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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ein Später Derer va" Doorn

Zweites Kapitel

Hieronymus van Doorn hatte immer hinter Mauern ein einsames Leben
in Gott gelebt. Seine Welt lag innen. Sein Auge, das blan war, schien
dunkel, weil es verzehrt aussah, erhitzt von der Glut sehnsüchtiger Kasteiung.
Seine Wangen waren hohl, seine Stirn war kalt und sehr blaß. Sein Gang,
wenn er zu einem Sterbenden dnrch die Dünen schritt, hatte etwas sehr Edles,
etwas von einer heiligen Mission, als wenn er nicht ohne Eile, doch mit ehernen
Händen den Goldkelch mit Gottes Blute forttrüge, oft gepeinigt, daß er den
Verröchelnden noch rechtzeitig stillen und in den Saum von Gottes Kleide ein¬
hüllen könnte, den er schon auf dem einsamen Wege inbrünstig hernieder flehte.
Auch heute war ein Bote gekommen, der ihn in ein entfernteres Stranddorf
rief. Der graue Herbstwind sang und raschelte in dem Efeu, der das rote
Ziegelhaus seiner Pfarre überspann. Draußen in den Dünenhügeln zitterten
die fahlen Gräser im Abendsinken, und dunkelgraue Wolkenzüge jagten vom
Lande ins Meer. Hieronymus van Doorn war wie immer in solchen Lagen
in tiefem Gebete. Möven zogen über ihn mit einsamem Klagen. Der ver¬
hallende Ruf war wie aus seiner eigenen Seele geboren und verwob sich in
die heimliche Weihe dessen, der am Strande hinschritt.

Es war die Frau eines hohen Regierungsbeamten, die in ihrem Himmel¬
bette lag und die Augen nicht auftat, als Hieronymus van Doorn eintrat.
Der Hausherr war ein Lebemann. Er sah aus wie ein frischer Stutzer. Aber
seine Mienen kamen den: Priester verängstigt und hilfeflehend entgegen. Hiero¬
nymus hatte seinen Überrock kaum abtun können und stand schon im feierlichen
Meßgewand hager aufragend, so hatte ihn die heiße Inbrunst getrieben, in
das Gesicht der Sterbenden hineinzusehen. Die Sterbende sah engelhaft bleich
aus. Ihre Augen waren tief geschlossen. Man stand am Bette und beobachtete
ihre hastigen, jagenden Atemzüge. Hieronymus blickte lange auf den Mund,
der ein wenig offenstand. Die Lippen waren wie vom Schmerz etwas ein¬
gezogen, aber sein und selig. Eine Nonne, die dabeistand, versuchte einen
kühlen Schwamm auf die feinen Lippen aufzulegen, um den heißen Atem zu
feuchten. Es war eine wundersame Stille in den: Raume, der hoch und vor¬
nehm war. Am Bette stand ein Strauß schöner Rosen.

Hieronymus van Doorn wollte gleich niederknien und beten. Aber er
besann sich noch einmal. Er trat zu Herrn Kroen zurück und sah den: frischen
Lebemanne lange ins Gesicht.

"Herr Kroen," sagte er vor sich hinflüsternd, "die Kranke ist noch jung,
und Sie lebten im Glücke mit ihr." Er wußte in dem Augenblicke nicht, was
er redete. Die Luft im Zimmer, das voll eines müden, edlen Geruches war,
weil die Rosen bei der Sterbenden ihren Duft hauchten, hatte ihn benommen,
so daß er eine Weile ganz in sich versunken, nur den jetzt lauten Atemzügen
von Frau Kroen zuhörte. Es mischten sich geröchelte Laute in die hastigen
Rhythmen.


Ein Später Derer va» Doorn

Zweites Kapitel

Hieronymus van Doorn hatte immer hinter Mauern ein einsames Leben
in Gott gelebt. Seine Welt lag innen. Sein Auge, das blan war, schien
dunkel, weil es verzehrt aussah, erhitzt von der Glut sehnsüchtiger Kasteiung.
Seine Wangen waren hohl, seine Stirn war kalt und sehr blaß. Sein Gang,
wenn er zu einem Sterbenden dnrch die Dünen schritt, hatte etwas sehr Edles,
etwas von einer heiligen Mission, als wenn er nicht ohne Eile, doch mit ehernen
Händen den Goldkelch mit Gottes Blute forttrüge, oft gepeinigt, daß er den
Verröchelnden noch rechtzeitig stillen und in den Saum von Gottes Kleide ein¬
hüllen könnte, den er schon auf dem einsamen Wege inbrünstig hernieder flehte.
Auch heute war ein Bote gekommen, der ihn in ein entfernteres Stranddorf
rief. Der graue Herbstwind sang und raschelte in dem Efeu, der das rote
Ziegelhaus seiner Pfarre überspann. Draußen in den Dünenhügeln zitterten
die fahlen Gräser im Abendsinken, und dunkelgraue Wolkenzüge jagten vom
Lande ins Meer. Hieronymus van Doorn war wie immer in solchen Lagen
in tiefem Gebete. Möven zogen über ihn mit einsamem Klagen. Der ver¬
hallende Ruf war wie aus seiner eigenen Seele geboren und verwob sich in
die heimliche Weihe dessen, der am Strande hinschritt.

