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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichssxiegel

Reichsspiegel
Innere Politik

Duelluufng -- Versagen der Berliner Presse -- Die Kardinalfrage -- Wie ist das
Duell Richthofen-Gasfron zustande gekommen? -- Offizierstand und allgemeines Recht
-- Unzureichender Schutz t>or Beleidigungen -- Elsas;-lothringische Verfassung

Alle politischen und sonstigen Sensationen wurden am Donnerstag nachmittag
schrill durch die Nachricht von einem Duell mit tödlichem Ausgang in der
Jungfernheide übertönt. Freitag wurde ein zweites Duell aus Oels gemeldet,
über dessen Ursache keine einwandfreien Nachrichten an die Öffentlichkeit gedrungen
sind; es scheint eine sogenannte "betrunkene" Geschichte gewesen zu sein. Bei
dem Berliner Wassergange ist das Aufregende und Entsetzliche in dem Umstände
zu finden, daß hier durch die Kugel Vorkommnisse gesühnt werden sollten, die
bereits länger als achtzehn Monate zurückliegen und die die ordentlichen Gerichte
ebenso beschäftigt hatten wie den zuständigen Ehrenrat. Die Sache schien längst
begraben. Und nun doch das Duell und über dem frischen Grabe des Gefallenen
ein Streit und Gezänk, als sei die Angelegenheit erst gestern aufgetaucht! Die
Berliner Presse hat mit wenigen Ausnahmen den Fall nicht mit dem nötigen
Ernst behandelt, hat auch kritiklos ihr einseitig zugehendes Material veröffentlicht,
obwohl ein ordentliches Verfahren schwebt. Ein bekannter Publizist hat sich
sogar zu dem Ausruf hinreißen lassen, der Unrechte sei gefallen! Abgesehen von
der Roheit dieser Bemerkung wirft sie auch ein eigentümliches Licht auf die
Zuverlässigkeit des Herrn. Deal auch nur eine oberflächliche Durchsicht des
über den Fall Richthofen-Gaffron in der Presse veröffentlichten Materials
würde ihm gezeigt haben, daß die Auffassungen über die Schuldfrage recht weit
auseinandergehen. Zudem schwebt gerade über diesen Punkt das ordentliche
Gerichtsverfahren. Dessen Ergebnis hätte aber ruhig abgewartet werden können,
und zwar um so mehr, als im vorliegenden Falle die Persönlichkeiten der
beiden Duellanten doch nur eine höchst nebensächliche Rolle spielen. Wer sind
sie? Ein Ritter von: Turf und ein unerfahrener, leichtsinniger Leutnant! Viel
wichtiger und für die fernere Handhabung des Duellwesens vielleicht von der
größten Bedeutung sind die prinzipiellen Verhältnisse, die das Duell trotz allem
möglich machen konnten. Wie ist das Duell zustande gekommen? Das
ist die Kardinalfrage, die seitens der Presse und des Parlaments solange
gestellt und untersucht werdet! sollte, bis Kriegsminister und Staatsanwaltschaft
sich einwandfrei geäußert haben. Was bedeuten denn die Sprüche eines Ehren¬
gerichts und zweier ordentlichen Gerichte, wenn es dem Staatsbürger, gleich¬
gültig ob dem uniformierten oder dem Träger des bürgerlichen Gewandes,
schließlich doch nur möglich wird, seine Stellung in der Gesellschaft mit der
Pistole in der Hand zu währen?!

Wie ist es zu dem Duell gekommen? Das ist die beunruhigende und
Freunde von Zucht und Sitte quälende Frage. Ein neuer unvorhergesehener


Grenzboten II 1911 42
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Duelluufng — Versagen der Berliner Presse — Die Kardinalfrage — Wie ist das
Duell Richthofen-Gasfron zustande gekommen? — Offizierstand und allgemeines Recht
— Unzureichender Schutz t>or Beleidigungen — Elsas;-lothringische Verfassung

