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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

ist das Gesetz in vierter (!) Lesung gefallen. Leider ist damit das Schicksal des
Gesetzes noch nicht besiegelt, denn es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß das
Plenum des Reichstages anders beschließen wird. In Regierungskreisen hofft
man jedenfalls immer noch auf ein Gelingen der Reform. Deshalb steht die
Frage auch offen, ob die weiteren Verhandlungen nicht so lange vertagt werden,
bis Freiherr v. Hertling wieder die Leitung des Zentrums übernimmt. Es
wird angenommen, diesem klugen und gewandten Parteiführer müsse es wieder
gelingen, die auseinanderstrebenden Kräfte des Zentrums zu vereinigen; man
steht bei der Regierung auf dem Standpunkte, die letzte Abstimmung der
Kommission sei ein Zufallsergebnis. Angesichts des Verlaufs der letzten Ver¬
handlungen scheint mir eine solche Auffassung doch recht gesucht. Wie bekannt,
wurde in der Kommission eine in gemischtsprachlichem Lande unbedingt erforder¬
liche Sicherstellung der deutschen Sprache als der herrschenden gefordert.
Der Regierungsentwurf war bezeichnenderweise daran vorbeigegangen. Der ent¬
sprechende Antrag von freikonservativer Seite wollte verhindern, daß in Elsaß-
Lothringen ähnliche Verhältnisse mit Bezug auf die französische Sprache ent¬
stünden, wie sie bezüglich der polnischen in. der Ostmark bestehen. Das elsa߬
lothringische Zentrum hat dagegen ein lebhaftes Interesse daran, mit Hilfe der
Verquickung von Religion und Muttersprache die Massen in seine Hand zu
bekommen. Durch die Ablehnung des freikonservativen Antrags hat das Zentrum
diese Absicht nur unterstrichen. Nach Ablehnung des Sprachenparagraphs ist
denn auch der Zeitpunkt eingetreten, wo die nationalliberale Partei der Regierung
die Gefolgschaft aufsagen mußte, wollte sie ihren guten Ruf als nationale Parder
nicht aufs Spiel setzen. Die Regierungspartei setzt sich gegenwärtig in dieser
nationalen Frage zusammen aus: Sozialdemokraten, Polen und Zentrum!


G, Li,
Bank und Geld

Der Deutsche Hnndelstag und seine Bedeutung -- Ein deutsche,.' Erdöltrust -- Die
Petroleuminteressen der Deutschen Bank -- Monopol und Konsum -- Kursrückgänge
um der Börse -- Situation der Industrie

Der Deutsche Handelstag ist in Heidelberg zusammengetreten, um an
der Stätte, wo er vor genau fünfzig Jahren gegründet wurde, mit seiner dies¬
jährigen Tagung die Feier seines Jubiläums zu verbinden. In der Tat ein
bedeutsamer Gedenktag, bedeutsam nicht nur durch die Erinnerung an die
umfangreiche und wichtige Tätigkeit, welche diese Vertretung des deutschen Kauf¬
mannsstandes entfaltet hat, sondern in noch höheren: Grade durch den freudigen
Stolz, den sie und mit ihr das deutsche Volk empfinden muß, wenn man die
heutige wirtschaftliche Entwicklung unseres Vaterlandes mit den Zuständen vor
einen: halben Jahrhundert vergleicht! Damals in den Zeiten der tiefsten Zerrissen¬
heit Deutschlands entstand der Deutsche Handelstag als ein Kind der Not: es
galt, die schwersten Schäden der Kleinstaaterei auf wirtschaftlichen! Gebiete zu
beseitigen; gab es doch weder ein deutsches Handelsrecht, noch eine Münzeinheit,


Reichsspiegel

ist das Gesetz in vierter (!) Lesung gefallen. Leider ist damit das Schicksal des
Gesetzes noch nicht besiegelt, denn es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß das
Plenum des Reichstages anders beschließen wird. In Regierungskreisen hofft
man jedenfalls immer noch auf ein Gelingen der Reform. Deshalb steht die
Frage auch offen, ob die weiteren Verhandlungen nicht so lange vertagt werden,
bis Freiherr v. Hertling wieder die Leitung des Zentrums übernimmt. Es
wird angenommen, diesem klugen und gewandten Parteiführer müsse es wieder
gelingen, die auseinanderstrebenden Kräfte des Zentrums zu vereinigen; man
steht bei der Regierung auf dem Standpunkte, die letzte Abstimmung der
Kommission sei ein Zufallsergebnis. Angesichts des Verlaufs der letzten Ver¬
handlungen scheint mir eine solche Auffassung doch recht gesucht. Wie bekannt,
wurde in der Kommission eine in gemischtsprachlichem Lande unbedingt erforder¬
liche Sicherstellung der deutschen Sprache als der herrschenden gefordert.
Der Regierungsentwurf war bezeichnenderweise daran vorbeigegangen. Der ent¬
sprechende Antrag von freikonservativer Seite wollte verhindern, daß in Elsaß-
Lothringen ähnliche Verhältnisse mit Bezug auf die französische Sprache ent¬
stünden, wie sie bezüglich der polnischen in. der Ostmark bestehen. Das elsa߬
lothringische Zentrum hat dagegen ein lebhaftes Interesse daran, mit Hilfe der
Verquickung von Religion und Muttersprache die Massen in seine Hand zu
bekommen. Durch die Ablehnung des freikonservativen Antrags hat das Zentrum
diese Absicht nur unterstrichen. Nach Ablehnung des Sprachenparagraphs ist
denn auch der Zeitpunkt eingetreten, wo die nationalliberale Partei der Regierung
die Gefolgschaft aufsagen mußte, wollte sie ihren guten Ruf als nationale Parder
nicht aufs Spiel setzen. Die Regierungspartei setzt sich gegenwärtig in dieser
nationalen Frage zusammen aus: Sozialdemokraten, Polen und Zentrum!


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Bank und Geld

Der Deutsche Hnndelstag und seine Bedeutung — Ein deutsche,.' Erdöltrust — Die
Petroleuminteressen der Deutschen Bank — Monopol und Konsum — Kursrückgänge
um der Börse — Situation der Industrie

Der Deutsche Handelstag ist in Heidelberg zusammengetreten, um an
der Stätte, wo er vor genau fünfzig Jahren gegründet wurde, mit seiner dies¬
jährigen Tagung die Feier seines Jubiläums zu verbinden. In der Tat ein
bedeutsamer Gedenktag, bedeutsam nicht nur durch die Erinnerung an die
umfangreiche und wichtige Tätigkeit, welche diese Vertretung des deutschen Kauf¬
mannsstandes entfaltet hat, sondern in noch höheren: Grade durch den freudigen
Stolz, den sie und mit ihr das deutsche Volk empfinden muß, wenn man die
heutige wirtschaftliche Entwicklung unseres Vaterlandes mit den Zuständen vor
einen: halben Jahrhundert vergleicht! Damals in den Zeiten der tiefsten Zerrissen¬
heit Deutschlands entstand der Deutsche Handelstag als ein Kind der Not: es
galt, die schwersten Schäden der Kleinstaaterei auf wirtschaftlichen! Gebiete zu
beseitigen; gab es doch weder ein deutsches Handelsrecht, noch eine Münzeinheit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/344>, abgerufen am 26.05.2024.