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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Versöhnungspolitik mit den Polen von neuem betritt. Wozu? Warum? Um
die Katholiken zu beruhigen? Das wäre nicht notwendig. Denn ein großer
Teil der deutschen Katholiken denkt über die Notwendigkeit einer energischen
Fortführung des Ansiedlungswerkes in der Ostmark genau so wie wir. Ja, sie
stimmen uns sogar, wie aus Altkempners lesenswerter Studie zu entnehmen ist,
darin bei, daß einstweilen das zur Kolonisation im Osten verwendete Ansiedler¬
material nicht aus der katholischen Bevölkerung entnommen werden dürfe, weil
es aus naheliegenden Gründen zu leicht der Polonisterung verfalle. Also nicht
die deutschen Katholiken, sondern die Ultramontanen und mit ihnen den polnischen
Großgrundbesitz sucht die Regierung zu beschwichtigen. Welch ein höherer Gesichts¬
punkt dieser Politik zugrunde liegt, entzieht sich vollständig meiner Kenntnis.
Rücksicht auf die österreichischen Polen ist es ebensowenig wie etwa das von
russischer Seite wiederholt gemachte Angebot, uns das Weichselgebiet, das "König¬
reich", anzugliedern. Es sind in erster Linie innerpolitische, das ultramontane
Zentrum angehende Erwägungen, die die preußische Staatsregierung leiten.

In meinem vorigen Reichsspiegel habe ich darauf hingewiesen, wie sehr
gerade der Stellungswechsel dem Zentrum gegenüber der Regierungsautorität
schade. Auch die deutsche Wissenschaft muß in eigenartigem Licht erscheinen,
wenn sie die neue Haltung der Regierung stillschweigend gut heißt. Wie
erinnerlich hat im Kampf um das Enteignnngsgesetz im Jahre 1903 Professor
v. Schmoller seine ganze wissenschaftliche Autorität im Herrenhause eingesetzt,
um die Regierungsvorlage durchzubringen. Die Rede des Berliner National¬
ökonomen war die letzte unter den großen damals gehaltenen, und man
hatte den Eindruck, daß sie das Schicksal der Vorlage nicht mehr beeinflussen
konnte, weil schon die vorhergegangenen Ausführungen die Stimmung zugunsten
der Regierung gewendet hatten. Damals wurde mir erklärt, daß Schmollers
Rede auch lediglich den Zweck verfolgt habe, die Haltung der Regierung nach
außen moralisch zu stützen; sie sollte zeigen, daß die Regierung ihre nationalen
Aufgaben löse nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Im Herbst vorigen Jahres
hat ein anderer anerkannter Gelehrter, Professor Gering, einwandfrei den
Nachweis erbracht, daß der Großgrundbesitz und in erster Linie die Latifundien
der Ostmark das Land in nationaler Hinsicht ruinieren. Es wäre zweifellos
eine verdienstvolle Tat, wenn die genannten Gelehrten sich entschließen wollten,
ihren früher geäußerten Standpunkt gerade jetzt wieder der Öffentlichkeit zu
G, Li, wiederholen.


Bank und Geld

Deutsch-schwedischer Handelsvertrag -- Kanadisch-amerikanischer Zolltiertrag -- Gefähr-
, dung deutscher Hnndelsinteressen -- Die amerikanischen Knlüierträge -- Lösung des
Kalikonfliktes -- Kleine Aktien in den Schutzgebieten

Die Reichsregierung hat mit Schweden einen Handelsvertrag ver¬
einbart, welcher im Laufe dieser Woche veröffentlicht worden ist und demnächst


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Versöhnungspolitik mit den Polen von neuem betritt. Wozu? Warum? Um
die Katholiken zu beruhigen? Das wäre nicht notwendig. Denn ein großer
Teil der deutschen Katholiken denkt über die Notwendigkeit einer energischen
Fortführung des Ansiedlungswerkes in der Ostmark genau so wie wir. Ja, sie
stimmen uns sogar, wie aus Altkempners lesenswerter Studie zu entnehmen ist,
darin bei, daß einstweilen das zur Kolonisation im Osten verwendete Ansiedler¬
material nicht aus der katholischen Bevölkerung entnommen werden dürfe, weil
es aus naheliegenden Gründen zu leicht der Polonisterung verfalle. Also nicht
die deutschen Katholiken, sondern die Ultramontanen und mit ihnen den polnischen
Großgrundbesitz sucht die Regierung zu beschwichtigen. Welch ein höherer Gesichts¬
punkt dieser Politik zugrunde liegt, entzieht sich vollständig meiner Kenntnis.
Rücksicht auf die österreichischen Polen ist es ebensowenig wie etwa das von
russischer Seite wiederholt gemachte Angebot, uns das Weichselgebiet, das „König¬
reich", anzugliedern. Es sind in erster Linie innerpolitische, das ultramontane
Zentrum angehende Erwägungen, die die preußische Staatsregierung leiten.

