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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gehen. Werde auch kaum die Zeit dazu finden, denn suchen will ich, ohne mich
zu schonen. Die Augen will ich offen halten, und sollte ich auch eine ganze
Woche nicht schlafen. Um dreiundvierzigtausend darf man sich schon eine Zeit
quälen und placken. Olenka tut mir leid. Sie wird sich grämen und härmen
wegen meiner Abwesenheit. Tut nichts. Komme ich dann endlich und womöglich
mit dem Gelde, ist die Freude um so größer."

"Und wenn das Geld nicht gefunden wird?" fragte er sich, als er die Tür
der Polizeiverwaltung öffnete, und hielt den Fuß zurück, den er eben über die
Schwelle setzen wollte. "Wetter noch einst man muß sich auch mit dem Gedanken
vertraut machen. Was tue ich dann? Ich bin ziemlich überzeugt, daß ich es finde,
aber -- gesetzt den Fall, es bliebe verloren, was dann? Mir wird ordentlich
schlimm bei dieser Frage. Olenka ist mir ans Herz gewachsen. Ich weiß nicht,
wie ich ohne Olenka -- Wladimir Jwanowitsch, sei ein Mann. Sieh der Sache
gerade ins Auge. Olenka heiraten, ohne das Geld zu bekommen, ist ein Unding.
Der vernünftige Mensch muß an die Zukunft denken. Von Liebe allein kann
man nicht leben. Hin, die Marjal Sie ließe sich allmählich schon wieder mürbe
machen, und der alte Flegel, der Botscharow, hat ja selbst schon versucht, ein¬
zulenken und sich gewissermaßen entschuldigt. Ein drolliges Volk, diese alten
reichen Knaster, grob und nachträglich gutmütig! Nun ja, sie sind schon schwach
im Kopfe, werden unmerklich wieder zu Kindern." (Fortsetzung folgt.)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Neichsspiegel

Labiau-Wehlau -- Haltung der Regierung -- Vernachlässigung der Armee --
Kaiser und Nation -- Konservative Hetzereien.

Am Freitag, den 2., hat die alte Hochburg der Konservativen Ostpreußen
zum zweitenmal in diesem Jahre Stellung zur allgemeinen politischen Lage
genommen. Im Wahlkreise Labiau-Wehlau sind rund 4300 Stimmen weniger
für den konservativen Kandidaten abgegeben worden, als in der Wahl von 1907.
Diese Stimmen sind dem freisinnigen Kandidaten zugeflossen, ebenso wie rund
1300, die früher den Sozialdemokraten zugefallen waren. Die "norddeutsche
Allgemeine Zeitung" will aus dem Wahlausfall keine allgemeinen Folgerungen
ziehen. Aus der Tatsache, daß die Sozialdemokratie seit der Wahl vom Jahre
1903 rund 1300 Stimmen eingebüßt hat, will das halbamtliche Organ auch die
Berechtigung zu optimistischen Anschauungen nicht herleiten. Wir möchten da doch
einen anderen Standpunkt unterstreichen. Wir führen die Abnahme der sozial¬
demokratischen Stimmen gerade auf den Umstand zurück, daß die bürgerlichen
Kreise endlich den Mut gefunden haben, gegen die einseitige Herrschaft des Bundes
der Landwirte zu protestieren, daß also eine große Reihe früherer sozialdemo-
kratischer Wähler durchaus nicht als Republikaner anzusprechen ist, sondern


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gehen. Werde auch kaum die Zeit dazu finden, denn suchen will ich, ohne mich
zu schonen. Die Augen will ich offen halten, und sollte ich auch eine ganze
Woche nicht schlafen. Um dreiundvierzigtausend darf man sich schon eine Zeit
quälen und placken. Olenka tut mir leid. Sie wird sich grämen und härmen
wegen meiner Abwesenheit. Tut nichts. Komme ich dann endlich und womöglich
mit dem Gelde, ist die Freude um so größer."

„Und wenn das Geld nicht gefunden wird?" fragte er sich, als er die Tür
der Polizeiverwaltung öffnete, und hielt den Fuß zurück, den er eben über die
Schwelle setzen wollte. „Wetter noch einst man muß sich auch mit dem Gedanken
vertraut machen. Was tue ich dann? Ich bin ziemlich überzeugt, daß ich es finde,
aber — gesetzt den Fall, es bliebe verloren, was dann? Mir wird ordentlich
schlimm bei dieser Frage. Olenka ist mir ans Herz gewachsen. Ich weiß nicht,
wie ich ohne Olenka — Wladimir Jwanowitsch, sei ein Mann. Sieh der Sache
gerade ins Auge. Olenka heiraten, ohne das Geld zu bekommen, ist ein Unding.
Der vernünftige Mensch muß an die Zukunft denken. Von Liebe allein kann
man nicht leben. Hin, die Marjal Sie ließe sich allmählich schon wieder mürbe
machen, und der alte Flegel, der Botscharow, hat ja selbst schon versucht, ein¬
zulenken und sich gewissermaßen entschuldigt. Ein drolliges Volk, diese alten
reichen Knaster, grob und nachträglich gutmütig! Nun ja, sie sind schon schwach
im Kopfe, werden unmerklich wieder zu Kindern." (Fortsetzung folgt.)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Neichsspiegel

Labiau-Wehlau — Haltung der Regierung — Vernachlässigung der Armee —
Kaiser und Nation — Konservative Hetzereien.

