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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

trotz ihrer Diensttauglichkeit aus finanziellen Ersparnisgründen vom Heerdienst
befreit werden müssen oder die statt der vorgeschriebenen Höchstdienstzeit von
drei Jahren nur zwei oder gar nur ein Jahr zu dienen haben.

Wohl hat noch vor wenigen Jahren namentlich die führende preußische
Regierung den Standpunkt vertreten, daß die Wehrsteuer einen Bruch mit dem
seitherigen angeblichen System der allgemeinen persönlichen Dienstpflicht bedeute
und deshalb zu verwerfen sei. Aber der Kampf um die Reichsfinanzreform
hat es dahin gebracht, daß auch die preußische Regierung mit diesem übrigens
nie folgerichtig durchgeführten Standpunkte gebrochen und die Wehrsteuer --
freilich in völlig verunglückter Form als Anhängsel der Erbanfallsteuer -- in
ihren Steuerstrauß aufgenommen hat. Die Regierung hat dann auch mit dieser
Form der Wehrsteuer kein Glück gehabt; aber der Gedanke der Wehrsteuer wird
nicht zur Ruhe kommen, bis jeder nicht zum aktiven Heerdienst herangezogene
oder nur in abgekürzten: Maß zum Dienst einberufene Wehrpflichtige diese
Steuer in dieser oder jener Form zu bezahlen hat.

Möge man sich deshalb an zuständiger Stelle dieser inneren Berechtigung
des Wehrsteuergedankens endlich genügend bewußt werden! Wir kommen sicher
auf die Dauer um die Tatsache nicht mehr herum, daß mit der Entwicklung
Deutschlands zu einem Welthandelsreiche und seinem ganz ungeheuren Bevölkerungs¬
wachstum die Bedeutung unserer Armee als Mittel für den Grenzschutz der
Heimat zwar nicht in den Hintergrund tritt, aber daß neben diese Aufgabe noch
andere Aufgaben für die bewaffnete Macht treten.

Dürfen wir hoffen, daß ein Angriff fremder Nationen auf unsere deutsche
Heimat selbst angesichts der großen Heeresmassen, welche das heutige Deutschland
dank seiner wachsenden Bevölkerung besitzt, nicht mehr in dem Maße wie früher
zu fürchten wäre, so gestalten sich dagegen unsere fremden Besitzungen, unser
Seehandel zu äußerst gefährdeten nationalen Gütern, die deshalb einer nationalen
Flotte und eines zum Schlagen stets bereiten, aus freiwillig eingetretenen
Berufssoldaten zusammengesetzten Kolonialheeres dringend bedürfen.

Je schneller man sich deshalb entschließen wird, eine Neuordnung unseres
Wehrsystems und unserer Heeresverhältnisse auf Grund dieser veränderten Sach¬
lage vorzunehmen, um so besser wird es für das Deutsche Reich sein.




Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

trotz ihrer Diensttauglichkeit aus finanziellen Ersparnisgründen vom Heerdienst
befreit werden müssen oder die statt der vorgeschriebenen Höchstdienstzeit von
drei Jahren nur zwei oder gar nur ein Jahr zu dienen haben.

Wohl hat noch vor wenigen Jahren namentlich die führende preußische
Regierung den Standpunkt vertreten, daß die Wehrsteuer einen Bruch mit dem
seitherigen angeblichen System der allgemeinen persönlichen Dienstpflicht bedeute
und deshalb zu verwerfen sei. Aber der Kampf um die Reichsfinanzreform
hat es dahin gebracht, daß auch die preußische Regierung mit diesem übrigens
nie folgerichtig durchgeführten Standpunkte gebrochen und die Wehrsteuer —
freilich in völlig verunglückter Form als Anhängsel der Erbanfallsteuer — in
ihren Steuerstrauß aufgenommen hat. Die Regierung hat dann auch mit dieser
Form der Wehrsteuer kein Glück gehabt; aber der Gedanke der Wehrsteuer wird
nicht zur Ruhe kommen, bis jeder nicht zum aktiven Heerdienst herangezogene
oder nur in abgekürzten: Maß zum Dienst einberufene Wehrpflichtige diese
Steuer in dieser oder jener Form zu bezahlen hat.

