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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Gin Später Derer van Doorn

"Nein, nein," sagte Hieronymus lebhaft und wie erwachend. "Gott vergibt
dem die Sünde, der Buße tut."

So gingen die beiden miteinander. Manchmal in Schweigen. Manchmal
auch, daß der Priester stehen blieb, mit seiner Krücke in den Sand malte und
zu Frau Hartjes kindlichen Worten fröhlich aufsah.


Sechstes Kapitel

Wenn jetzt der Sonntag sonnig übers Meer in die niedrigen Fischer-
Häuschen und in die kleine rote Backsteinkirche kam, war in Hieronymus Seele
tiefes Ungemach. Er lag betend in seiner ärmlichen Pfarrstube. Seine Augen
waren von Inbrunst geschlossen. Sein verhärmtes Gesicht rang um den Frieden
dessen, der ihn bis heute noch nicht verlassen hatte. Er sah auf zum heiligen
Christ am Kreuze, der als drohendes Zeichen an der Wand aufwuchs. Und
seine Gelübde gingen mit inbrünstigen Atem über die hastig murmelnden Lippen.

Und wenn dann das kühle Kirchengewölbe sich mit Fischersleuten füllte,
wenn die alten wetterharten Männer und Weiber und ihr blühender Nachwuchs
der kleinen Schnitzkanzel mit dem schwebenden Holzengel darüber verlangenden,
kindlichen Auges sich zugewandt, von wo Hieronymus heilige, flehende Rede
über die Köpfe sanft hinfloß, da saß auch Frau Hartje Kroen mit ihrer vor¬
nehmen Mutter und Schwester und mit Herrn Kroen feierlich und licht in der
kleinen Seitennische.

Und Hieronymus hatte einen harten Kampf zu kämpfen heimlich, daß er
nicht wieder ganz den Sinn seiner heißen Worte vergaß und Frau Hartjes
fromm versunkene Herrlichkeit nicht ganz das heilige Gnadenbild auf dem Altar
verdrängte, das noch immer bunt über dem Goldkelche zu schimmern schien.

Hieronymus' Versunkenheit in die Predigtworte schien in solchen Augen¬
blicken wie ein Fieber. Als könnte er nie aus seiner ringenden Erbetung des
Heils je wieder in die Welt der irdischen Gewalten sich zurückfinden.

Die Fischergesichter waren tiefernst.

Auch Frau Hartje war versunken.

Ihr kostbares, goldviolettes Brokathäubchen, davor die dicken, blonden
Zöpfe vor den Schläfen lagen, senkte sich. Ihr Auge war wie das der heiligen
Jungfrau selber fromm und heilig.

Und Hieronymus konnte seiner Verwirrung, je leidenschaftlicher er redete,
um so weniger Herr werden. Weil sich das Spiel in seinem Blute ewig wieder¬
holte, daß er in Frau Hartjes Gesicht heimlich tief hineinsah, als stünde es als
heilige Gnadenjungfrau selber über den Häuptern im Raume. Bis er über
der Lebendigen die toten Götterbilder alle vergessen.

Wenn er dann aus der Predigt heim kam, sehnte er sich.

Er stand still in seinem Pfarrgarten.

Die süße Schwermut der jungen, lichten Blicke Frau Hartjes stand vor
seiner Seele. Er sah in sich noch immer die weiche, frohe Hand, die sich


Gin Später Derer van Doorn

„Nein, nein," sagte Hieronymus lebhaft und wie erwachend. „Gott vergibt
dem die Sünde, der Buße tut."

So gingen die beiden miteinander. Manchmal in Schweigen. Manchmal
auch, daß der Priester stehen blieb, mit seiner Krücke in den Sand malte und
zu Frau Hartjes kindlichen Worten fröhlich aufsah.


Sechstes Kapitel

Wenn jetzt der Sonntag sonnig übers Meer in die niedrigen Fischer-
Häuschen und in die kleine rote Backsteinkirche kam, war in Hieronymus Seele
tiefes Ungemach. Er lag betend in seiner ärmlichen Pfarrstube. Seine Augen
waren von Inbrunst geschlossen. Sein verhärmtes Gesicht rang um den Frieden
dessen, der ihn bis heute noch nicht verlassen hatte. Er sah auf zum heiligen
Christ am Kreuze, der als drohendes Zeichen an der Wand aufwuchs. Und
seine Gelübde gingen mit inbrünstigen Atem über die hastig murmelnden Lippen.

Und wenn dann das kühle Kirchengewölbe sich mit Fischersleuten füllte,
wenn die alten wetterharten Männer und Weiber und ihr blühender Nachwuchs
der kleinen Schnitzkanzel mit dem schwebenden Holzengel darüber verlangenden,
kindlichen Auges sich zugewandt, von wo Hieronymus heilige, flehende Rede
über die Köpfe sanft hinfloß, da saß auch Frau Hartje Kroen mit ihrer vor¬
nehmen Mutter und Schwester und mit Herrn Kroen feierlich und licht in der
kleinen Seitennische.

Und Hieronymus hatte einen harten Kampf zu kämpfen heimlich, daß er
nicht wieder ganz den Sinn seiner heißen Worte vergaß und Frau Hartjes
fromm versunkene Herrlichkeit nicht ganz das heilige Gnadenbild auf dem Altar
verdrängte, das noch immer bunt über dem Goldkelche zu schimmern schien.

Hieronymus' Versunkenheit in die Predigtworte schien in solchen Augen¬
blicken wie ein Fieber. Als könnte er nie aus seiner ringenden Erbetung des
Heils je wieder in die Welt der irdischen Gewalten sich zurückfinden.

Die Fischergesichter waren tiefernst.

Auch Frau Hartje war versunken.

Ihr kostbares, goldviolettes Brokathäubchen, davor die dicken, blonden
Zöpfe vor den Schläfen lagen, senkte sich. Ihr Auge war wie das der heiligen
Jungfrau selber fromm und heilig.

Und Hieronymus konnte seiner Verwirrung, je leidenschaftlicher er redete,
um so weniger Herr werden. Weil sich das Spiel in seinem Blute ewig wieder¬
holte, daß er in Frau Hartjes Gesicht heimlich tief hineinsah, als stünde es als
heilige Gnadenjungfrau selber über den Häuptern im Raume. Bis er über
der Lebendigen die toten Götterbilder alle vergessen.

Wenn er dann aus der Predigt heim kam, sehnte er sich.

Er stand still in seinem Pfarrgarten.

Die süße Schwermut der jungen, lichten Blicke Frau Hartjes stand vor
seiner Seele. Er sah in sich noch immer die weiche, frohe Hand, die sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/247>, abgerufen am 29.04.2024.