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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flocken

und einem Manne von bekannter diplomatischer Zurückhaltung. Er sprach zu
einem Amerikaner, als er sagte: "Japan hat eine Geschichte, die ebenso alt und
angefüllt mit vielen glorreichen Taten ist wie die Ihre, und es muß jene
völlige Gleichheit in bezug auf Gebräuche wie in bezug auf das internationale
Gesetz verlangen, zu dem es seine Geschichte berechtigt. Solange es in dieselbe
Klasse gesetzt und behandelt wird mit jener Verachtung, die die Weißen den
Chinesen, Indianern, Negern, Filippinen oder Cubareu zeigen, solange ist ihn,
der Fehdehandschuh zu einem ununterdrückbaren Kampf hingeworfen."

Inzwischen sollte man nicht vergessen, daß im Jahre Z907 eine Million
Soldaten nach Japan gegangen sind, die zwei Jahre früher in der Mandschurei
warteten und begierig waren, den bedeutungsvollsten Kampf der Geschichte
wieder zu beginnen. Und wir mögen uns selbst fragen: Welche Wirkung wird
jenes Überbleibsel von kriegerischem Sehnen bei einer Nation von vierzig
Millionen Menschen haben, wenn ein Zehntel der männlichen Bevölkerung von
den. Verlangen nach Kampf beherrscht ist?

(Übersetzt von Helene Hamerling-Halensee)




Im Kecken
Erzählung ans der russischen Provinz
Alexander Andreas-v, Reyher von(FoNschmisi,)

Es ist Mi einem kleinen, abgelegenen Orte, wo das Leben tagaus, tagein
in unabänderlichen: Gerinne hinfließt, mitten in der Nacht nicht leicht, jemand
aus seiner Ruhe zu klopfen, und die Herren von der Polizei schlafen nicht leichter
als andere Sterbliche, vielleicht noch etwas schwerer. Mit gutem Winde und An¬
wendung von etwas Rücksichtslosigkeit geht es endlich doch, namentlich wenn man
sich, von der Notwendigkeit überzeugt, aus einigen abweisender Redensarten und
groben Ausdrücken nichts macht. So gelang es denn auch Okolitsch, erst Wolski
und dann den Bezirksaufseher aus den Federn und auf die Beine zu bringen:
Als Wolski sich ermuntert hatte und begriff, daß Schejins überfallen und vestohlen
waren, geriet er in fieberhafte Hast, und als Okolitsch ihm mitteilte, daß er auch
den Bezirksaufseher holen wolle, fragte er anfangs unzufrieden, wozu das nötig
sei, überlegte sich aber die Sache und drang selbst darauf, es so schnell wie möglich
zu tun. Er lief zu Fuß und stellte den Wagen dem Vorgesetzten zur Verfügung.

Er stürzte atemlos zu Schejins ins Haus, wo alles erleuchtet und zum
Empfang vorbereitet war. Die Bewohner waren allein. Frau Okolitsch hatte sich
mit dem Hunde in die eigene Wohnung begeben.

"Andres Fomitsch! Olga Andrejewnal" rief er. "Was muß ich hören! Sie,
Olga Andrejewna, erschreckt, bestohlen! Ich hoffe, der Verlust ist nicht groß. Aber


Im Flocken

und einem Manne von bekannter diplomatischer Zurückhaltung. Er sprach zu
einem Amerikaner, als er sagte: „Japan hat eine Geschichte, die ebenso alt und
angefüllt mit vielen glorreichen Taten ist wie die Ihre, und es muß jene
völlige Gleichheit in bezug auf Gebräuche wie in bezug auf das internationale
Gesetz verlangen, zu dem es seine Geschichte berechtigt. Solange es in dieselbe
Klasse gesetzt und behandelt wird mit jener Verachtung, die die Weißen den
Chinesen, Indianern, Negern, Filippinen oder Cubareu zeigen, solange ist ihn,
der Fehdehandschuh zu einem ununterdrückbaren Kampf hingeworfen."

Inzwischen sollte man nicht vergessen, daß im Jahre Z907 eine Million
Soldaten nach Japan gegangen sind, die zwei Jahre früher in der Mandschurei
warteten und begierig waren, den bedeutungsvollsten Kampf der Geschichte
wieder zu beginnen. Und wir mögen uns selbst fragen: Welche Wirkung wird
jenes Überbleibsel von kriegerischem Sehnen bei einer Nation von vierzig
Millionen Menschen haben, wenn ein Zehntel der männlichen Bevölkerung von
den. Verlangen nach Kampf beherrscht ist?

