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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Erfahrungen vom künftigen österreichischen Herrscher ganz besonders gelten. Der
Vorgänger des Baron Bienerth wurde als sein besonderer Günstling Minister¬
präsident, fiel jedoch noch während seiner Ministerzeit in schwerste Ungnade,
weil er das gleiche Wahlrecht statt des vom Thronfolger bevorzugten Plural¬
wahlrechts einführte. Graf Aehrenthal verscherzte sich seine Gunst durch den
Friedjungprozeß, der Kriegsminister Schönaich durch zuweit gehende Nachgiebig¬
keit gegenüber den Forderungen Ungarns; auch der Generalstabschef Conrad
v. Holzendorf soll das Vertrauen eingebüßt haben. Nach diesem Vorspiel wird
der Menschenverbrauch unter dem Kaiser Ferdinand recht ausgiebig sein; viel¬
leicht kommt indes mit der Verantwortlichkeit auch die Sparsamkeit.

Die Frage, ob Graf Aehrenthal geht oder bleibt, hängt indes keineswegs
von seinem Verhältnis zum Thronfolger ab, sondern ausschließlich von seiner
Gesundheit. Sie soll sich gebessert haben, und wichtige Sachen des Ministeriums
gehen schon wieder nach Abbazia, was um so nötiger ist, als Aehrenthals Stell¬
vertreter, Graf Pallavicini, auch krank ist. Vielleicht hat der Thronfolger auch
jetzt Anlaß zur Kritik an der auswärtigen Politik Österreichs. Die klerikalen
Blätter geben wenigstens sehr deutlich ihrem Unmut darüber Ausdruck, daß
Österreich nicht in Albanien eingreift und den Türken gegenüber den Albanern
in den Arm fällt. Von den Albanern ist zwar nur ein schwaches Drittel
katholisch; da aber die sonstige Christenheit am Balkan fast ausschließlich griechisch¬
orthodox ist, so klammert sich die Kurie um so mehr an diesen katholischen
Bevölkerungsteil, um von hier aus die Hebel für eine katholische Propaganda
anzusetzen. Das Ministerium steht zweifellos auch ein wenig unter dem Drucke
dieser Ermahnungen zur Aktivität, wenn es natürlich auch ausgeschlossen ist,
daß es über zarte Winke an die Adresse der Pforte hinausgehen sollte. Und
es läßt sich in dieser Beziehung, wie ein klerikales Blatt kürzlich bemerkte, von
England "beschämen", das wieder seine Entrüstung gegenüber den "atroLltis8"
der Türken spielen läßt -- mit besonderer Vorliebe freilich, wenn es mit der
Türkei über recht praktische Dinge, wie zum Beispiel über das Endstück der
--i-- Bagdadbahn, verhandelt.


Bank und Geld

Herr t>. Gwmner und die Etatberatung -- Sparkassen und Kvnsols -- Produktive
Schulden im Eisenbahnetat -- Die Sanierung der Osterreichischen Südbahn --
Znhlnngseinstellnng Pistorius in Hildesheim

Gelegentlich der Etatberatung im preußischen Herrenhause hat es eine
angeregte Aussprache zwischen dem ersten Theoretiker und dem ersten Praktiker
in Finanzfragen gegeben. Adolf Wagner und Herr v. Gwinner haben die
Klingen gekreuzt, und man kann nicht behaupten, daß der Leiter der Deutschen
Bank dabei den kürzeren gezogen hätte.

Um zwei Punkte handelte es sich vornehmlich: zunächst um die schou so
oft aufgeworfene Frage, ob man den Sparkassen und eventuell auch den


Reichsspiegel

Erfahrungen vom künftigen österreichischen Herrscher ganz besonders gelten. Der
Vorgänger des Baron Bienerth wurde als sein besonderer Günstling Minister¬
präsident, fiel jedoch noch während seiner Ministerzeit in schwerste Ungnade,
weil er das gleiche Wahlrecht statt des vom Thronfolger bevorzugten Plural¬
wahlrechts einführte. Graf Aehrenthal verscherzte sich seine Gunst durch den
Friedjungprozeß, der Kriegsminister Schönaich durch zuweit gehende Nachgiebig¬
keit gegenüber den Forderungen Ungarns; auch der Generalstabschef Conrad
v. Holzendorf soll das Vertrauen eingebüßt haben. Nach diesem Vorspiel wird
der Menschenverbrauch unter dem Kaiser Ferdinand recht ausgiebig sein; viel¬
leicht kommt indes mit der Verantwortlichkeit auch die Sparsamkeit.

