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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Reichskonferenz

da es auch sonst allzuviele gibt, die in der Naundorfflegende eine Art politischer
Religion sehen, so ist nicht zu erwarten, daß logische Gründe die Kraft dieses
Mystizismus brechen werden. Genug, wenn es dem gesunden Menschenverstande
gelingt, noch gerade in der Mehrheit zu bleiben. Aber die Wiederkunft Naun-
dorffs im Jahre 1911 wird, wie die in den Jahren 1851 und 1874, noch nicht
die letzte sein, und gleich einer Hydra wird die Legende, oft vernichtet, sich
wieder erheben. Von großem Interesse wäre es, den Anteil der französischen
Parteien an der Pflege dieses Märchens festzustellen. Denn ich bin überzeugt,
daß die politischen Verhältnisse ans die Entwicklung der Legende, auf das
Wachstum oder die Abnahme ihrer Anhänger, gewaltigen Einfluß geübt haben.
Hierüber uns erfolgreich zu belehren vermöchte freilich wohl nur ein einheimischer
gründlicher Kenner der inneren Geschichte Frankreichs.




Die britische Reichskonferenz
von Dr, Hans j? lebn-
(Schlich)
II.

OMMGle Reichskonfercnzen haben ihre Verfassung auf der Konferenz von
1907 erhalten. Damals wurde auch der bisherige Name der
"Kolonialkonierenzen" aufgegeben. Schon der neue Name deutet
^die Anerkennung eines höheren Status der Kolonien an. In
^ Kanada und Australien war man des Namens einer Kolonie
überdrüssig. In den letzten zehn oder fünfzehn Jahren hat sich zuerst in Kanada
und etwas später in Australien ein ausgeprägtes Nationalbewußtsein entwickelt;
Kanadier und Australier betrachten sich als selbständige Nationen. Jetzt werden
die autonomen Kolonien, d. h. Kanada, Australien, Südafrika, Neuseeland und
Neufundland, amtlich als Dominiong bezeichnet. 1907 wurde vereinbart, daß
die Reichskonfercnzen in Zukunft Konferenzen zwischen den Regierungen des
Mutterlandes und der Dominions sein sollten und nicht wie bisher Konferenzen
zwischen dein englischen .Kolonialsekretär und den kolonialen Ministern. Die
Konferenzen bestehen aus den Premierministern des Mutterlandes und der
Dominions; dem englischen Premierminister wird nur der Vorrang eines ?rinn8
inter pares zugestanden. -Tatsächlich führt der englische Kolonialsekretär den
Vorsitz, aber nicht aus eigenem Recht, sondern nur als Delegierter des englischen
Premierministers, der der eigentliche Präsident der Versammlung ist. Zugleich
wurde 1907 festgestellt, das; nur die Premiernn'nister der Dominions und nicht


Die britische Reichskonferenz

da es auch sonst allzuviele gibt, die in der Naundorfflegende eine Art politischer
Religion sehen, so ist nicht zu erwarten, daß logische Gründe die Kraft dieses
Mystizismus brechen werden. Genug, wenn es dem gesunden Menschenverstande
gelingt, noch gerade in der Mehrheit zu bleiben. Aber die Wiederkunft Naun-
dorffs im Jahre 1911 wird, wie die in den Jahren 1851 und 1874, noch nicht
die letzte sein, und gleich einer Hydra wird die Legende, oft vernichtet, sich
wieder erheben. Von großem Interesse wäre es, den Anteil der französischen
Parteien an der Pflege dieses Märchens festzustellen. Denn ich bin überzeugt,
daß die politischen Verhältnisse ans die Entwicklung der Legende, auf das
Wachstum oder die Abnahme ihrer Anhänger, gewaltigen Einfluß geübt haben.
Hierüber uns erfolgreich zu belehren vermöchte freilich wohl nur ein einheimischer
gründlicher Kenner der inneren Geschichte Frankreichs.




Die britische Reichskonferenz
von Dr, Hans j? lebn-
(Schlich)
II.

