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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ein Später Derer van Doorn

gellenden Rufe sangen, sahen die Burschen und die Mädchen nur mit neu¬
gierigen Blicken sich um. Alle waren ruhelos und in die hellen Lüfte zerfahrend,
solange nicht eine Stimme die Andacht schuf und Gott aus den Goldfäden
spinnenden Himmelslüften in die Wölbung herniederrief.

Die Jugend! Wie frische Reiser aus Tannengrün, so Kraft und Glauben
strotzend standen die Burschen im Kirchentor. Und die Gesichter der flüggen
Mädchen waren ein wenig wie zum Lächeln erhellt, aber doch noch immer
gebunden. Die blonden Haare hatten sie mit Spangen und Gewirk reich ge¬
halten, und ihre Mieder waren mit glänzenden, klingenden Kettlein über Samt
oder Seiden reich geschmückt. Und mit viel Spitzenzeug eine jede, das schäumend
hervorquoll, und mit viel Bändern, die um sie flatterten. Es war ein Anblick
jetzt im Herbst wie noch ein Frühlingsgarten. Aber auch die Jugend harrte
des Hieronnmus van Doorn, der im Orte Pfarrer war. Und er kam, der
schlanke, vornehme, bleiche, asketische Mensch schwebenden Ganges, wie wenn
er den Steinboden der Kirche lautlos berühren könnte, schwankend das weite,
feierliche Priestergewand, den brennenden Blick ganz in sich gezogen, als wenn
er nicht unter den Menschen, nur auf Himmelswegen schritte. Da saßte es
alle, jung und alt, groß und klein. Alles drängte sich auf den Fliesen der
Kirche vor und in die Holzbänke hinein. Und es war wirklich eine große Ge¬
meinschaft unter den wetterharten Gesichtern, und die flüggen Mädchen, die sich
um den Altar drängten, schienen jetzt alle zu lächeln.

Und Hieronnmus van Doorn predigte dann mit seliger, sanfter Stimme,
wie Wasser rinnen. Er pries die Gottesliebe, die auch er zum Leitstern erlesen.
Er rühmte die Gnade des Lebens und der seligen Leiden mit anschwellenden
Wortgesang. Er zerriß sich seine Brust wie ein kranker Adler, der die
Wunden offen sieht und die Blutstropfen liebt, die aus seinen Wunden quellen.
Er verfluchte die Süßigkeiten des Lebens. Er schilderte das Menschen¬
schicksal wie eine kühne, entsagungsvolle Meerfahrt und schilderte mit Geister-
auge das Brechen der Masten und das Zerreißen der Segel. Und die
Kraft, die im Sturme aufragt, wenn der Mensch keine Rettung mehr aus¬
späht und Gott im Menschen dann Kraft gewinnt. Wenn Gott dann als
Heiland auf den Sturmwassern einhergeht und die Hand des sinkenden Menschen
und die Planken des sinkenden Fischerbootes so lange hochhält, bis die Wolken¬
tore von sprühender Sonne erstrahlen und der gläubige Mensch seine ganze
Herrlichkeit ansieht.

Die alten Fischersleute sahen den Himmel offen und weinten. Die
Burschen hielten die Arme gestrafft, als könnte anch die Kraft der Arme voni
Glauben sprechen. Die Mädchen standen und ihre Augen waren groß geworden,
und ihre Münder voll frischer Blutsfarbe lächelten im Glauben, indes Hieronymus
van Doorn das Leben in harten Pflichten und Leiden pries. Und die Lockungen
des Weltlebens mit immer jacherer Stimme und mit heißem Atem und mit
immer verzehrteren Mienen verwarf.


Ein Später Derer van Doorn

gellenden Rufe sangen, sahen die Burschen und die Mädchen nur mit neu¬
gierigen Blicken sich um. Alle waren ruhelos und in die hellen Lüfte zerfahrend,
solange nicht eine Stimme die Andacht schuf und Gott aus den Goldfäden
spinnenden Himmelslüften in die Wölbung herniederrief.

Die Jugend! Wie frische Reiser aus Tannengrün, so Kraft und Glauben
strotzend standen die Burschen im Kirchentor. Und die Gesichter der flüggen
Mädchen waren ein wenig wie zum Lächeln erhellt, aber doch noch immer
gebunden. Die blonden Haare hatten sie mit Spangen und Gewirk reich ge¬
halten, und ihre Mieder waren mit glänzenden, klingenden Kettlein über Samt
oder Seiden reich geschmückt. Und mit viel Spitzenzeug eine jede, das schäumend
hervorquoll, und mit viel Bändern, die um sie flatterten. Es war ein Anblick
jetzt im Herbst wie noch ein Frühlingsgarten. Aber auch die Jugend harrte
des Hieronnmus van Doorn, der im Orte Pfarrer war. Und er kam, der
schlanke, vornehme, bleiche, asketische Mensch schwebenden Ganges, wie wenn
er den Steinboden der Kirche lautlos berühren könnte, schwankend das weite,
feierliche Priestergewand, den brennenden Blick ganz in sich gezogen, als wenn
er nicht unter den Menschen, nur auf Himmelswegen schritte. Da saßte es
alle, jung und alt, groß und klein. Alles drängte sich auf den Fliesen der
Kirche vor und in die Holzbänke hinein. Und es war wirklich eine große Ge¬
meinschaft unter den wetterharten Gesichtern, und die flüggen Mädchen, die sich
um den Altar drängten, schienen jetzt alle zu lächeln.