Die Frage, ob Graf Aehrenthal geht oder bleibt, hängt indes keineswegs
von seinem Verhältnis zum Thronfolger ab, sondern ausschließlich von seiner
Gesundheit. Sie soll sich gebessert haben, und wichtige Sachen des Ministeriums
gehen schon wieder nach Abbazia, was um so nötiger ist, als Aehrenthals Stell¬
vertreter, Graf Pallavicini, auch krank ist. Vielleicht hat der Thronfolger auch
jetzt Anlaß zur Kritik an der auswärtigen Politik Österreichs. Die klerikalen
Blätter geben wenigstens sehr deutlich ihrem Unmut darüber Ausdruck, daß
Österreich nicht in Albanien eingreift und den Türken gegenüber den Albanern
in den Arm fällt. Von den Albanern ist zwar nur ein schwaches Drittel
katholisch; da aber die sonstige Christenheit am Balkan fast ausschließlich griechisch¬
orthodox ist, so klammert sich die Kurie um so mehr an diesen katholischen
Bevölkerungsteil, um von hier aus die Hebel für eine katholische Propaganda
anzusetzen. Das Ministerium steht zweifellos auch ein wenig unter dem Drucke
dieser Ermahnungen zur Aktivität, wenn es natürlich auch ausgeschlossen ist,
daß es über zarte Winke an die Adresse der Pforte hinausgehen sollte. Und
es läßt sich in dieser Beziehung, wie ein klerikales Blatt kürzlich bemerkte, von
England „beschämen", das wieder seine Entrüstung gegenüber den „atroLltis8"
der Türken spielen läßt — mit besonderer Vorliebe freilich, wenn es mit der
Türkei über recht praktische Dinge, wie zum Beispiel über das Endstück der
—i— Bagdadbahn, verhandelt.


Bank und Geld

Herr t>. Gwmner und die Etatberatung — Sparkassen und Kvnsols — Produktive
Schulden im Eisenbahnetat — Die Sanierung der Osterreichischen Südbahn —
Znhlnngseinstellnng Pistorius in Hildesheim

Gelegentlich der Etatberatung im preußischen Herrenhause hat es eine
angeregte Aussprache zwischen dem ersten Theoretiker und dem ersten Praktiker
in Finanzfragen gegeben. Adolf Wagner und Herr v. Gwinner haben die
Klingen gekreuzt, und man kann nicht behaupten, daß der Leiter der Deutschen
Bank dabei den kürzeren gezogen hätte.

Um zwei Punkte handelte es sich vornehmlich: zunächst um die schou so
oft aufgeworfene Frage, ob man den Sparkassen und eventuell auch den


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[0152] Reichsspiegel Erfahrungen vom künftigen österreichischen Herrscher ganz besonders gelten. Der Vorgänger des Baron Bienerth wurde als sein besonderer Günstling Minister¬ präsident, fiel jedoch noch während seiner Ministerzeit in schwerste Ungnade, weil er das gleiche Wahlrecht statt des vom Thronfolger bevorzugten Plural¬ wahlrechts einführte. Graf Aehrenthal verscherzte sich seine Gunst durch den Friedjungprozeß, der Kriegsminister Schönaich durch zuweit gehende Nachgiebig¬ keit gegenüber den Forderungen Ungarns; auch der Generalstabschef Conrad v. Holzendorf soll das Vertrauen eingebüßt haben. Nach diesem Vorspiel wird der Menschenverbrauch unter dem Kaiser Ferdinand recht ausgiebig sein; viel¬ leicht kommt indes mit der Verantwortlichkeit auch die Sparsamkeit. Die Frage, ob Graf Aehrenthal geht oder bleibt, hängt indes keineswegs von seinem Verhältnis zum Thronfolger ab, sondern ausschließlich von seiner Gesundheit. Sie soll sich gebessert haben, und wichtige Sachen des Ministeriums gehen schon wieder nach Abbazia, was um so nötiger ist, als Aehrenthals Stell¬ vertreter, Graf Pallavicini, auch krank ist. Vielleicht hat der Thronfolger auch jetzt Anlaß zur Kritik an der auswärtigen Politik Österreichs. Die klerikalen Blätter geben wenigstens sehr deutlich ihrem Unmut darüber Ausdruck, daß Österreich nicht in Albanien eingreift und den Türken gegenüber den Albanern in den Arm fällt. Von den Albanern ist zwar nur ein schwaches Drittel katholisch; da aber die sonstige Christenheit am Balkan fast ausschließlich griechisch¬ orthodox ist, so klammert sich die Kurie um so mehr an diesen katholischen Bevölkerungsteil, um von hier aus die Hebel für eine katholische Propaganda anzusetzen. Das Ministerium steht zweifellos auch ein wenig unter dem Drucke dieser Ermahnungen zur Aktivität, wenn es natürlich auch ausgeschlossen ist, daß es über zarte Winke an die Adresse der Pforte hinausgehen sollte. Und es läßt sich in dieser Beziehung, wie ein klerikales Blatt kürzlich bemerkte, von England „beschämen", das wieder seine Entrüstung gegenüber den „atroLltis8" der Türken spielen läßt — mit besonderer Vorliebe freilich, wenn es mit der Türkei über recht praktische Dinge, wie zum Beispiel über das Endstück der —i— Bagdadbahn, verhandelt. Bank und Geld Herr t>. Gwmner und die Etatberatung — Sparkassen und Kvnsols — Produktive Schulden im Eisenbahnetat — Die Sanierung der Osterreichischen Südbahn — Znhlnngseinstellnng Pistorius in Hildesheim Gelegentlich der Etatberatung im preußischen Herrenhause hat es eine angeregte Aussprache zwischen dem ersten Theoretiker und dem ersten Praktiker in Finanzfragen gegeben. Adolf Wagner und Herr v. Gwinner haben die Klingen gekreuzt, und man kann nicht behaupten, daß der Leiter der Deutschen Bank dabei den kürzeren gezogen hätte. Um zwei Punkte handelte es sich vornehmlich: zunächst um die schou so oft aufgeworfene Frage, ob man den Sparkassen und eventuell auch den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/152>, abgerufen am 26.05.2024.