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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegcl

in: Laufe der parlamentarischen Behandlung des Stoffes die Wahlkreiseinteilung
doch antastet, dann gerät er unweigerlich so hart an die verfassungsmäßigen
Grenzen seiner und des Reichstags Kompetenzen, daß er nolens volens
gezwungen sein wird, in einen Kampf um die Neuregulierung der Grenzen
zwischen den Befugnissen der Volksvertreter und der Regierung einzutreten. Es
fragt sich nur, ob dann die Lage der Regierung zwischen den Parteien noch so
günstig sein wird, daß sie nicht doch die Hand der Sozialdemokraten wird
ergreifen müssen, um wenigstens "etwas" (dies unglückselige etwas!) zustande
G. <Q. zu bringen.


Bank und Geld

Die Unsicherheit der Wirtschaftslage -- Die Spannung am Geldmarkte -- Der Mi߬
erfolg der neuen Anleihen und deren Rückwirkung auf den Geldmarkt -- Restriktions¬
vorschläge des Reichsbankpräsidenten -- Dividendenkürzungen von Provinzbanken --
Bergisch-Märkische Bank und Fürstentrust -- Sanierung der Berliner Terrain- und
Baugesellschaft

Eine eigenartige Spannung hält gegenwärtig das Wirtschaftsleben unter
Druck. Die Börse ist unsicher, nervös und geschäftslos; der häufige Stimmungs¬
wechsel zeigt, wie schwankend ihr Urteil über die Gesamtlage ist. Das kann
nicht Wunder nehmen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie groß der Abstand
zwischen den Hoffnungen ist, mit denen man nach dem Abschluß des Marokko¬
handels in das neue Jahr hineinging und den schmerzlichen Enttäuschungen, die
das letztere bisher gebracht hat. Es tritt immer klarer in das Bewußtsein, daß
es ein schwerer Irrtum war, an eine stürmische Aufwärtsbewegung auf allen
Gebieten der nationalen Produktion zu glauben und danach seine Dispositionen
einzurichten. Der Irrtum war an sich verzeihlich. Es hatte in der Tat den
Anschein, als werde eine Hochkonjunktur von großer Stärke und Schnelligkeit
der Entwicklung anbrechen. Die Ziffern der Eisen- und Kohlengewinnung, des
Außenhandels, die Einnahmen der Eisenbahnen, die Statistik des Arbeitsmarktes
geben hierfür in ihrem zum Teil staunenswerten Aufschwung unwiderlegliche
Beweise. Und doch hat die Entwicklung einen anderen Verlauf genommen.
Zunächst war es die Politik, welche die Rechnung verdarb. Das gespannte
Verhältnis zu England, die Furcht vor neuen und gefährlichen Komplikationen
legte die Unternehmungslust brach, ließ ein tiefwurzelndes Mißtrauen aufwachsen
und verhinderte durch die Rückwirkungen auf den Geldmarkt den erhofften wirt¬
schaftlichen Aufschwung. Nun ist zwar die politische Nervosität durch den Besuch
Haldanes und die Erklärung des Reichskanzlers über die Verhandlungen mit
England^ gewichen oder doch wenigstens gemildert. Geblieben aber sind die
Begleiterscheinungen jener unruhigen und sorgenvollen Tage, ja. sie sind sogar durch
neue recht bedenkliche Momente verstärkt worden, so daß heute trotz des Zurücktretens
der politischen Sorgen die Gesamtlage noch unbefriedigender scheint als zuvor.

In erster Linie muß die Lage des Geldmarktes Bedenken erregen. Die
Bank von England hat zwar ihren Diskont herabgesetzt; die Reichsbank hat


Reichsspiegcl

in: Laufe der parlamentarischen Behandlung des Stoffes die Wahlkreiseinteilung
doch antastet, dann gerät er unweigerlich so hart an die verfassungsmäßigen
Grenzen seiner und des Reichstags Kompetenzen, daß er nolens volens
gezwungen sein wird, in einen Kampf um die Neuregulierung der Grenzen
zwischen den Befugnissen der Volksvertreter und der Regierung einzutreten. Es
fragt sich nur, ob dann die Lage der Regierung zwischen den Parteien noch so
günstig sein wird, daß sie nicht doch die Hand der Sozialdemokraten wird
ergreifen müssen, um wenigstens „etwas" (dies unglückselige etwas!) zustande
G. <Q. zu bringen.


