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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Gartenkunst

Die neue Gartenkunst
von Dr. Friedrich Wolters (Schluß.)

Schiller behauptet, daß die schönen Kunstgärten in Deutschland immer
allgemeiner würden, aber nicht zum Vorteil des guten Geschmacks, weil
es noch an festen Prinzipien fehlte und alles der Willkür überlassen bliebe.
"Diese Geburten des nördlichen Geschmacks", schrieb er, "sind von einer so
zweideutigen Abkunft und haben bis jetzt einen so unsicheren Charakter gezeigt,
daß es dem echten Kunstfreunde zu verzeihen ist, wenn er sie kaum einer flüchtigen
Aufmerksamkeit würdigte und dem Dilettantismus zum Spiele dahingab . . .
Aus der strengen Zucht des Architekten flüchtete die Gartenkunst sich in die
Freiheit des Poeten, vertauschte plötzlich die härteste Knechtschaft mit der regel¬
losesten Lizenz und wollte nun von der Einbildungskraft allein das Gesetz
empfangen. So willkürlich, abenteuerlich und bunt, als nur immer die sich
selbst überlassene Phantasie die Bilder wechselt, mußte nun das Auge von einer
unerwarteten Dekoration zur anderen hinüberspringen, und die Natur, in einem
größeren oder kleineren Bezirk, die ganze Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen
wie aus einer Musterkarte vorlegen. So wie sie in den französischen Gärten
ihrer Freiheit beraubt, dafür aber durch gewisse architektonische Übereinstimmung
und Größe entschädigt wurde, so sinkt', sie nun, in unseren sogenannten englischen
Gärten, zu einer kindischen Kleinheit herab und hat sich durch ein übertriebenes
Bestreben nach Ungezwungenheit und Mannigfaltigkeit von aller schönen Einfalt
entfernt und aller Regel entzogen. In diesem Zustande ist sie größtenteils noch,
nicht wenig begünstigt durch den weichlichen Charakter der Zeit, der vor aller
Bestimmtheit der Formen flieht und es unendlich bequemer findet, die Gegen¬
stände nach seinen Einfällen zu modeln, als sich nach ihnen zu richten."
Schiller untersucht dann die Möglichkeiten des architektonischen und des poetischen
Geschmacks und erkennt auch dem zweiten eine Berechtigung zu, wenn er aus
seinen Anlagen alle Spuren eines künstlichen Ursprungs entferne und -- ein
Widerspruch in sich -- die Freiheit zum obersten Gesetz erhebe. Aber er sei
gescheitert, weil er aus seinen Grenzen getreten sei und die Gartenkunst in die
Malerei hinübergeführt habe. Der verjüngte Maßstab der letzteren aber kann
in einer Kunst nicht wirken, welche die Natur durch sich selbst repräsentiert,
und jede sichtbare Nachahmung muß also ins Tändelhafte und Willkürliche fallen.
Schiller neigt sich dann einer im Gartenkalender vorgeschlagenen Vereinigung
beider Geschmacksrichtungen zu, wodurch die Gartenlandschaft vom eigentlichen
Garten, der seine alte Dreiteilung und seine festen Grenzen haben soll, geschieden
wird und beide wieder auf vernünftige Zwecke zurückgeführt werden sollen, ohne
daß man versucht, "die Welt in eine Gartenmauer einzuschließen". Aber, und
hier opfert er seiner Zeit, er hält dennoch "symbolische und gleichsam pathetische


Grenzboten II 1911 2"
Die neue Gartenkunst

Die neue Gartenkunst
von Dr. Friedrich Wolters (Schluß.)

