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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Was der japanischen Menschheit zugrunde liegt

Zum ersten Male nach unserer Erfahrung mit dem Heere hörten wir
Meuterei. Die Modellsoldaten, die geduldigen, lächelnden, das Kanonenfutter,
geradeso wie diese, die in den Tod und noch Schlimmeres als den Tod mit
pflichtbewußter Kaltblütigkeit gegangen, hatten sich in einer Vertiefung bei der
Bahn zusammengedrängt, einige fünfzig von ihnen waren da, gestikulierend,
stoßend, sich zusammenscharend, laut schreiend. Es war beinahe ein Pöbel¬
aufstand, etwas, was wir in unserem japanischen Dienst zum ersten Male sahen.

"Was ist los?" fragten wir.

"Sie wollen nicht ohne Gefecht heimkehren," erwiderte unser Dolmetscher.

Aber dies war kein isoliertes Beispiel. So sehr sie es versuchten, konnten
die japanischen Autoritäten doch nicht- verbergen, daß ein großes Gefühl der
Unzufriedenheit die japanische Armee ergriffen hatte.

Dem Kaiser äußerst treu und dem geringsten Pronunziamcnto des geliebten
Oyama-San gehorchend, wurde aller Gewalt Einhalt getan -- in der Armee.
Aber in Tokio und Kobe konnte sie nicht gehemmt werden, und diejenigen, die
die täglichen Nachrichten aus jener Periode verfolgten, werden sich der spora¬
dischen Aufstände erinnern, die sechs Wochen lang, nach der Erklärung'des
Friedens, wie das fortgesetzte Knallen aus einer Feuerrakete losbrachen. Man
wird sich auch der laugen Debatten erinnern, die bezüglich der Ratsamkeit, dem
Baron Komnra zu gestatten, direkt heimzukehren, gepflogen wurden. Man
fürchtete, sein Leben würde gefährdet sein, nachdem man unter solchen Bedin¬
gungen Frieden geschlossen. Eine Art Chauvinismus, oder wie man es nennen
will, diese Bewegung des japanischen Geistes kann nicht ignoriert werden.
Sporadische Aufstände sind nur der Schaum auf dem Kamin der Welle. Das
Höhnen der gelben Presse ist nur das Pfeifen der Gischt auf der Oberfläche
der See des Gefühls, das tief, aber unterhalb wütet. Obwohl jetzt jedes
japanische Dorf seine Zeitung, jedes Kind im Reiche seine Volksschulerziehung
hat, besteht durch diese, und trotz dieser, jenes alte Sehnen nach Kampf, das nur
Blut befriedigen kann. Gerade jene Zeitungen und jene Schulen, die sich dein Frieden
verpflichtet haben, lösen die wirksamste Schranke internationaler Schwierigkeit --
die unbedenkliche Hingabe an den .Kaiser. Solange der altersalte Glaube existiert,
daß Mutsuhito von göttlicher Abstammung ist und kein Unrecht tun kann, könnte
er mit seinen Beratern selbst einen sehr populären Krieg auf unbegrenzte Zeit
zurückschieben. Aber bei dem gegenwärtigen Stand der Erleuchtung des Volkes
und der daraus sich ergebenden demokratischen Unabhängigkeit könnte kein
Minister in Tokio sein Ministerium: einen Monat lang halten, wenn er es wagen
würde, einen Vertrag zu unterzeichnen, der die Japaner als eine minderwertige
Rasse unterscheidet. Sie werden unbedingt die gleichen Rechte wie die stolzeste
der Nationen beanspruchen.

Von all den verschiedenen Definitionen, die ich über die Möglichkeit eines
Krieges zwischen Japan und einer der weißen Nationen gehört habe, war die
klarste die eines japanischen Staatsmannes, einem früheren Mitglied deS Kabinetts


Was der japanischen Menschheit zugrunde liegt

Zum ersten Male nach unserer Erfahrung mit dem Heere hörten wir
Meuterei. Die Modellsoldaten, die geduldigen, lächelnden, das Kanonenfutter,
geradeso wie diese, die in den Tod und noch Schlimmeres als den Tod mit
pflichtbewußter Kaltblütigkeit gegangen, hatten sich in einer Vertiefung bei der
Bahn zusammengedrängt, einige fünfzig von ihnen waren da, gestikulierend,
stoßend, sich zusammenscharend, laut schreiend. Es war beinahe ein Pöbel¬
aufstand, etwas, was wir in unserem japanischen Dienst zum ersten Male sahen.

„Was ist los?" fragten wir.

„Sie wollen nicht ohne Gefecht heimkehren," erwiderte unser Dolmetscher.

Aber dies war kein isoliertes Beispiel. So sehr sie es versuchten, konnten
die japanischen Autoritäten doch nicht- verbergen, daß ein großes Gefühl der
Unzufriedenheit die japanische Armee ergriffen hatte.