OMMGle Reichskonfercnzen haben ihre Verfassung auf der Konferenz von
1907 erhalten. Damals wurde auch der bisherige Name der
„Kolonialkonierenzen" aufgegeben. Schon der neue Name deutet
^die Anerkennung eines höheren Status der Kolonien an. In
^ Kanada und Australien war man des Namens einer Kolonie
überdrüssig. In den letzten zehn oder fünfzehn Jahren hat sich zuerst in Kanada
und etwas später in Australien ein ausgeprägtes Nationalbewußtsein entwickelt;
Kanadier und Australier betrachten sich als selbständige Nationen. Jetzt werden
die autonomen Kolonien, d. h. Kanada, Australien, Südafrika, Neuseeland und
Neufundland, amtlich als Dominiong bezeichnet. 1907 wurde vereinbart, daß
die Reichskonfercnzen in Zukunft Konferenzen zwischen den Regierungen des
Mutterlandes und der Dominions sein sollten und nicht wie bisher Konferenzen
zwischen dein englischen .Kolonialsekretär und den kolonialen Ministern. Die
Konferenzen bestehen aus den Premierministern des Mutterlandes und der
Dominions; dem englischen Premierminister wird nur der Vorrang eines ?rinn8
inter pares zugestanden. -Tatsächlich führt der englische Kolonialsekretär den
Vorsitz, aber nicht aus eigenem Recht, sondern nur als Delegierter des englischen
Premierministers, der der eigentliche Präsident der Versammlung ist. Zugleich
wurde 1907 festgestellt, das; nur die Premiernn'nister der Dominions und nicht


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[0364] Die britische Reichskonferenz da es auch sonst allzuviele gibt, die in der Naundorfflegende eine Art politischer Religion sehen, so ist nicht zu erwarten, daß logische Gründe die Kraft dieses Mystizismus brechen werden. Genug, wenn es dem gesunden Menschenverstande gelingt, noch gerade in der Mehrheit zu bleiben. Aber die Wiederkunft Naun- dorffs im Jahre 1911 wird, wie die in den Jahren 1851 und 1874, noch nicht die letzte sein, und gleich einer Hydra wird die Legende, oft vernichtet, sich wieder erheben. Von großem Interesse wäre es, den Anteil der französischen Parteien an der Pflege dieses Märchens festzustellen. Denn ich bin überzeugt, daß die politischen Verhältnisse ans die Entwicklung der Legende, auf das Wachstum oder die Abnahme ihrer Anhänger, gewaltigen Einfluß geübt haben. Hierüber uns erfolgreich zu belehren vermöchte freilich wohl nur ein einheimischer gründlicher Kenner der inneren Geschichte Frankreichs. Die britische Reichskonferenz von Dr, Hans j? lebn- (Schlich) II. OMMGle Reichskonfercnzen haben ihre Verfassung auf der Konferenz von 1907 erhalten. Damals wurde auch der bisherige Name der „Kolonialkonierenzen" aufgegeben. Schon der neue Name deutet ^die Anerkennung eines höheren Status der Kolonien an. In ^ Kanada und Australien war man des Namens einer Kolonie überdrüssig. In den letzten zehn oder fünfzehn Jahren hat sich zuerst in Kanada und etwas später in Australien ein ausgeprägtes Nationalbewußtsein entwickelt; Kanadier und Australier betrachten sich als selbständige Nationen. Jetzt werden die autonomen Kolonien, d. h. Kanada, Australien, Südafrika, Neuseeland und Neufundland, amtlich als Dominiong bezeichnet. 1907 wurde vereinbart, daß die Reichskonfercnzen in Zukunft Konferenzen zwischen den Regierungen des Mutterlandes und der Dominions sein sollten und nicht wie bisher Konferenzen zwischen dein englischen .Kolonialsekretär und den kolonialen Ministern. Die Konferenzen bestehen aus den Premierministern des Mutterlandes und der Dominions; dem englischen Premierminister wird nur der Vorrang eines ?rinn8 inter pares zugestanden. -Tatsächlich führt der englische Kolonialsekretär den Vorsitz, aber nicht aus eigenem Recht, sondern nur als Delegierter des englischen Premierministers, der der eigentliche Präsident der Versammlung ist. Zugleich wurde 1907 festgestellt, das; nur die Premiernn'nister der Dominions und nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/364>, abgerufen am 26.05.2024.