In meinem vorigen Reichsspiegel habe ich darauf hingewiesen, wie sehr
gerade der Stellungswechsel dem Zentrum gegenüber der Regierungsautorität
schade. Auch die deutsche Wissenschaft muß in eigenartigem Licht erscheinen,
wenn sie die neue Haltung der Regierung stillschweigend gut heißt. Wie
erinnerlich hat im Kampf um das Enteignnngsgesetz im Jahre 1903 Professor
v. Schmoller seine ganze wissenschaftliche Autorität im Herrenhause eingesetzt,
um die Regierungsvorlage durchzubringen. Die Rede des Berliner National¬
ökonomen war die letzte unter den großen damals gehaltenen, und man
hatte den Eindruck, daß sie das Schicksal der Vorlage nicht mehr beeinflussen
konnte, weil schon die vorhergegangenen Ausführungen die Stimmung zugunsten
der Regierung gewendet hatten. Damals wurde mir erklärt, daß Schmollers
Rede auch lediglich den Zweck verfolgt habe, die Haltung der Regierung nach
außen moralisch zu stützen; sie sollte zeigen, daß die Regierung ihre nationalen
Aufgaben löse nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Im Herbst vorigen Jahres
hat ein anderer anerkannter Gelehrter, Professor Gering, einwandfrei den
Nachweis erbracht, daß der Großgrundbesitz und in erster Linie die Latifundien
der Ostmark das Land in nationaler Hinsicht ruinieren. Es wäre zweifellos
eine verdienstvolle Tat, wenn die genannten Gelehrten sich entschließen wollten,
ihren früher geäußerten Standpunkt gerade jetzt wieder der Öffentlichkeit zu
G, Li, wiederholen.


Bank und Geld

Deutsch-schwedischer Handelsvertrag — Kanadisch-amerikanischer Zolltiertrag — Gefähr-
, dung deutscher Hnndelsinteressen — Die amerikanischen Knlüierträge — Lösung des
Kalikonfliktes — Kleine Aktien in den Schutzgebieten

Die Reichsregierung hat mit Schweden einen Handelsvertrag ver¬
einbart, welcher im Laufe dieser Woche veröffentlicht worden ist und demnächst


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[0294] Rcichsspicgcl Versöhnungspolitik mit den Polen von neuem betritt. Wozu? Warum? Um die Katholiken zu beruhigen? Das wäre nicht notwendig. Denn ein großer Teil der deutschen Katholiken denkt über die Notwendigkeit einer energischen Fortführung des Ansiedlungswerkes in der Ostmark genau so wie wir. Ja, sie stimmen uns sogar, wie aus Altkempners lesenswerter Studie zu entnehmen ist, darin bei, daß einstweilen das zur Kolonisation im Osten verwendete Ansiedler¬ material nicht aus der katholischen Bevölkerung entnommen werden dürfe, weil es aus naheliegenden Gründen zu leicht der Polonisterung verfalle. Also nicht die deutschen Katholiken, sondern die Ultramontanen und mit ihnen den polnischen Großgrundbesitz sucht die Regierung zu beschwichtigen. Welch ein höherer Gesichts¬ punkt dieser Politik zugrunde liegt, entzieht sich vollständig meiner Kenntnis. Rücksicht auf die österreichischen Polen ist es ebensowenig wie etwa das von russischer Seite wiederholt gemachte Angebot, uns das Weichselgebiet, das „König¬ reich", anzugliedern. Es sind in erster Linie innerpolitische, das ultramontane Zentrum angehende Erwägungen, die die preußische Staatsregierung leiten. In meinem vorigen Reichsspiegel habe ich darauf hingewiesen, wie sehr gerade der Stellungswechsel dem Zentrum gegenüber der Regierungsautorität schade. Auch die deutsche Wissenschaft muß in eigenartigem Licht erscheinen, wenn sie die neue Haltung der Regierung stillschweigend gut heißt. Wie erinnerlich hat im Kampf um das Enteignnngsgesetz im Jahre 1903 Professor v. Schmoller seine ganze wissenschaftliche Autorität im Herrenhause eingesetzt, um die Regierungsvorlage durchzubringen. Die Rede des Berliner National¬ ökonomen war die letzte unter den großen damals gehaltenen, und man hatte den Eindruck, daß sie das Schicksal der Vorlage nicht mehr beeinflussen konnte, weil schon die vorhergegangenen Ausführungen die Stimmung zugunsten der Regierung gewendet hatten. Damals wurde mir erklärt, daß Schmollers Rede auch lediglich den Zweck verfolgt habe, die Haltung der Regierung nach außen moralisch zu stützen; sie sollte zeigen, daß die Regierung ihre nationalen Aufgaben löse nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Im Herbst vorigen Jahres hat ein anderer anerkannter Gelehrter, Professor Gering, einwandfrei den Nachweis erbracht, daß der Großgrundbesitz und in erster Linie die Latifundien der Ostmark das Land in nationaler Hinsicht ruinieren. Es wäre zweifellos eine verdienstvolle Tat, wenn die genannten Gelehrten sich entschließen wollten, ihren früher geäußerten Standpunkt gerade jetzt wieder der Öffentlichkeit zu G, Li, wiederholen. Bank und Geld Deutsch-schwedischer Handelsvertrag — Kanadisch-amerikanischer Zolltiertrag — Gefähr- , dung deutscher Hnndelsinteressen — Die amerikanischen Knlüierträge — Lösung des Kalikonfliktes — Kleine Aktien in den Schutzgebieten Die Reichsregierung hat mit Schweden einen Handelsvertrag ver¬ einbart, welcher im Laufe dieser Woche veröffentlicht worden ist und demnächst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/294>, abgerufen am 26.05.2024.