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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Sonntagsbriefe aus dem Bauernhaus

Wenn im Jahre 1903 zugunsten der Auswanderung nach Deutschland eine Agitation statt¬
fand, so geschah dies eben von Leuten, die auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen die Ver¬
pflanzung der gefährdeten Gemeinde als einzige Rettung der zersprengten kleinen Vorposten
betrachteten. Die Ansiedlungskommission selbst hat von Anfang an Wert darauf gelegt,
Positionen, in denen das Deutschtum Aussicht hat, seine Stellung zu halten, nicht zu schwächen.
So wurden und werden alle Bewerber aus Westgalizien (der Gegend um Biala), aus
Mähren, Österreich-Schlesien, Böhmen, Siebenbürgen usw. grundsätzlich abgelehnt. Sobald
bekannt wurde, daß die galizischen Deutschen auch in den zerstreuten, national höchst
gefährdeten Ortschaften sich zu dem Bunde der Deutschen Galiziens zusammenschlossen, hat
jede Werbearbeit für die Ansiedlungskommission aufgehört, was freilich nicht hindert, daß
dauernd Nachfragen aus Galizien an die Ansiedlungskommission gelangen. Die in Posen
und Westpreußen angesiedelten galizischen Rückwanderer finden zum überwiegend größten Teile
ihr gutes Vorwärtskommen und sitzen, vermischt'mit anderen Deutschen, in blühenden
Ansiedlungen. Wenn auch in teilweise Polnischer Umgebung ist ihre nationale Stellung doch,
wie kaum erwähnt zu werden braucht, eine ganz andere wie in Galizien; Schule, Gemeinde¬
verwaltung, Behörden usw. sind rein deutsch. Diese Rückwanderer nützen nicht nur in Posen
dein Deutschtum, Sündern sie sind dem Deutschtum für alle Zeiten erhalten, was zum mindesten
sehr fraglich wäre, wenn sie in Galizien geblieben wären, und was zweifellos in zwei
Generationen nicht mehr der Fall wäre, wenn sie nach Amerika ausgewandert wären. Im
ganzen sind von 1899 bis Ende 1909 13S0 Familien aus Galizien in Posen und Westpreußen
Gramsch angesiedelt worden."

Wir würden uns freuen, wenn diese Angaben geeignet wären, das Mi߬
trauen der Deutschen Galiziens gegen unsere Regierung wenigstens abzuschwächen.


G. Li.


^onntagsbriefe aus dem Vauernhaus
Joseph Aug. Tux von (Schluß.)
Fünfter Sonntag.

Der schöne starke Junge soll einmal ein tüchtiger Bauer werden. Seit seiner
Geburt herrscht eitel Freude im Hause. Die Bäuerin ist von ihren Angstzuständen
erlöst, der Bauer ist stillvergnügt, die Dirn pflegt sich. Es wird beschlossen, zur
Aushilfe einen Knecht ins Haus zu nehmen. Es kommen Tage, wo es reine
Wonne ist, "im Elend" zu sitzen. Im stillen bitte ich den Leuten das Unrecht
ab, das ich ihnen getan habe. Sie sind gar nicht so bös, wie es mir zuweilen
schien. Sie sind die Güte selber. Es liegt nur an meiner Schwarzseherei. Fried¬
licher und schöner kann man nirgends leben als in dieser Geborgenheit. Freilich
schickt der Himmel manche Prüfung. Der kräftige Säugling wird plötzlich krank.
Die Sorge und Liebe der Hausgenossen verdoppeln sich. Alle sind zugleich um
ihn geschäftig. "Was er denn nur hat, der Bub?! Man hat ihm doch schon seit
dem dritten Tage nach der Geburt feste Nahrung gegeben, damit es vorhalte und
daß er ein starker, gesunder Bengel werdet"


Sonntagsbriefe aus dem Bauernhaus

Wenn im Jahre 1903 zugunsten der Auswanderung nach Deutschland eine Agitation statt¬
fand, so geschah dies eben von Leuten, die auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen die Ver¬
pflanzung der gefährdeten Gemeinde als einzige Rettung der zersprengten kleinen Vorposten
betrachteten. Die Ansiedlungskommission selbst hat von Anfang an Wert darauf gelegt,
Positionen, in denen das Deutschtum Aussicht hat, seine Stellung zu halten, nicht zu schwächen.
So wurden und werden alle Bewerber aus Westgalizien (der Gegend um Biala), aus
Mähren, Österreich-Schlesien, Böhmen, Siebenbürgen usw. grundsätzlich abgelehnt. Sobald
bekannt wurde, daß die galizischen Deutschen auch in den zerstreuten, national höchst
gefährdeten Ortschaften sich zu dem Bunde der Deutschen Galiziens zusammenschlossen, hat
jede Werbearbeit für die Ansiedlungskommission aufgehört, was freilich nicht hindert, daß
dauernd Nachfragen aus Galizien an die Ansiedlungskommission gelangen. Die in Posen
und Westpreußen angesiedelten galizischen Rückwanderer finden zum überwiegend größten Teile
ihr gutes Vorwärtskommen und sitzen, vermischt'mit anderen Deutschen, in blühenden
Ansiedlungen. Wenn auch in teilweise Polnischer Umgebung ist ihre nationale Stellung doch,
wie kaum erwähnt zu werden braucht, eine ganz andere wie in Galizien; Schule, Gemeinde¬
verwaltung, Behörden usw. sind rein deutsch. Diese Rückwanderer nützen nicht nur in Posen
dein Deutschtum, Sündern sie sind dem Deutschtum für alle Zeiten erhalten, was zum mindesten
sehr fraglich wäre, wenn sie in Galizien geblieben wären, und was zweifellos in zwei
Generationen nicht mehr der Fall wäre, wenn sie nach Amerika ausgewandert wären. Im
ganzen sind von 1899 bis Ende 1909 13S0 Familien aus Galizien in Posen und Westpreußen
Gramsch angesiedelt worden."

