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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Via" könnte solche Erörterungen, wenn sie lediglich von freisinniger Seite kämen
und sich als politische Propaganda kennzeichneten, als müßig zurückweise". Doch
darum allein handelt eS sich schon lange nicht mehr. Parallel mit jenen Erörterungen
in der liberalen Presse werden in der gegnerischen Vorschlage laut, die doch
eine bedenkliche Unsicherheit auch bei den positiv gerichteten Geistlichen verraten.
So taucht miederholt die Meinung auf, die evangelische Kirche sollte die Person
Christi zugunsten der Muttergottes mehr zurücktrete" lassen und auch die Predigt
zugunsten einer sich mehr an das Gefühl wendenden reicheren Liturgie ein¬
schränken. Wie weit bei solchen Vorschlägen religiöses Bedürfnis, wie weit der
Wunsch einzelner, die Herrschaft über die Massen wieder zu gewinnen, ma߬
G. Li. gebend ist, soll hier nicht untersucht werden.


Sozialpolitik

Der deutsche Wohiumgskongresz zu Leipzig -- Organisation des Realkrediies -- Nicht
Mangel, sondern Überfluß an Rcalkredit -- Verteuerung des Grund und Bodens --
Änderung der Beleihungsgrundsötze der Hypothekenbanken

Die Verhandlungen des deutschen Wohnungskongrcsses zu Leipzig
verdienen die eingehendste Beachtung aller Sozialpolitiker. Immer klarer ringt
sich die Erkenntnis durch, daß in der Wohnungsfrage der Kern aller praktischen
Sozialpolitik liegt. In außerordentlich überzeugender und anschaulicher Weise
hat kürzlich Prof. Eberstadt in einer Abhandlung in den Preuß. Jahrbüchern
das Grundübel geschildert, an den: unser städtisches Wohnungswesen krankt:
den klaffende" Gegensatz zwischen den Interessen des auf Bodenspekulation und
Mietskasernen beruhenden Hausbesitzes und denen der Gesamtheit der Bevölkerung.
Er weist durchaus zutreffend darauf hin, daß die Probleme, mit denen wir uns
i" Deutschland vornehmlich abzufinden haben, in der Hauptsache Großstadt-
problcine sind. Auf der Verteilung des Grundbesitzes ist die städtische Ver¬
fassung aufgebaut, er ist die Grundlage der städtischen Verwaltung und Wirt¬
schaft geworden, aber in einer Weise, die vo" den gedachten Zielen himmelweit
verschiede" ist. Die Rücksichtnahme auf die Interessen der Hausbesitzer hat
schließlich die Hauptmasse der Bevölkerung in den schärfsten Gegensatz zum
Staatsverband gebracht. Es gilt also hier zunächst den Hebel anzusetzen und
für eine Beseitigung der Privilegien der Hausbesitzer und eine Reform der
kommunalen Selbstverwaltung auf Grund einer demokratischeren Grundlage zu
sorgen. Der Durchführung dieser Aufgabe stehen aber, wie ohne weiteres
ersichtlich ist, Schwierigkeiten der allergrößten Art entgegen. Denn es werden
damit politische Probleme diffizilster Natur aufgeworfen und es erscheint in
absehbarer Zeit ausgeschlossen, auf diesem Wege der Lösung der Wohnungsfrage
näherzutreten. Auch darf man nicht verkeimen, daß politische oder kommunale
Reformen allein den: Übel nicht steuern würden: ist es doch auch in Städten
vorhanden, die, wie in Süddeutschland, sich eines ganz demokratischen Wahl¬
rechts erfreue". Ganz mit Recht hat daher diese Seite der Sache nicht im


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Via» könnte solche Erörterungen, wenn sie lediglich von freisinniger Seite kämen
und sich als politische Propaganda kennzeichneten, als müßig zurückweise». Doch
darum allein handelt eS sich schon lange nicht mehr. Parallel mit jenen Erörterungen
in der liberalen Presse werden in der gegnerischen Vorschlage laut, die doch
eine bedenkliche Unsicherheit auch bei den positiv gerichteten Geistlichen verraten.
So taucht miederholt die Meinung auf, die evangelische Kirche sollte die Person
Christi zugunsten der Muttergottes mehr zurücktrete» lassen und auch die Predigt
zugunsten einer sich mehr an das Gefühl wendenden reicheren Liturgie ein¬
schränken. Wie weit bei solchen Vorschlägen religiöses Bedürfnis, wie weit der
Wunsch einzelner, die Herrschaft über die Massen wieder zu gewinnen, ma߬
G. Li. gebend ist, soll hier nicht untersucht werden.


Sozialpolitik

Der deutsche Wohiumgskongresz zu Leipzig — Organisation des Realkrediies — Nicht
Mangel, sondern Überfluß an Rcalkredit — Verteuerung des Grund und Bodens —
Änderung der Beleihungsgrundsötze der Hypothekenbanken

