Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zwischen Olga und Bol bildete sich eine Freundschaft, die schließlich so weit
ging, daß Okolitsch Einsprache dagegen erhob und drohte, den Hund an die Kette
zu legen. Bol wollte das Mädchen nur dann verlassen, wenn Okolitsch selbst zu
Hause war. Sobald dieser sich entfernte, flog Bol in großen Sätzen zu Schejins,
hob sich an Olgas Fenster auf die Hinterbeine und drückte die Nase an die Scheibe'
worauf er sogleich eingelassen wurde. Er war Olgas beständiger Begleiter, wenn
sie spazieren ging, und gesellte sich Okolitsch auch dazu, so kannte die Freude des
Tieres keine Grenzen. Der alte Hund rannte, sprang und spielte dann wie ein
junges Hündchen. Kehrte er mit Okolitsch von der Jagd zurück, so guckte er un¬
verwandt auf die Chaussee vor sich, ob er Olga nicht erblicke, und kam sie ent¬
gegen, wie sie immer häufiger tat, so war alle Müdigkeit vergessen. Er stürzte
zu ihr, umkreiste sie unzählige Male und bellte vor Vergnügen, worauf Okolitsch
jedesmal drohte, ihn zu züchtigen. Die Drohung wurde nie ausgeführt, denn im
Grunde nahm der Jäger es dem Tiere gar nicht so sehr übel, weil er selbst nicht
weniger scharf nach ihr ausgeschaut hatte.

So ging es bis in den November. Da bedeckte der Schnee die Erde, und
für den Hund trat die traurige faule Zeit ein, in der Okolitsch allein mit der
Flinte auszog und ihn nicht mitnehmen konnte. Bol lag dann jeden Feiertag zu
Olgas Füßen in ihrem Stübchen und schaute, wenn der Abend nahte, fragend
zu ihr auf. Lächelnd hüllte sie sich in ihr Pelzchen, und beide zusammen wanderten
dem Jäger entgegen. Sobald sie ihn erblickten, eilte Bol dahin und ächzte vor
Freude, wodurch das Mädchen sich nicht selten verleiten ließ, es ihm im Laufen
gleichtun zu wollen, so daß sie rosenrot im Gesicht und fast atemlos, aber von
ganzem Herzen lachend und kindlich glücklich bei dem Heimkehrenden anlangte.

(Fortsetzung folgt.)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

Weihnachtssegen -- Die Politik des Kanzlers -- Kiderlen-Wächter -- Wirt¬
schaftlicher Beirat -- Österreichische Dinge -- Polnische Politik.

Am Anfang der abgelaufenen Woche stand in: Mittelpunkt der politischen
Erörterung die Persönlichkeit des Herrn Reichskanzlers, am Ende sind es -- wenn
wir uns auf das Gebiet der allgemeinen Politik beschränken -- ausschließlich sach¬
liche Erwägungen, die im Vordergrunde stehen. Im ganzen darf die Lage sowohl
für die innere als für die äußere Politik mit den Worten "Entspannung" und
"Beruhigung" gekennzeichnet werden. Daß die Entspannung in der inneren
Politik freilich schon als der Beginn einer allgemeinen Beruhigung der Gemüter
angesehen werden darf, möchten wir noch nicht glauben: ein guter Teil der Gründe
für die momentane Entspannung liegt in der Tatsache des Ferienbeginns und in
der Vereinigung aller Gedanken auf das Weihnachtsfest. Der Sinn, der sich vor¬
nehmlich darauf richtet, daheim im engeren Kreise Freude zu bereiten und im
weiteren Kreise Nöte zu lindern, entäußert sich der Kampfesstimmung. Kehrt er


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zwischen Olga und Bol bildete sich eine Freundschaft, die schließlich so weit
ging, daß Okolitsch Einsprache dagegen erhob und drohte, den Hund an die Kette
zu legen. Bol wollte das Mädchen nur dann verlassen, wenn Okolitsch selbst zu
Hause war. Sobald dieser sich entfernte, flog Bol in großen Sätzen zu Schejins,
hob sich an Olgas Fenster auf die Hinterbeine und drückte die Nase an die Scheibe'
worauf er sogleich eingelassen wurde. Er war Olgas beständiger Begleiter, wenn
sie spazieren ging, und gesellte sich Okolitsch auch dazu, so kannte die Freude des
Tieres keine Grenzen. Der alte Hund rannte, sprang und spielte dann wie ein
junges Hündchen. Kehrte er mit Okolitsch von der Jagd zurück, so guckte er un¬
verwandt auf die Chaussee vor sich, ob er Olga nicht erblicke, und kam sie ent¬
gegen, wie sie immer häufiger tat, so war alle Müdigkeit vergessen. Er stürzte
zu ihr, umkreiste sie unzählige Male und bellte vor Vergnügen, worauf Okolitsch
jedesmal drohte, ihn zu züchtigen. Die Drohung wurde nie ausgeführt, denn im
Grunde nahm der Jäger es dem Tiere gar nicht so sehr übel, weil er selbst nicht
weniger scharf nach ihr ausgeschaut hatte.

