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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelm Raabe und Berlin

höchsten leitenden Stellen hinein ganz unverhältnismäßig zahlreich vertreten sind, wie
selbst Klonan zugeben muß. Wer meine frühern und jetzigen Ausführungen verfolgt
hat, wird mir Geringschätzung des juristischen Wissens und Könnens nicht vor¬
werfen oder auch nur zutrauen. Ich habe im Gegenteil persönlich die größte
Hochachtung vor ihnen und würde unbedingt für alle Verwaltungsbeamte eine
vollständig abgeschlossene juristische Ausbildung verlangen, wenn es möglich
wäre, ihnen daneben noch eine vollständige Verwaltungsausbildung zu gewähren,
wie sie unsre Regiernngsreferendare erhalten oder vielmehr erhalten müßten.
Aber mit scharfsinnigen, klaren: juristischen Blick allein kann man in der Ver¬
waltung nicht wirklich Ausreichendes leisten. Unter Umständen schadet über¬
triebener juristischer Scharfsinn sogar. Es ist also keineswegs eine unbestimmte
"Angst vor den Juristen", wie es Klonau nennt, was mir und vielen andern
Verwaltungsbeamten den lebhaften Wunsch einflößt, daß die Juristen von der
Verwaltung möglichst ferngehalten würden, sondern die wohlbegründete Über¬
zeugung, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit denen man nicht rechnen
kann, die Tätigkeit dieser Herren der Verwaltung nicht zum Segen gereicht,
sondern, wie ein Verwaltungsbeamter vor einiger Zeit in der Kölnischen
Zeitung gesagt hat, ihr Schuldkonto schwer belastet.




Wilhelm Raabe und Berlin
Prof. Theodor Härte in Von

in lieber Vater ist uns dahingenommen -- vergebens suchen die
! Augen das'teure Haupt, zu dem sie noch einmal aufschauen
möchten in lauterem, tief aus der Seele quellenden Danken, und
l die Hände, die sich ausstrecken nach einer lange, lange vertrauten
^Nähe, greifen ins Leere. Wilhelm Raabe ist in die letzte Stille
hinübergeschlmninert, und wir spüren das Weh dieses Scheidens, als sei unseren:
Volk ein kostbarer Teil seines eigensten Wesens aus Zeit und Leben entschwunden.
Und besinnen wir uns zurück -- wann hat, seit Bismarcks gewaltiges Haupt
dahinsank, das deutsche Volk so viel seiner besten Herzenskraft mit einem Manne
dahingehen sehen als mit dieser Dichterseele sanftem VerHauchen? Hat uns der
Riese aus dem alten Sachsenland unser Erdenhaus fest gegründet und stark
gefügt: das Leben, dem es bereitet war, die Geister, die es durchwalten und
durchwirken sollten, unserer innersten Seele Sein hat kaum einer mit dem tief¬
dringenden Lebensblick lauterer Liebe so in all seiner heiter vielgestaltigen Fülle
geschaut, selten jemand uns selber so treu und wahrhaftig nach unseres Wesens


Wilhelm Raabe und Berlin

höchsten leitenden Stellen hinein ganz unverhältnismäßig zahlreich vertreten sind, wie
selbst Klonan zugeben muß. Wer meine frühern und jetzigen Ausführungen verfolgt
hat, wird mir Geringschätzung des juristischen Wissens und Könnens nicht vor¬
werfen oder auch nur zutrauen. Ich habe im Gegenteil persönlich die größte
Hochachtung vor ihnen und würde unbedingt für alle Verwaltungsbeamte eine
vollständig abgeschlossene juristische Ausbildung verlangen, wenn es möglich
wäre, ihnen daneben noch eine vollständige Verwaltungsausbildung zu gewähren,
wie sie unsre Regiernngsreferendare erhalten oder vielmehr erhalten müßten.
Aber mit scharfsinnigen, klaren: juristischen Blick allein kann man in der Ver¬
waltung nicht wirklich Ausreichendes leisten. Unter Umständen schadet über¬
triebener juristischer Scharfsinn sogar. Es ist also keineswegs eine unbestimmte
„Angst vor den Juristen", wie es Klonau nennt, was mir und vielen andern
Verwaltungsbeamten den lebhaften Wunsch einflößt, daß die Juristen von der
Verwaltung möglichst ferngehalten würden, sondern die wohlbegründete Über¬
zeugung, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit denen man nicht rechnen
kann, die Tätigkeit dieser Herren der Verwaltung nicht zum Segen gereicht,
sondern, wie ein Verwaltungsbeamter vor einiger Zeit in der Kölnischen
Zeitung gesagt hat, ihr Schuldkonto schwer belastet.




