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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

der Ehrenkodex in Fleisch und Blut übergegangen wäre, nicht zur Seite gestanden
haben. Und da läßt sich die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß er
auch zuletzt einen Weg gewählt hat, der häufig von Zivilpersonen betreten wird,
die einen Offizier unmöglich machen wollen: einen Brief an den Regiments¬
kommandeur, einen Brief voll Anklagen, Drohungen und Beleidigungen, einen
Brief, in dem es heißt, "ich werde den Leutnant, gleichgültig ob in Zivil oder
in Uniforni, öffentlich so behandeln, wie es mir nach allen Vorgängen not¬
wendig erscheint". Solche und ähnliche Briefe sind schon dagewesen. Der
gesunde, vorurteilsfreie Menschenverstand würde sich sagen, der Brief gehöre den:
Staatsanwalt. Bei einem Offizierehrenrat aber spricht die Erwägung mit, ob
die Übergabe eines solchen Briefes an die Staatsanwaltschaft das Ansehen des
Regiments nicht mehr schädige als das Duell. Gerade in diesem Punkte aber
herrschen im Offizierkorps noch die wunderlichsten Vorstellungen und Ansichten.
Man sieht das Gesetz und öffentliche Recht geradezu als dem Offizier¬
stande schädliche Einrichtungen an, denen sich kein Offizier, geschweige denn
ein ganzes Offizierkorps anvertrauen dürfe.

Freilich sind daran unsere Offiziere nicht ganz allein schuld. Der innere
Grund für solche Auffassungen liegt in dem gänzlich unzureichenden Schutz
des deutschen Staatsbürgers vor Beleidigungen und Erpressungen aller
Art, wenn er mehr zu verlieren hat als Geld und dessen Wert. Zu einer
Erörterung über alle diese Fragen muß das Duell Richthofen-Gaffron Veran¬
lassung geben. Darum sollten Presse und Parlament ihr Hauptaugenmerk nicht
auf die wenig beneidenswerten Opfer des Duells -- denn auch der Überlebende
bleibt ein Opfer -- richten, sondern auf das Ergebnis der schwebenden Unter¬
suchung in der von mir angedeuteten Richtung. An den Herrn Kriegsminister
aber und die Staatsanwaltschaft sei die Bitte gerichtet, den Weg, auf dem das
Duell trotz allem zustande gekommen ist, einwandfrei klarzulegen. So, wie
die Angelegenheit der Öffentlichkeit bekannt ist, erscheint sie wie ein Mißbrauch
und wie grober Unfug. Sie wird deshalb den prinzipiellen Duellgegnern guten
Anlaß zu neuen Vorstoßen geben. Mehr noch sind aber die an der einwand-
freien Aufklärung des Falles in aller Öffentlichkeit interessiert, die bei der einmal
vorhandenen kläglichen Gesetzgebung für die Beibehaltung des Duells als eine
ultima ratio eintreten zu müssen glauben und die sich diese Waffe für den
Fall einer äußersten Not rein erhalten wollen. Sie in erster Linie sind berufen,
dafür zu sorgen, daß das Duell in ungeschickten Händen nicht zum Schlacht¬
messer oder zum Werkzeuge mittelalterlichen Faustrechts herabgewürdigt werde.

Durch die Presse geht besonders laut die alte Klage über die Unfähigkeit
der Regierungsvertreter, Beschlüsse des Bundesrath wie der Negierung überhaupt
Zur Durchführung zu bringen oder überhaupt wirklich führend aufzutreten.
Den letzten Anlaß hierzu bietet der eigenartige Ausgang der Kommissions¬
verhandlungen über die elsaß-lothringische Verfassungsfrage. Ein
neues Hornberger Schießen! Mit Stimmengleichheit bei einigen Stimmenthaltungen


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der Ehrenkodex in Fleisch und Blut übergegangen wäre, nicht zur Seite gestanden
haben. Und da läßt sich die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß er
auch zuletzt einen Weg gewählt hat, der häufig von Zivilpersonen betreten wird,
die einen Offizier unmöglich machen wollen: einen Brief an den Regiments¬
kommandeur, einen Brief voll Anklagen, Drohungen und Beleidigungen, einen
Brief, in dem es heißt, „ich werde den Leutnant, gleichgültig ob in Zivil oder
in Uniforni, öffentlich so behandeln, wie es mir nach allen Vorgängen not¬
wendig erscheint". Solche und ähnliche Briefe sind schon dagewesen. Der
gesunde, vorurteilsfreie Menschenverstand würde sich sagen, der Brief gehöre den:
Staatsanwalt. Bei einem Offizierehrenrat aber spricht die Erwägung mit, ob
die Übergabe eines solchen Briefes an die Staatsanwaltschaft das Ansehen des
Regiments nicht mehr schädige als das Duell. Gerade in diesem Punkte aber
herrschen im Offizierkorps noch die wunderlichsten Vorstellungen und Ansichten.
Man sieht das Gesetz und öffentliche Recht geradezu als dem Offizier¬
stande schädliche Einrichtungen an, denen sich kein Offizier, geschweige denn
ein ganzes Offizierkorps anvertrauen dürfe.