So ging es bis in den November. Da bedeckte der Schnee die Erde, und
für den Hund trat die traurige faule Zeit ein, in der Okolitsch allein mit der
Flinte auszog und ihn nicht mitnehmen konnte. Bol lag dann jeden Feiertag zu
Olgas Füßen in ihrem Stübchen und schaute, wenn der Abend nahte, fragend
zu ihr auf. Lächelnd hüllte sie sich in ihr Pelzchen, und beide zusammen wanderten
dem Jäger entgegen. Sobald sie ihn erblickten, eilte Bol dahin und ächzte vor
Freude, wodurch das Mädchen sich nicht selten verleiten ließ, es ihm im Laufen
gleichtun zu wollen, so daß sie rosenrot im Gesicht und fast atemlos, aber von
ganzem Herzen lachend und kindlich glücklich bei dem Heimkehrenden anlangte.

(Fortsetzung folgt.)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

Weihnachtssegen — Die Politik des Kanzlers — Kiderlen-Wächter — Wirt¬
schaftlicher Beirat — Österreichische Dinge — Polnische Politik.

Am Anfang der abgelaufenen Woche stand in: Mittelpunkt der politischen
Erörterung die Persönlichkeit des Herrn Reichskanzlers, am Ende sind es — wenn
wir uns auf das Gebiet der allgemeinen Politik beschränken — ausschließlich sach¬
liche Erwägungen, die im Vordergrunde stehen. Im ganzen darf die Lage sowohl
für die innere als für die äußere Politik mit den Worten „Entspannung" und
„Beruhigung" gekennzeichnet werden. Daß die Entspannung in der inneren
Politik freilich schon als der Beginn einer allgemeinen Beruhigung der Gemüter
angesehen werden darf, möchten wir noch nicht glauben: ein guter Teil der Gründe
für die momentane Entspannung liegt in der Tatsache des Ferienbeginns und in
der Vereinigung aller Gedanken auf das Weihnachtsfest. Der Sinn, der sich vor¬
nehmlich darauf richtet, daheim im engeren Kreise Freude zu bereiten und im
weiteren Kreise Nöte zu lindern, entäußert sich der Kampfesstimmung. Kehrt er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0591" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317542"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2883"> Zwischen Olga und Bol bildete sich eine Freundschaft, die schließlich so weit<lb/>
ging, daß Okolitsch Einsprache dagegen erhob und drohte, den Hund an die Kette<lb/>
zu legen. Bol wollte das Mädchen nur dann verlassen, wenn Okolitsch selbst zu<lb/>
Hause war. Sobald dieser sich entfernte, flog Bol in großen Sätzen zu Schejins,<lb/>
hob sich an Olgas Fenster auf die Hinterbeine und drückte die Nase an die Scheibe'<lb/>
worauf er sogleich eingelassen wurde. Er war Olgas beständiger Begleiter, wenn<lb/>
sie spazieren ging, und gesellte sich Okolitsch auch dazu, so kannte die Freude des<lb/>
Tieres keine Grenzen. Der alte Hund rannte, sprang und spielte dann wie ein<lb/>
junges Hündchen. Kehrte er mit Okolitsch von der Jagd zurück, so guckte er un¬<lb/>
verwandt auf die Chaussee vor sich, ob er Olga nicht erblicke, und kam sie ent¬<lb/>
gegen, wie sie immer häufiger tat, so war alle Müdigkeit vergessen. Er stürzte<lb/>
zu ihr, umkreiste sie unzählige Male und bellte vor Vergnügen, worauf Okolitsch<lb/>
jedesmal drohte, ihn zu züchtigen. Die Drohung wurde nie ausgeführt, denn im<lb/>
Grunde nahm der Jäger es dem Tiere gar nicht so sehr übel, weil er selbst nicht<lb/>
weniger scharf nach ihr ausgeschaut hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2884"> So ging es bis in den November. Da bedeckte der Schnee die Erde, und<lb/>
für den Hund trat die traurige faule Zeit ein, in der Okolitsch allein mit der<lb/>
Flinte auszog und ihn nicht mitnehmen konnte. Bol lag dann jeden Feiertag zu<lb/>
Olgas Füßen in ihrem Stübchen und schaute, wenn der Abend nahte, fragend<lb/>
zu ihr auf. Lächelnd hüllte sie sich in ihr Pelzchen, und beide zusammen wanderten<lb/>
dem Jäger entgegen. Sobald sie ihn erblickten, eilte Bol dahin und ächzte vor<lb/>
Freude, wodurch das Mädchen sich nicht selten verleiten ließ, es ihm im Laufen<lb/>
gleichtun zu wollen, so daß sie rosenrot im Gesicht und fast atemlos, aber von<lb/>
ganzem Herzen lachend und kindlich glücklich bei dem Heimkehrenden anlangte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2885"> (Fortsetzung folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Reichsspiegel</head><lb/>
            <note type="argument"> Weihnachtssegen &#x2014; Die Politik des Kanzlers &#x2014; Kiderlen-Wächter &#x2014; Wirt¬<lb/>
