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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelm !>aab" und Lerlin

Bilde wiedererschaffen wie sein Bruder Dichter aus des gleichen Stammes Mark
und Blut.

So will es über alles Ahnen uns heute doch mehr bedeuten als nur einer
festlichen Stunde freudig dankbaren Gruß, daß noch vor wenig Tagen des
Deutschen Reiches stolzeste Hochschule sich ihres alten Schülers erinnert und einen
ihrer Kränze ihm ums Haupt gewunden hat. Der Heilkunst weise Meister
fanden schließlich den Weg zu ihm und geleiteten in ihres Ordens Ehrenkleid
den Preis zu der Stätte zurück, da er einst, um des entschwundenen Jahr¬
hunderts Mitte, einzudringen begann in der Welt Weisheit und der schönen
Künste wahrheitsernsten Schein.

Wilhelm Raabe, voctor mecliLMAe et LliirurZiae Konoris cau8s, wie
wäg es ihm noch heiter um die Augen gewetterleuchtet haben und ein Lächeln
behaglich um den schmalen Mund geschlichen sein! Drüben über dem weiten
öden Platz, auf den Raabe von seinen: Arbeitszimmer hinausschauen konnte,
birgt die Erde unter dunklen Bäumen, unter wucherndem Efeu, was von Lessing
sterblich war. Wie manches Mal mögen sich Gedanken da hinübergesponncn
haben, und vielleicht haben die lieben, klaren Augen auch jüngst noch einmal
munter hinübergeblinkt wie zu einem halb verschämten Eingeständnis: Großer
Gotthold Ephraim, nun haben sie gar noch einen Phnsikns aus mir gemacht!

Der Dichter mag auch seinen stillen Spaß daran gehabt haben, daß nicht
etwa die Juristen seinem Haupt ihre Weisen verliehen haben. Verdient hätte
er's um sie, denn er hat sie je und je geliebt -- aber freilich, sie haben sich
in gar seltsamen Humvren von ihm widergespiegelt sehen müssen, und manches
herzliche Lachen über des deutschen Amtsstuben- und Aktenmannes menschliche
Bedürftigkeit fällt ihm aufs Gewissen. Auch die philosophische Fakultät, sollte
man meinen, hätte er sich zum mindesten durch die biographische Verherrlichung
der letzten Hegelianerin verpflichtet -- aber das will sie offenbar doch nicht als
zünftige Leistung gelten lassen.

Doch woher der Doktorhut auch kommen mochte, es hatte seinen guten
Sinn, wenn gerade die Berliner Universität an ihrem Gedenkfeste sich dankbar
der Tage erinnerte, da Wilhelm Raabe von ihren Wassern schöpfte, aber mit
lebendigen Sinnen und liebestarkem Ernst hinaushorchte weit über ihre Hörsäle,
hinab in die Tiefen des Lebens, das rings um die Stätte der Wissenschaft
strömte und rauschte. Ihm war Berlin die große Welt, und er hat es der
Stadt sein Leben lang in Treuen gedankt, was sie ihn schauen und erleben ließ.
Er hat in seinem Schaffen in die Wirklichkeit ihres Lebens wieder und wieder
hineingegriffen und es zu bleibender Gegenwart gestaltet.

Fast immer freilich sind es Menschen von draußen, aus irgendeiner freund¬
lichen Stille abseits im deutschen Land, denen Raabe durch das Großstadt¬
getriebe nachgeht. Sie ringen mit den großen Wogen des Menschenlebens, oder
sie überschauen es von einem sicheren Fleckchen aus in nachdenksamer Ruhe,
sie spinnen sich auch wohl mitten in Getös und seelenloser Hast in ein heim-


Wilhelm !>aab» und Lerlin

Bilde wiedererschaffen wie sein Bruder Dichter aus des gleichen Stammes Mark
und Blut.

So will es über alles Ahnen uns heute doch mehr bedeuten als nur einer
festlichen Stunde freudig dankbaren Gruß, daß noch vor wenig Tagen des
Deutschen Reiches stolzeste Hochschule sich ihres alten Schülers erinnert und einen
ihrer Kränze ihm ums Haupt gewunden hat. Der Heilkunst weise Meister
fanden schließlich den Weg zu ihm und geleiteten in ihres Ordens Ehrenkleid
den Preis zu der Stätte zurück, da er einst, um des entschwundenen Jahr¬
hunderts Mitte, einzudringen begann in der Welt Weisheit und der schönen
Künste wahrheitsernsten Schein.

Wilhelm Raabe, voctor mecliLMAe et LliirurZiae Konoris cau8s, wie
wäg es ihm noch heiter um die Augen gewetterleuchtet haben und ein Lächeln
behaglich um den schmalen Mund geschlichen sein! Drüben über dem weiten
öden Platz, auf den Raabe von seinen: Arbeitszimmer hinausschauen konnte,
birgt die Erde unter dunklen Bäumen, unter wucherndem Efeu, was von Lessing
sterblich war. Wie manches Mal mögen sich Gedanken da hinübergesponncn
haben, und vielleicht haben die lieben, klaren Augen auch jüngst noch einmal
munter hinübergeblinkt wie zu einem halb verschämten Eingeständnis: Großer
Gotthold Ephraim, nun haben sie gar noch einen Phnsikns aus mir gemacht!

Der Dichter mag auch seinen stillen Spaß daran gehabt haben, daß nicht
etwa die Juristen seinem Haupt ihre Weisen verliehen haben. Verdient hätte
er's um sie, denn er hat sie je und je geliebt — aber freilich, sie haben sich
in gar seltsamen Humvren von ihm widergespiegelt sehen müssen, und manches
herzliche Lachen über des deutschen Amtsstuben- und Aktenmannes menschliche
Bedürftigkeit fällt ihm aufs Gewissen. Auch die philosophische Fakultät, sollte
man meinen, hätte er sich zum mindesten durch die biographische Verherrlichung
der letzten Hegelianerin verpflichtet — aber das will sie offenbar doch nicht als
zünftige Leistung gelten lassen.

Doch woher der Doktorhut auch kommen mochte, es hatte seinen guten
Sinn, wenn gerade die Berliner Universität an ihrem Gedenkfeste sich dankbar
der Tage erinnerte, da Wilhelm Raabe von ihren Wassern schöpfte, aber mit
lebendigen Sinnen und liebestarkem Ernst hinaushorchte weit über ihre Hörsäle,
hinab in die Tiefen des Lebens, das rings um die Stätte der Wissenschaft
strömte und rauschte. Ihm war Berlin die große Welt, und er hat es der
Stadt sein Leben lang in Treuen gedankt, was sie ihn schauen und erleben ließ.
Er hat in seinem Schaffen in die Wirklichkeit ihres Lebens wieder und wieder
hineingegriffen und es zu bleibender Gegenwart gestaltet.

Fast immer freilich sind es Menschen von draußen, aus irgendeiner freund¬
lichen Stille abseits im deutschen Land, denen Raabe durch das Großstadt¬
getriebe nachgeht. Sie ringen mit den großen Wogen des Menschenlebens, oder
sie überschauen es von einem sicheren Fleckchen aus in nachdenksamer Ruhe,
sie spinnen sich auch wohl mitten in Getös und seelenloser Hast in ein heim-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/423>, abgerufen am 15.05.2024.