Und Hieronnmus van Doorn predigte dann mit seliger, sanfter Stimme,
wie Wasser rinnen. Er pries die Gottesliebe, die auch er zum Leitstern erlesen.
Er rühmte die Gnade des Lebens und der seligen Leiden mit anschwellenden
Wortgesang. Er zerriß sich seine Brust wie ein kranker Adler, der die
Wunden offen sieht und die Blutstropfen liebt, die aus seinen Wunden quellen.
Er verfluchte die Süßigkeiten des Lebens. Er schilderte das Menschen¬
schicksal wie eine kühne, entsagungsvolle Meerfahrt und schilderte mit Geister-
auge das Brechen der Masten und das Zerreißen der Segel. Und die
Kraft, die im Sturme aufragt, wenn der Mensch keine Rettung mehr aus¬
späht und Gott im Menschen dann Kraft gewinnt. Wenn Gott dann als
Heiland auf den Sturmwassern einhergeht und die Hand des sinkenden Menschen
und die Planken des sinkenden Fischerbootes so lange hochhält, bis die Wolken¬
tore von sprühender Sonne erstrahlen und der gläubige Mensch seine ganze
Herrlichkeit ansieht.

Die alten Fischersleute sahen den Himmel offen und weinten. Die
Burschen hielten die Arme gestrafft, als könnte anch die Kraft der Arme voni
Glauben sprechen. Die Mädchen standen und ihre Augen waren groß geworden,
und ihre Münder voll frischer Blutsfarbe lächelten im Glauben, indes Hieronymus
van Doorn das Leben in harten Pflichten und Leiden pries. Und die Lockungen
des Weltlebens mit immer jacherer Stimme und mit heißem Atem und mit
immer verzehrteren Mienen verwarf.


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[0139] Ein Später Derer van Doorn gellenden Rufe sangen, sahen die Burschen und die Mädchen nur mit neu¬ gierigen Blicken sich um. Alle waren ruhelos und in die hellen Lüfte zerfahrend, solange nicht eine Stimme die Andacht schuf und Gott aus den Goldfäden spinnenden Himmelslüften in die Wölbung herniederrief. Die Jugend! Wie frische Reiser aus Tannengrün, so Kraft und Glauben strotzend standen die Burschen im Kirchentor. Und die Gesichter der flüggen Mädchen waren ein wenig wie zum Lächeln erhellt, aber doch noch immer gebunden. Die blonden Haare hatten sie mit Spangen und Gewirk reich ge¬ halten, und ihre Mieder waren mit glänzenden, klingenden Kettlein über Samt oder Seiden reich geschmückt. Und mit viel Spitzenzeug eine jede, das schäumend hervorquoll, und mit viel Bändern, die um sie flatterten. Es war ein Anblick jetzt im Herbst wie noch ein Frühlingsgarten. Aber auch die Jugend harrte des Hieronnmus van Doorn, der im Orte Pfarrer war. Und er kam, der schlanke, vornehme, bleiche, asketische Mensch schwebenden Ganges, wie wenn er den Steinboden der Kirche lautlos berühren könnte, schwankend das weite, feierliche Priestergewand, den brennenden Blick ganz in sich gezogen, als wenn er nicht unter den Menschen, nur auf Himmelswegen schritte. Da saßte es alle, jung und alt, groß und klein. Alles drängte sich auf den Fliesen der Kirche vor und in die Holzbänke hinein. Und es war wirklich eine große Ge¬ meinschaft unter den wetterharten Gesichtern, und die flüggen Mädchen, die sich um den Altar drängten, schienen jetzt alle zu lächeln. Und Hieronnmus van Doorn predigte dann mit seliger, sanfter Stimme, wie Wasser rinnen. Er pries die Gottesliebe, die auch er zum Leitstern erlesen. Er rühmte die Gnade des Lebens und der seligen Leiden mit anschwellenden Wortgesang. Er zerriß sich seine Brust wie ein kranker Adler, der die Wunden offen sieht und die Blutstropfen liebt, die aus seinen Wunden quellen. Er verfluchte die Süßigkeiten des Lebens. Er schilderte das Menschen¬ schicksal wie eine kühne, entsagungsvolle Meerfahrt und schilderte mit Geister- auge das Brechen der Masten und das Zerreißen der Segel. Und die Kraft, die im Sturme aufragt, wenn der Mensch keine Rettung mehr aus¬ späht und Gott im Menschen dann Kraft gewinnt. Wenn Gott dann als Heiland auf den Sturmwassern einhergeht und die Hand des sinkenden Menschen und die Planken des sinkenden Fischerbootes so lange hochhält, bis die Wolken¬ tore von sprühender Sonne erstrahlen und der gläubige Mensch seine ganze Herrlichkeit ansieht. Die alten Fischersleute sahen den Himmel offen und weinten. Die Burschen hielten die Arme gestrafft, als könnte anch die Kraft der Arme voni Glauben sprechen. Die Mädchen standen und ihre Augen waren groß geworden, und ihre Münder voll frischer Blutsfarbe lächelten im Glauben, indes Hieronymus van Doorn das Leben in harten Pflichten und Leiden pries. Und die Lockungen des Weltlebens mit immer jacherer Stimme und mit heißem Atem und mit immer verzehrteren Mienen verwarf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/139>, abgerufen am 15.05.2024.