Die Verhandlungen des deutschen Wohnungskongrcsses zu Leipzig
verdienen die eingehendste Beachtung aller Sozialpolitiker. Immer klarer ringt
sich die Erkenntnis durch, daß in der Wohnungsfrage der Kern aller praktischen
Sozialpolitik liegt. In außerordentlich überzeugender und anschaulicher Weise
hat kürzlich Prof. Eberstadt in einer Abhandlung in den Preuß. Jahrbüchern
das Grundübel geschildert, an den: unser städtisches Wohnungswesen krankt:
den klaffende» Gegensatz zwischen den Interessen des auf Bodenspekulation und
Mietskasernen beruhenden Hausbesitzes und denen der Gesamtheit der Bevölkerung.
Er weist durchaus zutreffend darauf hin, daß die Probleme, mit denen wir uns
i» Deutschland vornehmlich abzufinden haben, in der Hauptsache Großstadt-
problcine sind. Auf der Verteilung des Grundbesitzes ist die städtische Ver¬
fassung aufgebaut, er ist die Grundlage der städtischen Verwaltung und Wirt¬
schaft geworden, aber in einer Weise, die vo» den gedachten Zielen himmelweit
verschiede» ist. Die Rücksichtnahme auf die Interessen der Hausbesitzer hat
schließlich die Hauptmasse der Bevölkerung in den schärfsten Gegensatz zum
Staatsverband gebracht. Es gilt also hier zunächst den Hebel anzusetzen und
für eine Beseitigung der Privilegien der Hausbesitzer und eine Reform der
kommunalen Selbstverwaltung auf Grund einer demokratischeren Grundlage zu
sorgen. Der Durchführung dieser Aufgabe stehen aber, wie ohne weiteres
ersichtlich ist, Schwierigkeiten der allergrößten Art entgegen. Denn es werden
damit politische Probleme diffizilster Natur aufgeworfen und es erscheint in
absehbarer Zeit ausgeschlossen, auf diesem Wege der Lösung der Wohnungsfrage
näherzutreten. Auch darf man nicht verkeimen, daß politische oder kommunale
Reformen allein den: Übel nicht steuern würden: ist es doch auch in Städten
vorhanden, die, wie in Süddeutschland, sich eines ganz demokratischen Wahl¬
rechts erfreue». Ganz mit Recht hat daher diese Seite der Sache nicht im


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[0648] Reichsspiegel Via» könnte solche Erörterungen, wenn sie lediglich von freisinniger Seite kämen und sich als politische Propaganda kennzeichneten, als müßig zurückweise». Doch darum allein handelt eS sich schon lange nicht mehr. Parallel mit jenen Erörterungen in der liberalen Presse werden in der gegnerischen Vorschlage laut, die doch eine bedenkliche Unsicherheit auch bei den positiv gerichteten Geistlichen verraten. So taucht miederholt die Meinung auf, die evangelische Kirche sollte die Person Christi zugunsten der Muttergottes mehr zurücktrete» lassen und auch die Predigt zugunsten einer sich mehr an das Gefühl wendenden reicheren Liturgie ein¬ schränken. Wie weit bei solchen Vorschlägen religiöses Bedürfnis, wie weit der Wunsch einzelner, die Herrschaft über die Massen wieder zu gewinnen, ma߬ G. Li. gebend ist, soll hier nicht untersucht werden. Sozialpolitik Der deutsche Wohiumgskongresz zu Leipzig — Organisation des Realkrediies — Nicht Mangel, sondern Überfluß an Rcalkredit — Verteuerung des Grund und Bodens — Änderung der Beleihungsgrundsötze der Hypothekenbanken Die Verhandlungen des deutschen Wohnungskongrcsses zu Leipzig verdienen die eingehendste Beachtung aller Sozialpolitiker. Immer klarer ringt sich die Erkenntnis durch, daß in der Wohnungsfrage der Kern aller praktischen Sozialpolitik liegt. In außerordentlich überzeugender und anschaulicher Weise hat kürzlich Prof. Eberstadt in einer Abhandlung in den Preuß. Jahrbüchern das Grundübel geschildert, an den: unser städtisches Wohnungswesen krankt: den klaffende» Gegensatz zwischen den Interessen des auf Bodenspekulation und Mietskasernen beruhenden Hausbesitzes und denen der Gesamtheit der Bevölkerung. Er weist durchaus zutreffend darauf hin, daß die Probleme, mit denen wir uns i» Deutschland vornehmlich abzufinden haben, in der Hauptsache Großstadt- problcine sind. Auf der Verteilung des Grundbesitzes ist die städtische Ver¬ fassung aufgebaut, er ist die Grundlage der städtischen Verwaltung und Wirt¬ schaft geworden, aber in einer Weise, die vo» den gedachten Zielen himmelweit verschiede» ist. Die Rücksichtnahme auf die Interessen der Hausbesitzer hat schließlich die Hauptmasse der Bevölkerung in den schärfsten Gegensatz zum Staatsverband gebracht. Es gilt also hier zunächst den Hebel anzusetzen und für eine Beseitigung der Privilegien der Hausbesitzer und eine Reform der kommunalen Selbstverwaltung auf Grund einer demokratischeren Grundlage zu sorgen. Der Durchführung dieser Aufgabe stehen aber, wie ohne weiteres ersichtlich ist, Schwierigkeiten der allergrößten Art entgegen. Denn es werden damit politische Probleme diffizilster Natur aufgeworfen und es erscheint in absehbarer Zeit ausgeschlossen, auf diesem Wege der Lösung der Wohnungsfrage näherzutreten. Auch darf man nicht verkeimen, daß politische oder kommunale Reformen allein den: Übel nicht steuern würden: ist es doch auch in Städten vorhanden, die, wie in Süddeutschland, sich eines ganz demokratischen Wahl¬ rechts erfreue». Ganz mit Recht hat daher diese Seite der Sache nicht im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/648>, abgerufen am 26.05.2024.