Dem Kaiser äußerst treu und dem geringsten Pronunziamcnto des geliebten
Oyama-San gehorchend, wurde aller Gewalt Einhalt getan — in der Armee.
Aber in Tokio und Kobe konnte sie nicht gehemmt werden, und diejenigen, die
die täglichen Nachrichten aus jener Periode verfolgten, werden sich der spora¬
dischen Aufstände erinnern, die sechs Wochen lang, nach der Erklärung'des
Friedens, wie das fortgesetzte Knallen aus einer Feuerrakete losbrachen. Man
wird sich auch der laugen Debatten erinnern, die bezüglich der Ratsamkeit, dem
Baron Komnra zu gestatten, direkt heimzukehren, gepflogen wurden. Man
fürchtete, sein Leben würde gefährdet sein, nachdem man unter solchen Bedin¬
gungen Frieden geschlossen. Eine Art Chauvinismus, oder wie man es nennen
will, diese Bewegung des japanischen Geistes kann nicht ignoriert werden.
Sporadische Aufstände sind nur der Schaum auf dem Kamin der Welle. Das
Höhnen der gelben Presse ist nur das Pfeifen der Gischt auf der Oberfläche
der See des Gefühls, das tief, aber unterhalb wütet. Obwohl jetzt jedes
japanische Dorf seine Zeitung, jedes Kind im Reiche seine Volksschulerziehung
hat, besteht durch diese, und trotz dieser, jenes alte Sehnen nach Kampf, das nur
Blut befriedigen kann. Gerade jene Zeitungen und jene Schulen, die sich dein Frieden
verpflichtet haben, lösen die wirksamste Schranke internationaler Schwierigkeit —
die unbedenkliche Hingabe an den .Kaiser. Solange der altersalte Glaube existiert,
daß Mutsuhito von göttlicher Abstammung ist und kein Unrecht tun kann, könnte
er mit seinen Beratern selbst einen sehr populären Krieg auf unbegrenzte Zeit
zurückschieben. Aber bei dem gegenwärtigen Stand der Erleuchtung des Volkes
und der daraus sich ergebenden demokratischen Unabhängigkeit könnte kein
Minister in Tokio sein Ministerium: einen Monat lang halten, wenn er es wagen
würde, einen Vertrag zu unterzeichnen, der die Japaner als eine minderwertige
Rasse unterscheidet. Sie werden unbedingt die gleichen Rechte wie die stolzeste
der Nationen beanspruchen.

Von all den verschiedenen Definitionen, die ich über die Möglichkeit eines
Krieges zwischen Japan und einer der weißen Nationen gehört habe, war die
klarste die eines japanischen Staatsmannes, einem früheren Mitglied deS Kabinetts


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[0438] Was der japanischen Menschheit zugrunde liegt Zum ersten Male nach unserer Erfahrung mit dem Heere hörten wir Meuterei. Die Modellsoldaten, die geduldigen, lächelnden, das Kanonenfutter, geradeso wie diese, die in den Tod und noch Schlimmeres als den Tod mit pflichtbewußter Kaltblütigkeit gegangen, hatten sich in einer Vertiefung bei der Bahn zusammengedrängt, einige fünfzig von ihnen waren da, gestikulierend, stoßend, sich zusammenscharend, laut schreiend. Es war beinahe ein Pöbel¬ aufstand, etwas, was wir in unserem japanischen Dienst zum ersten Male sahen. „Was ist los?" fragten wir. „Sie wollen nicht ohne Gefecht heimkehren," erwiderte unser Dolmetscher. Aber dies war kein isoliertes Beispiel. So sehr sie es versuchten, konnten die japanischen Autoritäten doch nicht- verbergen, daß ein großes Gefühl der Unzufriedenheit die japanische Armee ergriffen hatte. Dem Kaiser äußerst treu und dem geringsten Pronunziamcnto des geliebten Oyama-San gehorchend, wurde aller Gewalt Einhalt getan — in der Armee. Aber in Tokio und Kobe konnte sie nicht gehemmt werden, und diejenigen, die die täglichen Nachrichten aus jener Periode verfolgten, werden sich der spora¬ dischen Aufstände erinnern, die sechs Wochen lang, nach der Erklärung'des Friedens, wie das fortgesetzte Knallen aus einer Feuerrakete losbrachen. Man wird sich auch der laugen Debatten erinnern, die bezüglich der Ratsamkeit, dem Baron Komnra zu gestatten, direkt heimzukehren, gepflogen wurden. Man fürchtete, sein Leben würde gefährdet sein, nachdem man unter solchen Bedin¬ gungen Frieden geschlossen. Eine Art Chauvinismus, oder wie man es nennen will, diese Bewegung des japanischen Geistes kann nicht ignoriert werden. Sporadische Aufstände sind nur der Schaum auf dem Kamin der Welle. Das Höhnen der gelben Presse ist nur das Pfeifen der Gischt auf der Oberfläche der See des Gefühls, das tief, aber unterhalb wütet. Obwohl jetzt jedes japanische Dorf seine Zeitung, jedes Kind im Reiche seine Volksschulerziehung hat, besteht durch diese, und trotz dieser, jenes alte Sehnen nach Kampf, das nur Blut befriedigen kann. Gerade jene Zeitungen und jene Schulen, die sich dein Frieden verpflichtet haben, lösen die wirksamste Schranke internationaler Schwierigkeit — die unbedenkliche Hingabe an den .Kaiser. Solange der altersalte Glaube existiert, daß Mutsuhito von göttlicher Abstammung ist und kein Unrecht tun kann, könnte er mit seinen Beratern selbst einen sehr populären Krieg auf unbegrenzte Zeit zurückschieben. Aber bei dem gegenwärtigen Stand der Erleuchtung des Volkes und der daraus sich ergebenden demokratischen Unabhängigkeit könnte kein Minister in Tokio sein Ministerium: einen Monat lang halten, wenn er es wagen würde, einen Vertrag zu unterzeichnen, der die Japaner als eine minderwertige Rasse unterscheidet. Sie werden unbedingt die gleichen Rechte wie die stolzeste der Nationen beanspruchen. Von all den verschiedenen Definitionen, die ich über die Möglichkeit eines Krieges zwischen Japan und einer der weißen Nationen gehört habe, war die klarste die eines japanischen Staatsmannes, einem früheren Mitglied deS Kabinetts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/438>, abgerufen am 16.05.2024.