Am Freitag, den 2., hat die alte Hochburg der Konservativen Ostpreußen
zum zweitenmal in diesem Jahre Stellung zur allgemeinen politischen Lage
genommen. Im Wahlkreise Labiau-Wehlau sind rund 4300 Stimmen weniger
für den konservativen Kandidaten abgegeben worden, als in der Wahl von 1907.
Diese Stimmen sind dem freisinnigen Kandidaten zugeflossen, ebenso wie rund
1300, die früher den Sozialdemokraten zugefallen waren. Die „norddeutsche
Allgemeine Zeitung" will aus dem Wahlausfall keine allgemeinen Folgerungen
ziehen. Aus der Tatsache, daß die Sozialdemokratie seit der Wahl vom Jahre
1903 rund 1300 Stimmen eingebüßt hat, will das halbamtliche Organ auch die
Berechtigung zu optimistischen Anschauungen nicht herleiten. Wir möchten da doch
einen anderen Standpunkt unterstreichen. Wir führen die Abnahme der sozial¬
demokratischen Stimmen gerade auf den Umstand zurück, daß die bürgerlichen
Kreise endlich den Mut gefunden haben, gegen die einseitige Herrschaft des Bundes
der Landwirte zu protestieren, daß also eine große Reihe früherer sozialdemo-
kratischer Wähler durchaus nicht als Republikaner anzusprechen ist, sondern


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[0495] Maßgebliches und Unmaßgebliches gehen. Werde auch kaum die Zeit dazu finden, denn suchen will ich, ohne mich zu schonen. Die Augen will ich offen halten, und sollte ich auch eine ganze Woche nicht schlafen. Um dreiundvierzigtausend darf man sich schon eine Zeit quälen und placken. Olenka tut mir leid. Sie wird sich grämen und härmen wegen meiner Abwesenheit. Tut nichts. Komme ich dann endlich und womöglich mit dem Gelde, ist die Freude um so größer." „Und wenn das Geld nicht gefunden wird?" fragte er sich, als er die Tür der Polizeiverwaltung öffnete, und hielt den Fuß zurück, den er eben über die Schwelle setzen wollte. „Wetter noch einst man muß sich auch mit dem Gedanken vertraut machen. Was tue ich dann? Ich bin ziemlich überzeugt, daß ich es finde, aber — gesetzt den Fall, es bliebe verloren, was dann? Mir wird ordentlich schlimm bei dieser Frage. Olenka ist mir ans Herz gewachsen. Ich weiß nicht, wie ich ohne Olenka — Wladimir Jwanowitsch, sei ein Mann. Sieh der Sache gerade ins Auge. Olenka heiraten, ohne das Geld zu bekommen, ist ein Unding. Der vernünftige Mensch muß an die Zukunft denken. Von Liebe allein kann man nicht leben. Hin, die Marjal Sie ließe sich allmählich schon wieder mürbe machen, und der alte Flegel, der Botscharow, hat ja selbst schon versucht, ein¬ zulenken und sich gewissermaßen entschuldigt. Ein drolliges Volk, diese alten reichen Knaster, grob und nachträglich gutmütig! Nun ja, sie sind schon schwach im Kopfe, werden unmerklich wieder zu Kindern." (Fortsetzung folgt.) Maßgebliches und Unmaßgebliches Neichsspiegel Labiau-Wehlau — Haltung der Regierung — Vernachlässigung der Armee — Kaiser und Nation — Konservative Hetzereien. Am Freitag, den 2., hat die alte Hochburg der Konservativen Ostpreußen zum zweitenmal in diesem Jahre Stellung zur allgemeinen politischen Lage genommen. Im Wahlkreise Labiau-Wehlau sind rund 4300 Stimmen weniger für den konservativen Kandidaten abgegeben worden, als in der Wahl von 1907. Diese Stimmen sind dem freisinnigen Kandidaten zugeflossen, ebenso wie rund 1300, die früher den Sozialdemokraten zugefallen waren. Die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" will aus dem Wahlausfall keine allgemeinen Folgerungen ziehen. Aus der Tatsache, daß die Sozialdemokratie seit der Wahl vom Jahre 1903 rund 1300 Stimmen eingebüßt hat, will das halbamtliche Organ auch die Berechtigung zu optimistischen Anschauungen nicht herleiten. Wir möchten da doch einen anderen Standpunkt unterstreichen. Wir führen die Abnahme der sozial¬ demokratischen Stimmen gerade auf den Umstand zurück, daß die bürgerlichen Kreise endlich den Mut gefunden haben, gegen die einseitige Herrschaft des Bundes der Landwirte zu protestieren, daß also eine große Reihe früherer sozialdemo- kratischer Wähler durchaus nicht als Republikaner anzusprechen ist, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/495>, abgerufen am 29.04.2024.