Es war die Frau eines hohen Regierungsbeamten, die in ihrem Himmel¬
bette lag und die Augen nicht auftat, als Hieronymus van Doorn eintrat.
Der Hausherr war ein Lebemann. Er sah aus wie ein frischer Stutzer. Aber
seine Mienen kamen den: Priester verängstigt und hilfeflehend entgegen. Hiero¬
nymus hatte seinen Überrock kaum abtun können und stand schon im feierlichen
Meßgewand hager aufragend, so hatte ihn die heiße Inbrunst getrieben, in
das Gesicht der Sterbenden hineinzusehen. Die Sterbende sah engelhaft bleich
aus. Ihre Augen waren tief geschlossen. Man stand am Bette und beobachtete
ihre hastigen, jagenden Atemzüge. Hieronymus blickte lange auf den Mund,
der ein wenig offenstand. Die Lippen waren wie vom Schmerz etwas ein¬
gezogen, aber sein und selig. Eine Nonne, die dabeistand, versuchte einen
kühlen Schwamm auf die feinen Lippen aufzulegen, um den heißen Atem zu
feuchten. Es war eine wundersame Stille in den: Raume, der hoch und vor¬
nehm war. Am Bette stand ein Strauß schöner Rosen.

Hieronymus van Doorn wollte gleich niederknien und beten. Aber er
besann sich noch einmal. Er trat zu Herrn Kroen zurück und sah den: frischen
Lebemanne lange ins Gesicht.

„Herr Kroen," sagte er vor sich hinflüsternd, „die Kranke ist noch jung,
und Sie lebten im Glücke mit ihr." Er wußte in dem Augenblicke nicht, was
er redete. Die Luft im Zimmer, das voll eines müden, edlen Geruches war,
weil die Rosen bei der Sterbenden ihren Duft hauchten, hatte ihn benommen,
so daß er eine Weile ganz in sich versunken, nur den jetzt lauten Atemzügen
von Frau Kroen zuhörte. Es mischten sich geröchelte Laute in die hastigen
Rhythmen.


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[0140] Ein Später Derer va» Doorn Zweites Kapitel Hieronymus van Doorn hatte immer hinter Mauern ein einsames Leben in Gott gelebt. Seine Welt lag innen. Sein Auge, das blan war, schien dunkel, weil es verzehrt aussah, erhitzt von der Glut sehnsüchtiger Kasteiung. Seine Wangen waren hohl, seine Stirn war kalt und sehr blaß. Sein Gang, wenn er zu einem Sterbenden dnrch die Dünen schritt, hatte etwas sehr Edles, etwas von einer heiligen Mission, als wenn er nicht ohne Eile, doch mit ehernen Händen den Goldkelch mit Gottes Blute forttrüge, oft gepeinigt, daß er den Verröchelnden noch rechtzeitig stillen und in den Saum von Gottes Kleide ein¬ hüllen könnte, den er schon auf dem einsamen Wege inbrünstig hernieder flehte. Auch heute war ein Bote gekommen, der ihn in ein entfernteres Stranddorf rief. Der graue Herbstwind sang und raschelte in dem Efeu, der das rote Ziegelhaus seiner Pfarre überspann. Draußen in den Dünenhügeln zitterten die fahlen Gräser im Abendsinken, und dunkelgraue Wolkenzüge jagten vom Lande ins Meer. Hieronymus van Doorn war wie immer in solchen Lagen in tiefem Gebete. Möven zogen über ihn mit einsamem Klagen. Der ver¬ hallende Ruf war wie aus seiner eigenen Seele geboren und verwob sich in die heimliche Weihe dessen, der am Strande hinschritt. Es war die Frau eines hohen Regierungsbeamten, die in ihrem Himmel¬ bette lag und die Augen nicht auftat, als Hieronymus van Doorn eintrat. Der Hausherr war ein Lebemann. Er sah aus wie ein frischer Stutzer. Aber seine Mienen kamen den: Priester verängstigt und hilfeflehend entgegen. Hiero¬ nymus hatte seinen Überrock kaum abtun können und stand schon im feierlichen Meßgewand hager aufragend, so hatte ihn die heiße Inbrunst getrieben, in das Gesicht der Sterbenden hineinzusehen. Die Sterbende sah engelhaft bleich aus. Ihre Augen waren tief geschlossen. Man stand am Bette und beobachtete ihre hastigen, jagenden Atemzüge. Hieronymus blickte lange auf den Mund, der ein wenig offenstand. Die Lippen waren wie vom Schmerz etwas ein¬ gezogen, aber sein und selig. Eine Nonne, die dabeistand, versuchte einen kühlen Schwamm auf die feinen Lippen aufzulegen, um den heißen Atem zu feuchten. Es war eine wundersame Stille in den: Raume, der hoch und vor¬ nehm war. Am Bette stand ein Strauß schöner Rosen. Hieronymus van Doorn wollte gleich niederknien und beten. Aber er besann sich noch einmal. Er trat zu Herrn Kroen zurück und sah den: frischen Lebemanne lange ins Gesicht. „Herr Kroen," sagte er vor sich hinflüsternd, „die Kranke ist noch jung, und Sie lebten im Glücke mit ihr." Er wußte in dem Augenblicke nicht, was er redete. Die Luft im Zimmer, das voll eines müden, edlen Geruches war, weil die Rosen bei der Sterbenden ihren Duft hauchten, hatte ihn benommen, so daß er eine Weile ganz in sich versunken, nur den jetzt lauten Atemzügen von Frau Kroen zuhörte. Es mischten sich geröchelte Laute in die hastigen Rhythmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/140>, abgerufen am 29.04.2024.