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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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dem Eindruck ihrer Schönheit wie unter einem Zwange stehend, bot er ihr den
Arm und schritt verwirrt neben ihr an den Tisch. Da saßen alle schweigend
und hatten erstaunte Augen. Sie warteten auf das Tischgebet, das der Pater
zu sprechen pflegte. Aber dem saß das Herz in der Kehle. Da betete Luder, um
das Warten zu enden. Seitdem erschien der Pater Reinhold wieder regelmäßig
bei Tische.

Als der erste Ansturm der Umwälzung verweht war und die Brüder sich in
dem Neuen wohlzufühlen begannen, saßen Behagen und Freude unter ihnen,
wenn sie sich nach der Abendmahlzeit im Garten zusammenfanden. Reinhold fehlte
dabei. Aber das war anch früher so gewesen. Rudis Flöte klang in den stillen
Abend hinaus, daß der alte Rupert leise den Takt trampelte und den Kopf dazu
hin und her wiegte. Und Gode kam, alter Gewohnheit treu, in Versuchung, vor
Vergnügen auf die Schenkel zu klatschen, besann sich aber rechtzeitig und stoppte
den Niederdruck der mächtigen Pranke mit einem leisen, von unterdrücktem Lachen
begleiteten Selbstdrohen. Und Severin sperrte den Mund auf, ohne fürchten zu
müssen, daß ihm ein Brummer oder Küfer hineinflog. Der Blöde war der einzige,
der sich in seinem Äußeren gleich blieb, nur in seinen Augen saß ein anbetender
Glanz, wenn er die Fremde sah. Im übrigen hatte Rudi genügende Zielscheiben
für seine Späße an der Art, wie Göte bei Tisch mit Messer und Gabel umging
und wie Heino die Forellen aß, die er im Bache fing. Oder er neckte Rupert
wegen der Ordnung seines mächtigen Haupthaares und Luder mit seinen
Blumentöpfen.

Seltsam war es, daß die Fremde nicht verstand, deutsche Wörter nach¬
zusprechen. Oder wollte sie es nicht? Sie sprach fremde, klingende Laute, die
Reinhold, der doch in den Sprachen Bescheid wußte, nicht kannte. Ebenso seltsam
war es aber auch, daß die Brüder den Klang ihrer Sprachlaute bald zu deuten
wußten. Nie gelang es ihnen jedoch, ein besonderes Wort aufzufangen und zu
verdeutschen. Wenn die Brüder von ihr sprachen, gebrauchten sie den Namen,
den Reinhold ihr gegeben hatte, der sie Aliena nannte. Auf diesen Namen hörte
sie auch, wenn man sie rief, obschon es zweifelhaft erschien, daß sie seine Be¬
deutung kannte. (Schluß folgt.)




(Llaude Tillier von Prof. Dr. Richard in. Meyer

u den liebenswürdigsten Eigenheiten des deutschen Gelehrten-
tums gehört der Eiser, mit dem seine Vertreter sich gerade auch
in fremde Individualitäten zu vertiefen lieben. Und es sind
nicht nur die leuchtenden Heroengestalten eines Dante, Shake¬
speare, Moliere, denen liebevolle Hingabe zuteil wird -- gerade
auch Männer von zweitem und drittein Rang finden warmherzige Inter¬
preten, wenn sie unseren Großen nahetreten oder das Herz unserer Besten erobern


Llcmde Tillier

dem Eindruck ihrer Schönheit wie unter einem Zwange stehend, bot er ihr den
Arm und schritt verwirrt neben ihr an den Tisch. Da saßen alle schweigend
und hatten erstaunte Augen. Sie warteten auf das Tischgebet, das der Pater
zu sprechen pflegte. Aber dem saß das Herz in der Kehle. Da betete Luder, um
das Warten zu enden. Seitdem erschien der Pater Reinhold wieder regelmäßig
bei Tische.

Als der erste Ansturm der Umwälzung verweht war und die Brüder sich in
dem Neuen wohlzufühlen begannen, saßen Behagen und Freude unter ihnen,
wenn sie sich nach der Abendmahlzeit im Garten zusammenfanden. Reinhold fehlte
dabei. Aber das war anch früher so gewesen. Rudis Flöte klang in den stillen
Abend hinaus, daß der alte Rupert leise den Takt trampelte und den Kopf dazu
hin und her wiegte. Und Gode kam, alter Gewohnheit treu, in Versuchung, vor
Vergnügen auf die Schenkel zu klatschen, besann sich aber rechtzeitig und stoppte
den Niederdruck der mächtigen Pranke mit einem leisen, von unterdrücktem Lachen
begleiteten Selbstdrohen. Und Severin sperrte den Mund auf, ohne fürchten zu
müssen, daß ihm ein Brummer oder Küfer hineinflog. Der Blöde war der einzige,
der sich in seinem Äußeren gleich blieb, nur in seinen Augen saß ein anbetender
Glanz, wenn er die Fremde sah. Im übrigen hatte Rudi genügende Zielscheiben
für seine Späße an der Art, wie Göte bei Tisch mit Messer und Gabel umging
und wie Heino die Forellen aß, die er im Bache fing. Oder er neckte Rupert
wegen der Ordnung seines mächtigen Haupthaares und Luder mit seinen
Blumentöpfen.