Schiller behauptet, daß die schönen Kunstgärten in Deutschland immer
allgemeiner würden, aber nicht zum Vorteil des guten Geschmacks, weil
es noch an festen Prinzipien fehlte und alles der Willkür überlassen bliebe.
„Diese Geburten des nördlichen Geschmacks", schrieb er, „sind von einer so
zweideutigen Abkunft und haben bis jetzt einen so unsicheren Charakter gezeigt,
daß es dem echten Kunstfreunde zu verzeihen ist, wenn er sie kaum einer flüchtigen
Aufmerksamkeit würdigte und dem Dilettantismus zum Spiele dahingab . . .
Aus der strengen Zucht des Architekten flüchtete die Gartenkunst sich in die
Freiheit des Poeten, vertauschte plötzlich die härteste Knechtschaft mit der regel¬
losesten Lizenz und wollte nun von der Einbildungskraft allein das Gesetz
empfangen. So willkürlich, abenteuerlich und bunt, als nur immer die sich
selbst überlassene Phantasie die Bilder wechselt, mußte nun das Auge von einer
unerwarteten Dekoration zur anderen hinüberspringen, und die Natur, in einem
größeren oder kleineren Bezirk, die ganze Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen
wie aus einer Musterkarte vorlegen. So wie sie in den französischen Gärten
ihrer Freiheit beraubt, dafür aber durch gewisse architektonische Übereinstimmung
und Größe entschädigt wurde, so sinkt', sie nun, in unseren sogenannten englischen
Gärten, zu einer kindischen Kleinheit herab und hat sich durch ein übertriebenes
Bestreben nach Ungezwungenheit und Mannigfaltigkeit von aller schönen Einfalt
entfernt und aller Regel entzogen. In diesem Zustande ist sie größtenteils noch,
nicht wenig begünstigt durch den weichlichen Charakter der Zeit, der vor aller
Bestimmtheit der Formen flieht und es unendlich bequemer findet, die Gegen¬
stände nach seinen Einfällen zu modeln, als sich nach ihnen zu richten."
Schiller untersucht dann die Möglichkeiten des architektonischen und des poetischen
Geschmacks und erkennt auch dem zweiten eine Berechtigung zu, wenn er aus
seinen Anlagen alle Spuren eines künstlichen Ursprungs entferne und — ein
Widerspruch in sich — die Freiheit zum obersten Gesetz erhebe. Aber er sei
gescheitert, weil er aus seinen Grenzen getreten sei und die Gartenkunst in die
Malerei hinübergeführt habe. Der verjüngte Maßstab der letzteren aber kann
in einer Kunst nicht wirken, welche die Natur durch sich selbst repräsentiert,
und jede sichtbare Nachahmung muß also ins Tändelhafte und Willkürliche fallen.
Schiller neigt sich dann einer im Gartenkalender vorgeschlagenen Vereinigung
beider Geschmacksrichtungen zu, wodurch die Gartenlandschaft vom eigentlichen
Garten, der seine alte Dreiteilung und seine festen Grenzen haben soll, geschieden
wird und beide wieder auf vernünftige Zwecke zurückgeführt werden sollen, ohne
daß man versucht, „die Welt in eine Gartenmauer einzuschließen". Aber, und
hier opfert er seiner Zeit, er hält dennoch „symbolische und gleichsam pathetische


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[0165] Die neue Gartenkunst Die neue Gartenkunst von Dr. Friedrich Wolters (Schluß.) Schiller behauptet, daß die schönen Kunstgärten in Deutschland immer allgemeiner würden, aber nicht zum Vorteil des guten Geschmacks, weil es noch an festen Prinzipien fehlte und alles der Willkür überlassen bliebe. „Diese Geburten des nördlichen Geschmacks", schrieb er, „sind von einer so zweideutigen Abkunft und haben bis jetzt einen so unsicheren Charakter gezeigt, daß es dem echten Kunstfreunde zu verzeihen ist, wenn er sie kaum einer flüchtigen Aufmerksamkeit würdigte und dem Dilettantismus zum Spiele dahingab . . . Aus der strengen Zucht des Architekten flüchtete die Gartenkunst sich in die Freiheit des Poeten, vertauschte plötzlich die härteste Knechtschaft mit der regel¬ losesten Lizenz und wollte nun von der Einbildungskraft allein das Gesetz empfangen. So willkürlich, abenteuerlich und bunt, als nur immer die sich selbst überlassene Phantasie die Bilder wechselt, mußte nun das Auge von einer unerwarteten Dekoration zur anderen hinüberspringen, und die Natur, in einem größeren oder kleineren Bezirk, die ganze Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen wie aus einer Musterkarte vorlegen. So wie sie in den französischen Gärten ihrer Freiheit beraubt, dafür aber durch gewisse architektonische Übereinstimmung und Größe entschädigt wurde, so sinkt', sie nun, in unseren sogenannten englischen Gärten, zu einer kindischen Kleinheit herab und hat sich durch ein übertriebenes Bestreben nach Ungezwungenheit und Mannigfaltigkeit von aller schönen Einfalt entfernt und aller Regel entzogen. In diesem Zustande ist sie größtenteils noch, nicht wenig begünstigt durch den weichlichen Charakter der Zeit, der vor aller Bestimmtheit der Formen flieht und es unendlich bequemer findet, die Gegen¬ stände nach seinen Einfällen zu modeln, als sich nach ihnen zu richten." Schiller untersucht dann die Möglichkeiten des architektonischen und des poetischen Geschmacks und erkennt auch dem zweiten eine Berechtigung zu, wenn er aus seinen Anlagen alle Spuren eines künstlichen Ursprungs entferne und — ein Widerspruch in sich — die Freiheit zum obersten Gesetz erhebe. Aber er sei gescheitert, weil er aus seinen Grenzen getreten sei und die Gartenkunst in die Malerei hinübergeführt habe. Der verjüngte Maßstab der letzteren aber kann in einer Kunst nicht wirken, welche die Natur durch sich selbst repräsentiert, und jede sichtbare Nachahmung muß also ins Tändelhafte und Willkürliche fallen. Schiller neigt sich dann einer im Gartenkalender vorgeschlagenen Vereinigung beider Geschmacksrichtungen zu, wodurch die Gartenlandschaft vom eigentlichen Garten, der seine alte Dreiteilung und seine festen Grenzen haben soll, geschieden wird und beide wieder auf vernünftige Zwecke zurückgeführt werden sollen, ohne daß man versucht, „die Welt in eine Gartenmauer einzuschließen". Aber, und hier opfert er seiner Zeit, er hält dennoch „symbolische und gleichsam pathetische Grenzboten II 1911 2»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/165>, abgerufen am 26.05.2024.