Wilhelm Raabe und Berlin
Prof. Theodor Härte in Von

in lieber Vater ist uns dahingenommen — vergebens suchen die
! Augen das'teure Haupt, zu dem sie noch einmal aufschauen
möchten in lauterem, tief aus der Seele quellenden Danken, und
l die Hände, die sich ausstrecken nach einer lange, lange vertrauten
^Nähe, greifen ins Leere. Wilhelm Raabe ist in die letzte Stille
hinübergeschlmninert, und wir spüren das Weh dieses Scheidens, als sei unseren:
Volk ein kostbarer Teil seines eigensten Wesens aus Zeit und Leben entschwunden.
Und besinnen wir uns zurück — wann hat, seit Bismarcks gewaltiges Haupt
dahinsank, das deutsche Volk so viel seiner besten Herzenskraft mit einem Manne
dahingehen sehen als mit dieser Dichterseele sanftem VerHauchen? Hat uns der
Riese aus dem alten Sachsenland unser Erdenhaus fest gegründet und stark
gefügt: das Leben, dem es bereitet war, die Geister, die es durchwalten und
durchwirken sollten, unserer innersten Seele Sein hat kaum einer mit dem tief¬
dringenden Lebensblick lauterer Liebe so in all seiner heiter vielgestaltigen Fülle
geschaut, selten jemand uns selber so treu und wahrhaftig nach unseres Wesens


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[0422] Wilhelm Raabe und Berlin höchsten leitenden Stellen hinein ganz unverhältnismäßig zahlreich vertreten sind, wie selbst Klonan zugeben muß. Wer meine frühern und jetzigen Ausführungen verfolgt hat, wird mir Geringschätzung des juristischen Wissens und Könnens nicht vor¬ werfen oder auch nur zutrauen. Ich habe im Gegenteil persönlich die größte Hochachtung vor ihnen und würde unbedingt für alle Verwaltungsbeamte eine vollständig abgeschlossene juristische Ausbildung verlangen, wenn es möglich wäre, ihnen daneben noch eine vollständige Verwaltungsausbildung zu gewähren, wie sie unsre Regiernngsreferendare erhalten oder vielmehr erhalten müßten. Aber mit scharfsinnigen, klaren: juristischen Blick allein kann man in der Ver¬ waltung nicht wirklich Ausreichendes leisten. Unter Umständen schadet über¬ triebener juristischer Scharfsinn sogar. Es ist also keineswegs eine unbestimmte „Angst vor den Juristen", wie es Klonau nennt, was mir und vielen andern Verwaltungsbeamten den lebhaften Wunsch einflößt, daß die Juristen von der Verwaltung möglichst ferngehalten würden, sondern die wohlbegründete Über¬ zeugung, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit denen man nicht rechnen kann, die Tätigkeit dieser Herren der Verwaltung nicht zum Segen gereicht, sondern, wie ein Verwaltungsbeamter vor einiger Zeit in der Kölnischen Zeitung gesagt hat, ihr Schuldkonto schwer belastet. Wilhelm Raabe und Berlin Prof. Theodor Härte in Von in lieber Vater ist uns dahingenommen — vergebens suchen die ! Augen das'teure Haupt, zu dem sie noch einmal aufschauen möchten in lauterem, tief aus der Seele quellenden Danken, und l die Hände, die sich ausstrecken nach einer lange, lange vertrauten ^Nähe, greifen ins Leere. Wilhelm Raabe ist in die letzte Stille hinübergeschlmninert, und wir spüren das Weh dieses Scheidens, als sei unseren: Volk ein kostbarer Teil seines eigensten Wesens aus Zeit und Leben entschwunden. Und besinnen wir uns zurück — wann hat, seit Bismarcks gewaltiges Haupt dahinsank, das deutsche Volk so viel seiner besten Herzenskraft mit einem Manne dahingehen sehen als mit dieser Dichterseele sanftem VerHauchen? Hat uns der Riese aus dem alten Sachsenland unser Erdenhaus fest gegründet und stark gefügt: das Leben, dem es bereitet war, die Geister, die es durchwalten und durchwirken sollten, unserer innersten Seele Sein hat kaum einer mit dem tief¬ dringenden Lebensblick lauterer Liebe so in all seiner heiter vielgestaltigen Fülle geschaut, selten jemand uns selber so treu und wahrhaftig nach unseres Wesens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/422>, abgerufen am 29.04.2024.