schaftlicher Beirat &#x2014; Österreichische Dinge &#x2014; Polnische Politik.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_2886" next="#ID_2887"> Am Anfang der abgelaufenen Woche stand in: Mittelpunkt der politischen<lb/>
Erörterung die Persönlichkeit des Herrn Reichskanzlers, am Ende sind es &#x2014; wenn<lb/>
wir uns auf das Gebiet der allgemeinen Politik beschränken &#x2014; ausschließlich sach¬<lb/>
liche Erwägungen, die im Vordergrunde stehen. Im ganzen darf die Lage sowohl<lb/>
für die innere als für die äußere Politik mit den Worten &#x201E;Entspannung" und<lb/>
&#x201E;Beruhigung" gekennzeichnet werden. Daß die Entspannung in der inneren<lb/>
Politik freilich schon als der Beginn einer allgemeinen Beruhigung der Gemüter<lb/>
angesehen werden darf, möchten wir noch nicht glauben: ein guter Teil der Gründe<lb/>
für die momentane Entspannung liegt in der Tatsache des Ferienbeginns und in<lb/>
der Vereinigung aller Gedanken auf das Weihnachtsfest. Der Sinn, der sich vor¬<lb/>
nehmlich darauf richtet, daheim im engeren Kreise Freude zu bereiten und im<lb/>
weiteren Kreise Nöte zu lindern, entäußert sich der Kampfesstimmung. Kehrt er</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0591] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zwischen Olga und Bol bildete sich eine Freundschaft, die schließlich so weit ging, daß Okolitsch Einsprache dagegen erhob und drohte, den Hund an die Kette zu legen. Bol wollte das Mädchen nur dann verlassen, wenn Okolitsch selbst zu Hause war. Sobald dieser sich entfernte, flog Bol in großen Sätzen zu Schejins, hob sich an Olgas Fenster auf die Hinterbeine und drückte die Nase an die Scheibe' worauf er sogleich eingelassen wurde. Er war Olgas beständiger Begleiter, wenn sie spazieren ging, und gesellte sich Okolitsch auch dazu, so kannte die Freude des Tieres keine Grenzen. Der alte Hund rannte, sprang und spielte dann wie ein junges Hündchen. Kehrte er mit Okolitsch von der Jagd zurück, so guckte er un¬ verwandt auf die Chaussee vor sich, ob er Olga nicht erblicke, und kam sie ent¬ gegen, wie sie immer häufiger tat, so war alle Müdigkeit vergessen. Er stürzte zu ihr, umkreiste sie unzählige Male und bellte vor Vergnügen, worauf Okolitsch jedesmal drohte, ihn zu züchtigen. Die Drohung wurde nie ausgeführt, denn im Grunde nahm der Jäger es dem Tiere gar nicht so sehr übel, weil er selbst nicht weniger scharf nach ihr ausgeschaut hatte. So ging es bis in den November. Da bedeckte der Schnee die Erde, und für den Hund trat die traurige faule Zeit ein, in der Okolitsch allein mit der Flinte auszog und ihn nicht mitnehmen konnte. Bol lag dann jeden Feiertag zu Olgas Füßen in ihrem Stübchen und schaute, wenn der Abend nahte, fragend zu ihr auf. Lächelnd hüllte sie sich in ihr Pelzchen, und beide zusammen wanderten dem Jäger entgegen. Sobald sie ihn erblickten, eilte Bol dahin und ächzte vor Freude, wodurch das Mädchen sich nicht selten verleiten ließ, es ihm im Laufen gleichtun zu wollen, so daß sie rosenrot im Gesicht und fast atemlos, aber von ganzem Herzen lachend und kindlich glücklich bei dem Heimkehrenden anlangte. (Fortsetzung folgt.) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel Weihnachtssegen — Die Politik des Kanzlers — Kiderlen-Wächter — Wirt¬ schaftlicher Beirat — Österreichische Dinge — Polnische Politik. Am Anfang der abgelaufenen Woche stand in: Mittelpunkt der politischen Erörterung die Persönlichkeit des Herrn Reichskanzlers, am Ende sind es — wenn wir uns auf das Gebiet der allgemeinen Politik beschränken — ausschließlich sach¬ liche Erwägungen, die im Vordergrunde stehen. Im ganzen darf die Lage sowohl für die innere als für die äußere Politik mit den Worten „Entspannung" und „Beruhigung" gekennzeichnet werden. Daß die Entspannung in der inneren Politik freilich schon als der Beginn einer allgemeinen Beruhigung der Gemüter angesehen werden darf, möchten wir noch nicht glauben: ein guter Teil der Gründe für die momentane Entspannung liegt in der Tatsache des Ferienbeginns und in der Vereinigung aller Gedanken auf das Weihnachtsfest. Der Sinn, der sich vor¬ nehmlich darauf richtet, daheim im engeren Kreise Freude zu bereiten und im weiteren Kreise Nöte zu lindern, entäußert sich der Kampfesstimmung. Kehrt er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/591
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/591>, abgerufen am 29.04.2024.