Alle politischen und sonstigen Sensationen wurden am Donnerstag nachmittag
schrill durch die Nachricht von einem Duell mit tödlichem Ausgang in der
Jungfernheide übertönt. Freitag wurde ein zweites Duell aus Oels gemeldet,
über dessen Ursache keine einwandfreien Nachrichten an die Öffentlichkeit gedrungen
sind; es scheint eine sogenannte „betrunkene" Geschichte gewesen zu sein. Bei
dem Berliner Wassergange ist das Aufregende und Entsetzliche in dem Umstände
zu finden, daß hier durch die Kugel Vorkommnisse gesühnt werden sollten, die
bereits länger als achtzehn Monate zurückliegen und die die ordentlichen Gerichte
ebenso beschäftigt hatten wie den zuständigen Ehrenrat. Die Sache schien längst
begraben. Und nun doch das Duell und über dem frischen Grabe des Gefallenen
ein Streit und Gezänk, als sei die Angelegenheit erst gestern aufgetaucht! Die
Berliner Presse hat mit wenigen Ausnahmen den Fall nicht mit dem nötigen
Ernst behandelt, hat auch kritiklos ihr einseitig zugehendes Material veröffentlicht,
obwohl ein ordentliches Verfahren schwebt. Ein bekannter Publizist hat sich
sogar zu dem Ausruf hinreißen lassen, der Unrechte sei gefallen! Abgesehen von
der Roheit dieser Bemerkung wirft sie auch ein eigentümliches Licht auf die
Zuverlässigkeit des Herrn. Deal auch nur eine oberflächliche Durchsicht des
über den Fall Richthofen-Gaffron in der Presse veröffentlichten Materials
würde ihm gezeigt haben, daß die Auffassungen über die Schuldfrage recht weit
auseinandergehen. Zudem schwebt gerade über diesen Punkt das ordentliche
Gerichtsverfahren. Dessen Ergebnis hätte aber ruhig abgewartet werden können,
und zwar um so mehr, als im vorliegenden Falle die Persönlichkeiten der
beiden Duellanten doch nur eine höchst nebensächliche Rolle spielen. Wer sind
sie? Ein Ritter von: Turf und ein unerfahrener, leichtsinniger Leutnant! Viel
wichtiger und für die fernere Handhabung des Duellwesens vielleicht von der
größten Bedeutung sind die prinzipiellen Verhältnisse, die das Duell trotz allem
möglich machen konnten. Wie ist das Duell zustande gekommen? Das
ist die Kardinalfrage, die seitens der Presse und des Parlaments solange
gestellt und untersucht werdet! sollte, bis Kriegsminister und Staatsanwaltschaft
sich einwandfrei geäußert haben. Was bedeuten denn die Sprüche eines Ehren¬
gerichts und zweier ordentlichen Gerichte, wenn es dem Staatsbürger, gleich¬
gültig ob dem uniformierten oder dem Träger des bürgerlichen Gewandes,
schließlich doch nur möglich wird, seine Stellung in der Gesellschaft mit der
Pistole in der Hand zu währen?!

Wie ist es zu dem Duell gekommen? Das ist die beunruhigende und
Freunde von Zucht und Sitte quälende Frage. Ein neuer unvorhergesehener


Grenzboten II 1911 42
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[0341] Reichssxiegel Reichsspiegel Innere Politik Duelluufng — Versagen der Berliner Presse — Die Kardinalfrage — Wie ist das Duell Richthofen-Gasfron zustande gekommen? — Offizierstand und allgemeines Recht — Unzureichender Schutz t>or Beleidigungen — Elsas;-lothringische Verfassung Alle politischen und sonstigen Sensationen wurden am Donnerstag nachmittag schrill durch die Nachricht von einem Duell mit tödlichem Ausgang in der Jungfernheide übertönt. Freitag wurde ein zweites Duell aus Oels gemeldet, über dessen Ursache keine einwandfreien Nachrichten an die Öffentlichkeit gedrungen sind; es scheint eine sogenannte „betrunkene" Geschichte gewesen zu sein. Bei dem Berliner Wassergange ist das Aufregende und Entsetzliche in dem Umstände zu finden, daß hier durch die Kugel Vorkommnisse gesühnt werden sollten, die bereits länger als achtzehn Monate zurückliegen und die die ordentlichen Gerichte ebenso beschäftigt hatten wie den zuständigen Ehrenrat. Die Sache schien längst begraben. Und nun doch das Duell und über dem frischen Grabe des Gefallenen ein Streit und Gezänk, als sei die Angelegenheit erst gestern aufgetaucht! Die Berliner Presse hat mit wenigen Ausnahmen den Fall nicht mit dem nötigen Ernst behandelt, hat auch kritiklos ihr einseitig zugehendes Material veröffentlicht, obwohl ein ordentliches Verfahren schwebt. Ein bekannter Publizist hat sich sogar zu dem Ausruf hinreißen lassen, der Unrechte sei gefallen! Abgesehen von der Roheit dieser Bemerkung wirft sie auch ein eigentümliches Licht auf die Zuverlässigkeit des Herrn. Deal auch nur eine oberflächliche Durchsicht des über den Fall Richthofen-Gaffron in der Presse veröffentlichten Materials würde ihm gezeigt haben, daß die Auffassungen über die Schuldfrage recht weit auseinandergehen. Zudem schwebt gerade über diesen Punkt das ordentliche Gerichtsverfahren. Dessen Ergebnis hätte aber ruhig abgewartet werden können, und zwar um so mehr, als im vorliegenden Falle die Persönlichkeiten der beiden Duellanten doch nur eine höchst nebensächliche Rolle spielen. Wer sind sie? Ein Ritter von: Turf und ein unerfahrener, leichtsinniger Leutnant! Viel wichtiger und für die fernere Handhabung des Duellwesens vielleicht von der größten Bedeutung sind die prinzipiellen Verhältnisse, die das Duell trotz allem möglich machen konnten. Wie ist das Duell zustande gekommen? Das ist die Kardinalfrage, die seitens der Presse und des Parlaments solange gestellt und untersucht werdet! sollte, bis Kriegsminister und Staatsanwaltschaft sich einwandfrei geäußert haben. Was bedeuten denn die Sprüche eines Ehren¬ gerichts und zweier ordentlichen Gerichte, wenn es dem Staatsbürger, gleich¬ gültig ob dem uniformierten oder dem Träger des bürgerlichen Gewandes, schließlich doch nur möglich wird, seine Stellung in der Gesellschaft mit der Pistole in der Hand zu währen?! Wie ist es zu dem Duell gekommen? Das ist die beunruhigende und Freunde von Zucht und Sitte quälende Frage. Ein neuer unvorhergesehener Grenzboten II 1911 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/341>, abgerufen am 26.05.2024.