Wir würden uns freuen, wenn diese Angaben geeignet wären, das Mi߬
trauen der Deutschen Galiziens gegen unsere Regierung wenigstens abzuschwächen.


G. Li.


^onntagsbriefe aus dem Vauernhaus
Joseph Aug. Tux von (Schluß.)
Fünfter Sonntag.

Der schöne starke Junge soll einmal ein tüchtiger Bauer werden. Seit seiner
Geburt herrscht eitel Freude im Hause. Die Bäuerin ist von ihren Angstzuständen
erlöst, der Bauer ist stillvergnügt, die Dirn pflegt sich. Es wird beschlossen, zur
Aushilfe einen Knecht ins Haus zu nehmen. Es kommen Tage, wo es reine
Wonne ist, „im Elend" zu sitzen. Im stillen bitte ich den Leuten das Unrecht
ab, das ich ihnen getan habe. Sie sind gar nicht so bös, wie es mir zuweilen
schien. Sie sind die Güte selber. Es liegt nur an meiner Schwarzseherei. Fried¬
licher und schöner kann man nirgends leben als in dieser Geborgenheit. Freilich
schickt der Himmel manche Prüfung. Der kräftige Säugling wird plötzlich krank.
Die Sorge und Liebe der Hausgenossen verdoppeln sich. Alle sind zugleich um
ihn geschäftig. „Was er denn nur hat, der Bub?! Man hat ihm doch schon seit
dem dritten Tage nach der Geburt feste Nahrung gegeben, damit es vorhalte und
daß er ein starker, gesunder Bengel werdet"


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[0592] Sonntagsbriefe aus dem Bauernhaus Wenn im Jahre 1903 zugunsten der Auswanderung nach Deutschland eine Agitation statt¬ fand, so geschah dies eben von Leuten, die auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen die Ver¬ pflanzung der gefährdeten Gemeinde als einzige Rettung der zersprengten kleinen Vorposten betrachteten. Die Ansiedlungskommission selbst hat von Anfang an Wert darauf gelegt, Positionen, in denen das Deutschtum Aussicht hat, seine Stellung zu halten, nicht zu schwächen. So wurden und werden alle Bewerber aus Westgalizien (der Gegend um Biala), aus Mähren, Österreich-Schlesien, Böhmen, Siebenbürgen usw. grundsätzlich abgelehnt. Sobald bekannt wurde, daß die galizischen Deutschen auch in den zerstreuten, national höchst gefährdeten Ortschaften sich zu dem Bunde der Deutschen Galiziens zusammenschlossen, hat jede Werbearbeit für die Ansiedlungskommission aufgehört, was freilich nicht hindert, daß dauernd Nachfragen aus Galizien an die Ansiedlungskommission gelangen. Die in Posen und Westpreußen angesiedelten galizischen Rückwanderer finden zum überwiegend größten Teile ihr gutes Vorwärtskommen und sitzen, vermischt'mit anderen Deutschen, in blühenden Ansiedlungen. Wenn auch in teilweise Polnischer Umgebung ist ihre nationale Stellung doch, wie kaum erwähnt zu werden braucht, eine ganz andere wie in Galizien; Schule, Gemeinde¬ verwaltung, Behörden usw. sind rein deutsch. Diese Rückwanderer nützen nicht nur in Posen dein Deutschtum, Sündern sie sind dem Deutschtum für alle Zeiten erhalten, was zum mindesten sehr fraglich wäre, wenn sie in Galizien geblieben wären, und was zweifellos in zwei Generationen nicht mehr der Fall wäre, wenn sie nach Amerika ausgewandert wären. Im ganzen sind von 1899 bis Ende 1909 13S0 Familien aus Galizien in Posen und Westpreußen Gramsch angesiedelt worden." Wir würden uns freuen, wenn diese Angaben geeignet wären, das Mi߬ trauen der Deutschen Galiziens gegen unsere Regierung wenigstens abzuschwächen. G. Li. ^onntagsbriefe aus dem Vauernhaus Joseph Aug. Tux von (Schluß.) Fünfter Sonntag. Der schöne starke Junge soll einmal ein tüchtiger Bauer werden. Seit seiner Geburt herrscht eitel Freude im Hause. Die Bäuerin ist von ihren Angstzuständen erlöst, der Bauer ist stillvergnügt, die Dirn pflegt sich. Es wird beschlossen, zur Aushilfe einen Knecht ins Haus zu nehmen. Es kommen Tage, wo es reine Wonne ist, „im Elend" zu sitzen. Im stillen bitte ich den Leuten das Unrecht ab, das ich ihnen getan habe. Sie sind gar nicht so bös, wie es mir zuweilen schien. Sie sind die Güte selber. Es liegt nur an meiner Schwarzseherei. Fried¬ licher und schöner kann man nirgends leben als in dieser Geborgenheit. Freilich schickt der Himmel manche Prüfung. Der kräftige Säugling wird plötzlich krank. Die Sorge und Liebe der Hausgenossen verdoppeln sich. Alle sind zugleich um ihn geschäftig. „Was er denn nur hat, der Bub?! Man hat ihm doch schon seit dem dritten Tage nach der Geburt feste Nahrung gegeben, damit es vorhalte und daß er ein starker, gesunder Bengel werdet"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/592>, abgerufen am 07.05.2024.