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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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^prachwcmdlungen
von Alfred Weiß

ur den engen Rock habe ich eine gewisse Sympathie," sagte die
I schlanke Baronin und blickte ein ihrem anliegenden Kostüm hinunter.
Ich schaute sie betroffen an: "Sympathie"! Für einen Rock! Und
ein Vers von Sophokles kam mir in das Gedächtnis:

On 2of1,7M-Z/SdV, ">,XÄ clU^rouXl-?V Z-s-vo.
Nicht anzuleiten, mich mitzufreuen war ich geboren.

Und dabei fiel mir ein: Auch das deutsche Wort der Übersetzung, das dem
, griechischen in seiner Form und in seiner Bedeutung entspricht, hat ja den alten
tieferen Sinn verloren. Wer denkt noch bei dem oft etwas geringschätzigen Mit¬
leid an die gewichtigere Bedeutung, zu der erst wieder der Neubildner Nietzsche-
Zarathustra dem Worte verholfen hat. Mitleid gehört zu den vielen Worten, die
wie alte Münzen im Lauf der Zeit etwas vom Glanz der Prägung verloren haben.
Oft im Kurse herabgesetzt, jedenfalls aber durch den Gang der Entwicklung im
Werte verändert, bleiben sie noch eine Weile, etwas abgenutzt, in spärlichem Um¬
lauf, bis sie dann im Wörterbuch des Philologen, als wäre es der Raritätenkasten
eines Sammlers, gleichsam als knrrente Münze kassiert, ihr Dasein als lebendige
Worte beschließen.

Reich an altem, jetzt kaum mehr verstandenen Gut sind besonders die Sprich¬
wörter, die man richtiger Sprüchwörter schreiben sollte. "Morgenstunde hat Gold
im Munde" deutet natürlich nicht auf wertvolle Zahnplomben hin. Das Wort
"die Munde" (wie man eigentlich sagen müßte) bezeichnet einen Machtbesitz, wie
in dem Namen Sigismund oder der Bezeichnung Vormund (der für einen Minder¬
jährigen die amtliche "Gewalt" hat).

"Kind und Kegel" bedeutet die ehelichen und die unehelichen Kinder, "Mann
und Maus" die beiden Geschlechter, dergestalt, daß für das weibliche in sehr
erklärlicher Weise der bezeichnende Teil an Stelle des Ganzen durch ein Wort
wiedergegeben wird, dessen niederdeutsche Umbildung noch jetzt in der Vulgär¬
sprache die hier gemeinte partis Iwnteuse bezeichnet.

Maßgebend für die Verbindung dieser und ähnlicher Worte war, wie sich
leicht erkennen läßt, vor allem die Übereinstimmung im Anfangslaute, jene Allitte¬
ration, die als Stabreim von den ältesten Denkmälern bis auf Wagners Opern
als spezifisch germanische literarische Kunstform gilt. Schon sehr früh allerdings
ging mit dieser Wortverknüpfung, ohne Zweifel unter dem Einfluß der sprachliche
Schönheit anders wertenden romanischen Sprachen, der Endreim Hand in Hand.
Eines der ältesten Beispiele hierfür ist ein keckes Liedchen der lateinischen Vaganten¬
poesie, das ich mit einem'Versuch einer deutschen Übertragung hierhersetzen möchte:




^prachwcmdlungen
von Alfred Weiß

ur den engen Rock habe ich eine gewisse Sympathie," sagte die
I schlanke Baronin und blickte ein ihrem anliegenden Kostüm hinunter.
Ich schaute sie betroffen an: „Sympathie"! Für einen Rock! Und
ein Vers von Sophokles kam mir in das Gedächtnis:

On 2of1,7M-Z/SdV, «>,XÄ clU^rouXl-?V Z-s-vo.
Nicht anzuleiten, mich mitzufreuen war ich geboren.

Und dabei fiel mir ein: Auch das deutsche Wort der Übersetzung, das dem
, griechischen in seiner Form und in seiner Bedeutung entspricht, hat ja den alten
tieferen Sinn verloren. Wer denkt noch bei dem oft etwas geringschätzigen Mit¬
leid an die gewichtigere Bedeutung, zu der erst wieder der Neubildner Nietzsche-
Zarathustra dem Worte verholfen hat. Mitleid gehört zu den vielen Worten, die
wie alte Münzen im Lauf der Zeit etwas vom Glanz der Prägung verloren haben.
Oft im Kurse herabgesetzt, jedenfalls aber durch den Gang der Entwicklung im
Werte verändert, bleiben sie noch eine Weile, etwas abgenutzt, in spärlichem Um¬
lauf, bis sie dann im Wörterbuch des Philologen, als wäre es der Raritätenkasten
eines Sammlers, gleichsam als knrrente Münze kassiert, ihr Dasein als lebendige
Worte beschließen.

Reich an altem, jetzt kaum mehr verstandenen Gut sind besonders die Sprich¬
wörter, die man richtiger Sprüchwörter schreiben sollte. „Morgenstunde hat Gold
im Munde" deutet natürlich nicht auf wertvolle Zahnplomben hin. Das Wort
„die Munde" (wie man eigentlich sagen müßte) bezeichnet einen Machtbesitz, wie
in dem Namen Sigismund oder der Bezeichnung Vormund (der für einen Minder¬
jährigen die amtliche „Gewalt" hat).

„Kind und Kegel" bedeutet die ehelichen und die unehelichen Kinder, „Mann
und Maus" die beiden Geschlechter, dergestalt, daß für das weibliche in sehr
erklärlicher Weise der bezeichnende Teil an Stelle des Ganzen durch ein Wort
wiedergegeben wird, dessen niederdeutsche Umbildung noch jetzt in der Vulgär¬
sprache die hier gemeinte partis Iwnteuse bezeichnet.

Maßgebend für die Verbindung dieser und ähnlicher Worte war, wie sich
leicht erkennen läßt, vor allem die Übereinstimmung im Anfangslaute, jene Allitte¬
ration, die als Stabreim von den ältesten Denkmälern bis auf Wagners Opern
als spezifisch germanische literarische Kunstform gilt. Schon sehr früh allerdings
ging mit dieser Wortverknüpfung, ohne Zweifel unter dem Einfluß der sprachliche
Schönheit anders wertenden romanischen Sprachen, der Endreim Hand in Hand.
Eines der ältesten Beispiele hierfür ist ein keckes Liedchen der lateinischen Vaganten¬
poesie, das ich mit einem'Versuch einer deutschen Übertragung hierhersetzen möchte:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/198>, abgerufen am 29.04.2024.