklichen Abkommen oder
dauernder tatsächlicher Übung. Zwar erscheint die Gewalt viel häufiger im
Verkehr der Staaten untereinander als im Innern der Staaten, auch dient sie
dort öfter dem Erwerbe von Rechten, z. B. bei der Eroberung; aber sie kann
dort niemals Rechtssätze schaffen, wie sie im Einzelstaat die Verfassung und
damit mittelbar andre Gesetze erzeugen kann. Sollten aber einmal die Staaten
zu einer großen völkerrechtlichen Einheit zusammentreten, dann wird dort für
die Gewalt, indem sie sich der Verfassung dieser Einheit bemächtigt, die
Möglichkeit gegeben sein, in letzter Reihe Recht zu erzeugen. Die Gewalt
würde dann auch Völkerrecht schaffen können.

Wird aber die Rechtschaffung durch die Gewalt sich niemals durch etwas
anderes ersetzen lassen? Eins wäre in Zukunft möglich: Es könnten alle
gewaltsamen Verfassungsänderungen der Vergangenheit durch stete, langdauernde
Gesetzlichkett so in den Hintergrund der Erinnerung geraten und die Gesetzes¬
treue bei Herrschern und Beherrschten könnte so stark werden, daß tatsächlich
in allen Staaten die Möglichkeit einer gewaltsamen Verfassungsänderung in
sehr große Ferne rückt, und man wird sagen können: Geschichtlich beruht unser
Recht vielfach auf Gewalt, aber jetzt und in Zukunft entsteht das Gesetz nur
aus dem Gesetz. Doch das ist ferne Zukunft und nicht Gegenwart.




Minchens Geheimnis
Max Hoffmcinn Novelle von

SMMU
HMAMM! Is der Berliner Hausbesitzer und Rentner Gottlieb Hegerbarth am
frühen Morgen des 1». März 1848 ein Fenster des Wohnzimmers
! öffnete und hinaussah, lag die Frankfurter Straße, die er über¬
blickte, noch in friedlicher Ruhe. Es war ein klarer, ziemlich kühler
I Vorfrühlingstag und das Wasser in den Rinnsteinen zu beiden
Seiten des holprigen Dammes leicht übergefroren. Den Hinaus¬
schauenden fröstelte trotz seines guten, dicken Schlafrocks und des schönbestickten,
mit grüner Troddel versehenen Knppchens auf seinem runden Haupt. Eben wollte
er deshalb das Fenster wieder schließen, da wurde seine Aufmerksamkeit durch ein
Stimmengewirr, das von: Frankfurter Tor zu ihm drang, gefesselt, und er steckte
den Kopf rasch wieder hinaus.


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[0242] Mnchens Geheimnis diese Befugnis nehmen lassen. Der häufigste Fall ist die Kuponsteuer auf die eignen Anleihen des besteuernden Staates. Sie ist nichts als eine einseitige Herabsetzung des Zinsfußes. Dagegen bedeutet das Völkerprivatrecht wie das Völkerrecht eine Schranke für die Gewalt, die die unterste Grundlage bildet von allem einzelstaatlichen Gesetzesrecht. Da herrscht nur die Rechtschöpfung aus der Überzeugung vieler Gleichberechtigten heraus, die sich betätigt in ausdrücklichen Abkommen oder dauernder tatsächlicher Übung. Zwar erscheint die Gewalt viel häufiger im Verkehr der Staaten untereinander als im Innern der Staaten, auch dient sie dort öfter dem Erwerbe von Rechten, z. B. bei der Eroberung; aber sie kann dort niemals Rechtssätze schaffen, wie sie im Einzelstaat die Verfassung und damit mittelbar andre Gesetze erzeugen kann. Sollten aber einmal die Staaten zu einer großen völkerrechtlichen Einheit zusammentreten, dann wird dort für die Gewalt, indem sie sich der Verfassung dieser Einheit bemächtigt, die Möglichkeit gegeben sein, in letzter Reihe Recht zu erzeugen. Die Gewalt würde dann auch Völkerrecht schaffen können. Wird aber die Rechtschaffung durch die Gewalt sich niemals durch etwas anderes ersetzen lassen? Eins wäre in Zukunft möglich: Es könnten alle gewaltsamen Verfassungsänderungen der Vergangenheit durch stete, langdauernde Gesetzlichkett so in den Hintergrund der Erinnerung geraten und die Gesetzes¬ treue bei Herrschern und Beherrschten könnte so stark werden, daß tatsächlich in allen Staaten die Möglichkeit einer gewaltsamen Verfassungsänderung in sehr große Ferne rückt, und man wird sagen können: Geschichtlich beruht unser Recht vielfach auf Gewalt, aber jetzt und in Zukunft entsteht das Gesetz nur aus dem Gesetz. Doch das ist ferne Zukunft und nicht Gegenwart. Minchens Geheimnis Max Hoffmcinn Novelle von SMMU HMAMM! Is der Berliner Hausbesitzer und Rentner Gottlieb Hegerbarth am frühen Morgen des 1». März 1848 ein Fenster des Wohnzimmers ! öffnete und hinaussah, lag die Frankfurter Straße, die er über¬ blickte, noch in friedlicher Ruhe. Es war ein klarer, ziemlich kühler I Vorfrühlingstag und das Wasser in den Rinnsteinen zu beiden Seiten des holprigen Dammes leicht übergefroren. Den Hinaus¬ schauenden fröstelte trotz seines guten, dicken Schlafrocks und des schönbestickten, mit grüner Troddel versehenen Knppchens auf seinem runden Haupt. Eben wollte er deshalb das Fenster wieder schließen, da wurde seine Aufmerksamkeit durch ein Stimmengewirr, das von: Frankfurter Tor zu ihm drang, gefesselt, und er steckte den Kopf rasch wieder hinaus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/242>, abgerufen am 06.05.2024.