Möge man sich deshalb an zuständiger Stelle dieser inneren Berechtigung
des Wehrsteuergedankens endlich genügend bewußt werden! Wir kommen sicher
auf die Dauer um die Tatsache nicht mehr herum, daß mit der Entwicklung
Deutschlands zu einem Welthandelsreiche und seinem ganz ungeheuren Bevölkerungs¬
wachstum die Bedeutung unserer Armee als Mittel für den Grenzschutz der
Heimat zwar nicht in den Hintergrund tritt, aber daß neben diese Aufgabe noch
andere Aufgaben für die bewaffnete Macht treten.

Dürfen wir hoffen, daß ein Angriff fremder Nationen auf unsere deutsche
Heimat selbst angesichts der großen Heeresmassen, welche das heutige Deutschland
dank seiner wachsenden Bevölkerung besitzt, nicht mehr in dem Maße wie früher
zu fürchten wäre, so gestalten sich dagegen unsere fremden Besitzungen, unser
Seehandel zu äußerst gefährdeten nationalen Gütern, die deshalb einer nationalen
Flotte und eines zum Schlagen stets bereiten, aus freiwillig eingetretenen
Berufssoldaten zusammengesetzten Kolonialheeres dringend bedürfen.

Je schneller man sich deshalb entschließen wird, eine Neuordnung unseres
Wehrsystems und unserer Heeresverhältnisse auf Grund dieser veränderten Sach¬
lage vorzunehmen, um so besser wird es für das Deutsche Reich sein.




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[0379] Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke trotz ihrer Diensttauglichkeit aus finanziellen Ersparnisgründen vom Heerdienst befreit werden müssen oder die statt der vorgeschriebenen Höchstdienstzeit von drei Jahren nur zwei oder gar nur ein Jahr zu dienen haben. Wohl hat noch vor wenigen Jahren namentlich die führende preußische Regierung den Standpunkt vertreten, daß die Wehrsteuer einen Bruch mit dem seitherigen angeblichen System der allgemeinen persönlichen Dienstpflicht bedeute und deshalb zu verwerfen sei. Aber der Kampf um die Reichsfinanzreform hat es dahin gebracht, daß auch die preußische Regierung mit diesem übrigens nie folgerichtig durchgeführten Standpunkte gebrochen und die Wehrsteuer — freilich in völlig verunglückter Form als Anhängsel der Erbanfallsteuer — in ihren Steuerstrauß aufgenommen hat. Die Regierung hat dann auch mit dieser Form der Wehrsteuer kein Glück gehabt; aber der Gedanke der Wehrsteuer wird nicht zur Ruhe kommen, bis jeder nicht zum aktiven Heerdienst herangezogene oder nur in abgekürzten: Maß zum Dienst einberufene Wehrpflichtige diese Steuer in dieser oder jener Form zu bezahlen hat. Möge man sich deshalb an zuständiger Stelle dieser inneren Berechtigung des Wehrsteuergedankens endlich genügend bewußt werden! Wir kommen sicher auf die Dauer um die Tatsache nicht mehr herum, daß mit der Entwicklung Deutschlands zu einem Welthandelsreiche und seinem ganz ungeheuren Bevölkerungs¬ wachstum die Bedeutung unserer Armee als Mittel für den Grenzschutz der Heimat zwar nicht in den Hintergrund tritt, aber daß neben diese Aufgabe noch andere Aufgaben für die bewaffnete Macht treten. Dürfen wir hoffen, daß ein Angriff fremder Nationen auf unsere deutsche Heimat selbst angesichts der großen Heeresmassen, welche das heutige Deutschland dank seiner wachsenden Bevölkerung besitzt, nicht mehr in dem Maße wie früher zu fürchten wäre, so gestalten sich dagegen unsere fremden Besitzungen, unser Seehandel zu äußerst gefährdeten nationalen Gütern, die deshalb einer nationalen Flotte und eines zum Schlagen stets bereiten, aus freiwillig eingetretenen Berufssoldaten zusammengesetzten Kolonialheeres dringend bedürfen. Je schneller man sich deshalb entschließen wird, eine Neuordnung unseres Wehrsystems und unserer Heeresverhältnisse auf Grund dieser veränderten Sach¬ lage vorzunehmen, um so besser wird es für das Deutsche Reich sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/379>, abgerufen am 15.05.2024.