Seltsam war es, daß die Fremde nicht verstand, deutsche Wörter nach¬
zusprechen. Oder wollte sie es nicht? Sie sprach fremde, klingende Laute, die
Reinhold, der doch in den Sprachen Bescheid wußte, nicht kannte. Ebenso seltsam
war es aber auch, daß die Brüder den Klang ihrer Sprachlaute bald zu deuten
wußten. Nie gelang es ihnen jedoch, ein besonderes Wort aufzufangen und zu
verdeutschen. Wenn die Brüder von ihr sprachen, gebrauchten sie den Namen,
den Reinhold ihr gegeben hatte, der sie Aliena nannte. Auf diesen Namen hörte
sie auch, wenn man sie rief, obschon es zweifelhaft erschien, daß sie seine Be¬
deutung kannte. (Schluß folgt.)




(Llaude Tillier von Prof. Dr. Richard in. Meyer

u den liebenswürdigsten Eigenheiten des deutschen Gelehrten-
tums gehört der Eiser, mit dem seine Vertreter sich gerade auch
in fremde Individualitäten zu vertiefen lieben. Und es sind
nicht nur die leuchtenden Heroengestalten eines Dante, Shake¬
speare, Moliere, denen liebevolle Hingabe zuteil wird — gerade
auch Männer von zweitem und drittein Rang finden warmherzige Inter¬
preten, wenn sie unseren Großen nahetreten oder das Herz unserer Besten erobern


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[0427] Llcmde Tillier dem Eindruck ihrer Schönheit wie unter einem Zwange stehend, bot er ihr den Arm und schritt verwirrt neben ihr an den Tisch. Da saßen alle schweigend und hatten erstaunte Augen. Sie warteten auf das Tischgebet, das der Pater zu sprechen pflegte. Aber dem saß das Herz in der Kehle. Da betete Luder, um das Warten zu enden. Seitdem erschien der Pater Reinhold wieder regelmäßig bei Tische. Als der erste Ansturm der Umwälzung verweht war und die Brüder sich in dem Neuen wohlzufühlen begannen, saßen Behagen und Freude unter ihnen, wenn sie sich nach der Abendmahlzeit im Garten zusammenfanden. Reinhold fehlte dabei. Aber das war anch früher so gewesen. Rudis Flöte klang in den stillen Abend hinaus, daß der alte Rupert leise den Takt trampelte und den Kopf dazu hin und her wiegte. Und Gode kam, alter Gewohnheit treu, in Versuchung, vor Vergnügen auf die Schenkel zu klatschen, besann sich aber rechtzeitig und stoppte den Niederdruck der mächtigen Pranke mit einem leisen, von unterdrücktem Lachen begleiteten Selbstdrohen. Und Severin sperrte den Mund auf, ohne fürchten zu müssen, daß ihm ein Brummer oder Küfer hineinflog. Der Blöde war der einzige, der sich in seinem Äußeren gleich blieb, nur in seinen Augen saß ein anbetender Glanz, wenn er die Fremde sah. Im übrigen hatte Rudi genügende Zielscheiben für seine Späße an der Art, wie Göte bei Tisch mit Messer und Gabel umging und wie Heino die Forellen aß, die er im Bache fing. Oder er neckte Rupert wegen der Ordnung seines mächtigen Haupthaares und Luder mit seinen Blumentöpfen. Seltsam war es, daß die Fremde nicht verstand, deutsche Wörter nach¬ zusprechen. Oder wollte sie es nicht? Sie sprach fremde, klingende Laute, die Reinhold, der doch in den Sprachen Bescheid wußte, nicht kannte. Ebenso seltsam war es aber auch, daß die Brüder den Klang ihrer Sprachlaute bald zu deuten wußten. Nie gelang es ihnen jedoch, ein besonderes Wort aufzufangen und zu verdeutschen. Wenn die Brüder von ihr sprachen, gebrauchten sie den Namen, den Reinhold ihr gegeben hatte, der sie Aliena nannte. Auf diesen Namen hörte sie auch, wenn man sie rief, obschon es zweifelhaft erschien, daß sie seine Be¬ deutung kannte. (Schluß folgt.) (Llaude Tillier von Prof. Dr. Richard in. Meyer u den liebenswürdigsten Eigenheiten des deutschen Gelehrten- tums gehört der Eiser, mit dem seine Vertreter sich gerade auch in fremde Individualitäten zu vertiefen lieben. Und es sind nicht nur die leuchtenden Heroengestalten eines Dante, Shake¬ speare, Moliere, denen liebevolle Hingabe zuteil wird — gerade auch Männer von zweitem und drittein Rang finden warmherzige Inter¬ preten, wenn sie unseren Großen nahetreten oder das Herz unserer Besten erobern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/427>, abgerufen am 26.05.2024.