Freilich sind daran unsere Offiziere nicht ganz allein schuld. Der innere
Grund für solche Auffassungen liegt in dem gänzlich unzureichenden Schutz
des deutschen Staatsbürgers vor Beleidigungen und Erpressungen aller
Art, wenn er mehr zu verlieren hat als Geld und dessen Wert. Zu einer
Erörterung über alle diese Fragen muß das Duell Richthofen-Gaffron Veran¬
lassung geben. Darum sollten Presse und Parlament ihr Hauptaugenmerk nicht
auf die wenig beneidenswerten Opfer des Duells — denn auch der Überlebende
bleibt ein Opfer — richten, sondern auf das Ergebnis der schwebenden Unter¬
suchung in der von mir angedeuteten Richtung. An den Herrn Kriegsminister
aber und die Staatsanwaltschaft sei die Bitte gerichtet, den Weg, auf dem das
Duell trotz allem zustande gekommen ist, einwandfrei klarzulegen. So, wie
die Angelegenheit der Öffentlichkeit bekannt ist, erscheint sie wie ein Mißbrauch
und wie grober Unfug. Sie wird deshalb den prinzipiellen Duellgegnern guten
Anlaß zu neuen Vorstoßen geben. Mehr noch sind aber die an der einwand-
freien Aufklärung des Falles in aller Öffentlichkeit interessiert, die bei der einmal
vorhandenen kläglichen Gesetzgebung für die Beibehaltung des Duells als eine
ultima ratio eintreten zu müssen glauben und die sich diese Waffe für den
Fall einer äußersten Not rein erhalten wollen. Sie in erster Linie sind berufen,
dafür zu sorgen, daß das Duell in ungeschickten Händen nicht zum Schlacht¬
messer oder zum Werkzeuge mittelalterlichen Faustrechts herabgewürdigt werde.

Durch die Presse geht besonders laut die alte Klage über die Unfähigkeit
der Regierungsvertreter, Beschlüsse des Bundesrath wie der Negierung überhaupt
Zur Durchführung zu bringen oder überhaupt wirklich führend aufzutreten.
Den letzten Anlaß hierzu bietet der eigenartige Ausgang der Kommissions¬
verhandlungen über die elsaß-lothringische Verfassungsfrage. Ein
neues Hornberger Schießen! Mit Stimmengleichheit bei einigen Stimmenthaltungen


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[0343] Reichsspiegel der Ehrenkodex in Fleisch und Blut übergegangen wäre, nicht zur Seite gestanden haben. Und da läßt sich die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, daß er auch zuletzt einen Weg gewählt hat, der häufig von Zivilpersonen betreten wird, die einen Offizier unmöglich machen wollen: einen Brief an den Regiments¬ kommandeur, einen Brief voll Anklagen, Drohungen und Beleidigungen, einen Brief, in dem es heißt, „ich werde den Leutnant, gleichgültig ob in Zivil oder in Uniforni, öffentlich so behandeln, wie es mir nach allen Vorgängen not¬ wendig erscheint". Solche und ähnliche Briefe sind schon dagewesen. Der gesunde, vorurteilsfreie Menschenverstand würde sich sagen, der Brief gehöre den: Staatsanwalt. Bei einem Offizierehrenrat aber spricht die Erwägung mit, ob die Übergabe eines solchen Briefes an die Staatsanwaltschaft das Ansehen des Regiments nicht mehr schädige als das Duell. Gerade in diesem Punkte aber herrschen im Offizierkorps noch die wunderlichsten Vorstellungen und Ansichten. Man sieht das Gesetz und öffentliche Recht geradezu als dem Offizier¬ stande schädliche Einrichtungen an, denen sich kein Offizier, geschweige denn ein ganzes Offizierkorps anvertrauen dürfe. Freilich sind daran unsere Offiziere nicht ganz allein schuld. Der innere Grund für solche Auffassungen liegt in dem gänzlich unzureichenden Schutz des deutschen Staatsbürgers vor Beleidigungen und Erpressungen aller Art, wenn er mehr zu verlieren hat als Geld und dessen Wert. Zu einer Erörterung über alle diese Fragen muß das Duell Richthofen-Gaffron Veran¬ lassung geben. Darum sollten Presse und Parlament ihr Hauptaugenmerk nicht auf die wenig beneidenswerten Opfer des Duells — denn auch der Überlebende bleibt ein Opfer — richten, sondern auf das Ergebnis der schwebenden Unter¬ suchung in der von mir angedeuteten Richtung. An den Herrn Kriegsminister aber und die Staatsanwaltschaft sei die Bitte gerichtet, den Weg, auf dem das Duell trotz allem zustande gekommen ist, einwandfrei klarzulegen. So, wie die Angelegenheit der Öffentlichkeit bekannt ist, erscheint sie wie ein Mißbrauch und wie grober Unfug. Sie wird deshalb den prinzipiellen Duellgegnern guten Anlaß zu neuen Vorstoßen geben. Mehr noch sind aber die an der einwand- freien Aufklärung des Falles in aller Öffentlichkeit interessiert, die bei der einmal vorhandenen kläglichen Gesetzgebung für die Beibehaltung des Duells als eine ultima ratio eintreten zu müssen glauben und die sich diese Waffe für den Fall einer äußersten Not rein erhalten wollen. Sie in erster Linie sind berufen, dafür zu sorgen, daß das Duell in ungeschickten Händen nicht zum Schlacht¬ messer oder zum Werkzeuge mittelalterlichen Faustrechts herabgewürdigt werde. Durch die Presse geht besonders laut die alte Klage über die Unfähigkeit der Regierungsvertreter, Beschlüsse des Bundesrath wie der Negierung überhaupt Zur Durchführung zu bringen oder überhaupt wirklich führend aufzutreten. Den letzten Anlaß hierzu bietet der eigenartige Ausgang der Kommissions¬ verhandlungen über die elsaß-lothringische Verfassungsfrage. Ein neues Hornberger Schießen! Mit Stimmengleichheit bei einigen Stimmenthaltungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/343>, abgerufen am 17.06.2024.