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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Prophet oder Aünstler?
Betrachtungen zu Gerhart Hauptmanns "Lmanuel iZZuint"
von Dr, W, Warstat

! s gibt mancherlei Beziehungen, sogar mancherlei Analogien zwischen
! Religion und Kunst, zwischen den: intuitiver Schauen des Künstlers
und dem intuitiver Erkennen des religiös Begeisterten; diese
. Beziehungen sind mir aber noch nie so deutlich und mit solcher
l Kraft ins Bewußtsein getreten wie bei der Lektüre von Gerhart
Hauptmanns Roman "Der Narr in Christo Emanuel Quint". Daher kann die
Betrachtung gerade dieses Romans sehr gut dazu dienen, um die psychologischen
Beziehungen zwischen Religion und Kunst, um vor allen Dingen eine wichtige
Grenzfrage zwischen Religion und Kunst klarzulegen, nämlich das Problem des
intuitiver Erkennens.

Das intuitive, unmittelbare und gefühlsmäßige Erkennen spielt in der
Psyche, in dem seelischen Mechanismus des religiös Begeisterten, des Propheten,
eine gleich wichtige Rolle wie in der Seele des Künstlers; vielleicht ist nur die
letzte Richtung dieser Erkenntniskraft, ihr letztes Ziel und ihr letzter Blickpunkt
bei beiden verschieden. In beiden wirkt sie aber gleich mächtig und zieht durch
ihre intensive Beteiligung und Beeinflussung des Gefühlslebens in ungleich
stärkerer Weise die ganze Persönlichkeit mit allen ihren Kräften in ihren
Bereich, als es die auf sinnliche Daten gestützte, verstandesgemäße Erkenntnis
je tun kann.

Gerhart Hauptmanns "Emanuel Quint" ist nun das Produkt aus dem
Zusammenwirken beider Spielarten des intuitiver Erkennens, des religiösen und
des künstlerischen. Hier wird ein Prophet und seine religiöse Intuition dar¬
gestellt durch einen Künstler mit Hilfe der künstlerischen Intuition. Was diese
Tatsache für unseren Zweck als "Fall", als typisches Musterbeispiel, bedeutet,
das ist ohne weiteres klar.

Das Grundproblem in Hauptmanns Werk ist ein religiös - ethisches. Es
könnte, kurz und alltäglich gefaßt, etwa lauten: "Wenn heute Christus wieder
geboren würde, wenn er sein Leben noch einmal leben würde, so würde er
genau dasselbe Schicksal haben, so würden dieselben Mächte in ihm, mit ihm




Prophet oder Aünstler?
Betrachtungen zu Gerhart Hauptmanns „Lmanuel iZZuint"
von Dr, W, Warstat

! s gibt mancherlei Beziehungen, sogar mancherlei Analogien zwischen
! Religion und Kunst, zwischen den: intuitiver Schauen des Künstlers
und dem intuitiver Erkennen des religiös Begeisterten; diese
. Beziehungen sind mir aber noch nie so deutlich und mit solcher
l Kraft ins Bewußtsein getreten wie bei der Lektüre von Gerhart
Hauptmanns Roman „Der Narr in Christo Emanuel Quint". Daher kann die
Betrachtung gerade dieses Romans sehr gut dazu dienen, um die psychologischen
Beziehungen zwischen Religion und Kunst, um vor allen Dingen eine wichtige
Grenzfrage zwischen Religion und Kunst klarzulegen, nämlich das Problem des
intuitiver Erkennens.

Das intuitive, unmittelbare und gefühlsmäßige Erkennen spielt in der
Psyche, in dem seelischen Mechanismus des religiös Begeisterten, des Propheten,
eine gleich wichtige Rolle wie in der Seele des Künstlers; vielleicht ist nur die
letzte Richtung dieser Erkenntniskraft, ihr letztes Ziel und ihr letzter Blickpunkt
bei beiden verschieden. In beiden wirkt sie aber gleich mächtig und zieht durch
ihre intensive Beteiligung und Beeinflussung des Gefühlslebens in ungleich
stärkerer Weise die ganze Persönlichkeit mit allen ihren Kräften in ihren
Bereich, als es die auf sinnliche Daten gestützte, verstandesgemäße Erkenntnis
je tun kann.

Gerhart Hauptmanns „Emanuel Quint" ist nun das Produkt aus dem
Zusammenwirken beider Spielarten des intuitiver Erkennens, des religiösen und
des künstlerischen. Hier wird ein Prophet und seine religiöse Intuition dar¬
gestellt durch einen Künstler mit Hilfe der künstlerischen Intuition. Was diese
Tatsache für unseren Zweck als „Fall", als typisches Musterbeispiel, bedeutet,
das ist ohne weiteres klar.

Das Grundproblem in Hauptmanns Werk ist ein religiös - ethisches. Es
könnte, kurz und alltäglich gefaßt, etwa lauten: „Wenn heute Christus wieder
geboren würde, wenn er sein Leben noch einmal leben würde, so würde er
genau dasselbe Schicksal haben, so würden dieselben Mächte in ihm, mit ihm


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[0380] [Abbildung] Prophet oder Aünstler? Betrachtungen zu Gerhart Hauptmanns „Lmanuel iZZuint" von Dr, W, Warstat ! s gibt mancherlei Beziehungen, sogar mancherlei Analogien zwischen ! Religion und Kunst, zwischen den: intuitiver Schauen des Künstlers und dem intuitiver Erkennen des religiös Begeisterten; diese . Beziehungen sind mir aber noch nie so deutlich und mit solcher l Kraft ins Bewußtsein getreten wie bei der Lektüre von Gerhart Hauptmanns Roman „Der Narr in Christo Emanuel Quint". Daher kann die Betrachtung gerade dieses Romans sehr gut dazu dienen, um die psychologischen Beziehungen zwischen Religion und Kunst, um vor allen Dingen eine wichtige Grenzfrage zwischen Religion und Kunst klarzulegen, nämlich das Problem des intuitiver Erkennens. Das intuitive, unmittelbare und gefühlsmäßige Erkennen spielt in der Psyche, in dem seelischen Mechanismus des religiös Begeisterten, des Propheten, eine gleich wichtige Rolle wie in der Seele des Künstlers; vielleicht ist nur die letzte Richtung dieser Erkenntniskraft, ihr letztes Ziel und ihr letzter Blickpunkt bei beiden verschieden. In beiden wirkt sie aber gleich mächtig und zieht durch ihre intensive Beteiligung und Beeinflussung des Gefühlslebens in ungleich stärkerer Weise die ganze Persönlichkeit mit allen ihren Kräften in ihren Bereich, als es die auf sinnliche Daten gestützte, verstandesgemäße Erkenntnis je tun kann. Gerhart Hauptmanns „Emanuel Quint" ist nun das Produkt aus dem Zusammenwirken beider Spielarten des intuitiver Erkennens, des religiösen und des künstlerischen. Hier wird ein Prophet und seine religiöse Intuition dar¬ gestellt durch einen Künstler mit Hilfe der künstlerischen Intuition. Was diese Tatsache für unseren Zweck als „Fall", als typisches Musterbeispiel, bedeutet, das ist ohne weiteres klar. Das Grundproblem in Hauptmanns Werk ist ein religiös - ethisches. Es könnte, kurz und alltäglich gefaßt, etwa lauten: „Wenn heute Christus wieder geboren würde, wenn er sein Leben noch einmal leben würde, so würde er genau dasselbe Schicksal haben, so würden dieselben Mächte in ihm, mit ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/380>, abgerufen am 29.04.2024.