(Übersetzt von Helene Hamerling-Halensee)




Im Kecken
Erzählung ans der russischen Provinz
Alexander Andreas-v, Reyher von(FoNschmisi,)

Es ist Mi einem kleinen, abgelegenen Orte, wo das Leben tagaus, tagein
in unabänderlichen: Gerinne hinfließt, mitten in der Nacht nicht leicht, jemand
aus seiner Ruhe zu klopfen, und die Herren von der Polizei schlafen nicht leichter
als andere Sterbliche, vielleicht noch etwas schwerer. Mit gutem Winde und An¬
wendung von etwas Rücksichtslosigkeit geht es endlich doch, namentlich wenn man
sich, von der Notwendigkeit überzeugt, aus einigen abweisender Redensarten und
groben Ausdrücken nichts macht. So gelang es denn auch Okolitsch, erst Wolski
und dann den Bezirksaufseher aus den Federn und auf die Beine zu bringen:
Als Wolski sich ermuntert hatte und begriff, daß Schejins überfallen und vestohlen
waren, geriet er in fieberhafte Hast, und als Okolitsch ihm mitteilte, daß er auch
den Bezirksaufseher holen wolle, fragte er anfangs unzufrieden, wozu das nötig
sei, überlegte sich aber die Sache und drang selbst darauf, es so schnell wie möglich
zu tun. Er lief zu Fuß und stellte den Wagen dem Vorgesetzten zur Verfügung.

Er stürzte atemlos zu Schejins ins Haus, wo alles erleuchtet und zum
Empfang vorbereitet war. Die Bewohner waren allein. Frau Okolitsch hatte sich
mit dem Hunde in die eigene Wohnung begeben.

„Andres Fomitsch! Olga Andrejewnal" rief er. „Was muß ich hören! Sie,
Olga Andrejewna, erschreckt, bestohlen! Ich hoffe, der Verlust ist nicht groß. Aber


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[0439] Im Flocken und einem Manne von bekannter diplomatischer Zurückhaltung. Er sprach zu einem Amerikaner, als er sagte: „Japan hat eine Geschichte, die ebenso alt und angefüllt mit vielen glorreichen Taten ist wie die Ihre, und es muß jene völlige Gleichheit in bezug auf Gebräuche wie in bezug auf das internationale Gesetz verlangen, zu dem es seine Geschichte berechtigt. Solange es in dieselbe Klasse gesetzt und behandelt wird mit jener Verachtung, die die Weißen den Chinesen, Indianern, Negern, Filippinen oder Cubareu zeigen, solange ist ihn, der Fehdehandschuh zu einem ununterdrückbaren Kampf hingeworfen." Inzwischen sollte man nicht vergessen, daß im Jahre Z907 eine Million Soldaten nach Japan gegangen sind, die zwei Jahre früher in der Mandschurei warteten und begierig waren, den bedeutungsvollsten Kampf der Geschichte wieder zu beginnen. Und wir mögen uns selbst fragen: Welche Wirkung wird jenes Überbleibsel von kriegerischem Sehnen bei einer Nation von vierzig Millionen Menschen haben, wenn ein Zehntel der männlichen Bevölkerung von den. Verlangen nach Kampf beherrscht ist? (Übersetzt von Helene Hamerling-Halensee) Im Kecken Erzählung ans der russischen Provinz Alexander Andreas-v, Reyher von(FoNschmisi,) Es ist Mi einem kleinen, abgelegenen Orte, wo das Leben tagaus, tagein in unabänderlichen: Gerinne hinfließt, mitten in der Nacht nicht leicht, jemand aus seiner Ruhe zu klopfen, und die Herren von der Polizei schlafen nicht leichter als andere Sterbliche, vielleicht noch etwas schwerer. Mit gutem Winde und An¬ wendung von etwas Rücksichtslosigkeit geht es endlich doch, namentlich wenn man sich, von der Notwendigkeit überzeugt, aus einigen abweisender Redensarten und groben Ausdrücken nichts macht. So gelang es denn auch Okolitsch, erst Wolski und dann den Bezirksaufseher aus den Federn und auf die Beine zu bringen: Als Wolski sich ermuntert hatte und begriff, daß Schejins überfallen und vestohlen waren, geriet er in fieberhafte Hast, und als Okolitsch ihm mitteilte, daß er auch den Bezirksaufseher holen wolle, fragte er anfangs unzufrieden, wozu das nötig sei, überlegte sich aber die Sache und drang selbst darauf, es so schnell wie möglich zu tun. Er lief zu Fuß und stellte den Wagen dem Vorgesetzten zur Verfügung. Er stürzte atemlos zu Schejins ins Haus, wo alles erleuchtet und zum Empfang vorbereitet war. Die Bewohner waren allein. Frau Okolitsch hatte sich mit dem Hunde in die eigene Wohnung begeben. „Andres Fomitsch! Olga Andrejewnal" rief er. „Was muß ich hören! Sie, Olga Andrejewna, erschreckt, bestohlen! Ich hoffe, der Verlust ist nicht groß. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/439>, abgerufen am 29.04.2024.