Bank und Geld

Die Unsicherheit der Wirtschaftslage — Die Spannung am Geldmarkte — Der Mi߬
erfolg der neuen Anleihen und deren Rückwirkung auf den Geldmarkt — Restriktions¬
vorschläge des Reichsbankpräsidenten — Dividendenkürzungen von Provinzbanken —
Bergisch-Märkische Bank und Fürstentrust — Sanierung der Berliner Terrain- und
Baugesellschaft

Eine eigenartige Spannung hält gegenwärtig das Wirtschaftsleben unter
Druck. Die Börse ist unsicher, nervös und geschäftslos; der häufige Stimmungs¬
wechsel zeigt, wie schwankend ihr Urteil über die Gesamtlage ist. Das kann
nicht Wunder nehmen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie groß der Abstand
zwischen den Hoffnungen ist, mit denen man nach dem Abschluß des Marokko¬
handels in das neue Jahr hineinging und den schmerzlichen Enttäuschungen, die
das letztere bisher gebracht hat. Es tritt immer klarer in das Bewußtsein, daß
es ein schwerer Irrtum war, an eine stürmische Aufwärtsbewegung auf allen
Gebieten der nationalen Produktion zu glauben und danach seine Dispositionen
einzurichten. Der Irrtum war an sich verzeihlich. Es hatte in der Tat den
Anschein, als werde eine Hochkonjunktur von großer Stärke und Schnelligkeit
der Entwicklung anbrechen. Die Ziffern der Eisen- und Kohlengewinnung, des
Außenhandels, die Einnahmen der Eisenbahnen, die Statistik des Arbeitsmarktes
geben hierfür in ihrem zum Teil staunenswerten Aufschwung unwiderlegliche
Beweise. Und doch hat die Entwicklung einen anderen Verlauf genommen.
Zunächst war es die Politik, welche die Rechnung verdarb. Das gespannte
Verhältnis zu England, die Furcht vor neuen und gefährlichen Komplikationen
legte die Unternehmungslust brach, ließ ein tiefwurzelndes Mißtrauen aufwachsen
und verhinderte durch die Rückwirkungen auf den Geldmarkt den erhofften wirt¬
schaftlichen Aufschwung. Nun ist zwar die politische Nervosität durch den Besuch
Haldanes und die Erklärung des Reichskanzlers über die Verhandlungen mit
England^ gewichen oder doch wenigstens gemildert. Geblieben aber sind die
Begleiterscheinungen jener unruhigen und sorgenvollen Tage, ja. sie sind sogar durch
neue recht bedenkliche Momente verstärkt worden, so daß heute trotz des Zurücktretens
der politischen Sorgen die Gesamtlage noch unbefriedigender scheint als zuvor.

In erster Linie muß die Lage des Geldmarktes Bedenken erregen. Die
Bank von England hat zwar ihren Diskont herabgesetzt; die Reichsbank hat


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[0408] Reichsspiegcl in: Laufe der parlamentarischen Behandlung des Stoffes die Wahlkreiseinteilung doch antastet, dann gerät er unweigerlich so hart an die verfassungsmäßigen Grenzen seiner und des Reichstags Kompetenzen, daß er nolens volens gezwungen sein wird, in einen Kampf um die Neuregulierung der Grenzen zwischen den Befugnissen der Volksvertreter und der Regierung einzutreten. Es fragt sich nur, ob dann die Lage der Regierung zwischen den Parteien noch so günstig sein wird, daß sie nicht doch die Hand der Sozialdemokraten wird ergreifen müssen, um wenigstens „etwas" (dies unglückselige etwas!) zustande G. <Q. zu bringen. Bank und Geld Die Unsicherheit der Wirtschaftslage — Die Spannung am Geldmarkte — Der Mi߬ erfolg der neuen Anleihen und deren Rückwirkung auf den Geldmarkt — Restriktions¬ vorschläge des Reichsbankpräsidenten — Dividendenkürzungen von Provinzbanken — Bergisch-Märkische Bank und Fürstentrust — Sanierung der Berliner Terrain- und Baugesellschaft Eine eigenartige Spannung hält gegenwärtig das Wirtschaftsleben unter Druck. Die Börse ist unsicher, nervös und geschäftslos; der häufige Stimmungs¬ wechsel zeigt, wie schwankend ihr Urteil über die Gesamtlage ist. Das kann nicht Wunder nehmen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie groß der Abstand zwischen den Hoffnungen ist, mit denen man nach dem Abschluß des Marokko¬ handels in das neue Jahr hineinging und den schmerzlichen Enttäuschungen, die das letztere bisher gebracht hat. Es tritt immer klarer in das Bewußtsein, daß es ein schwerer Irrtum war, an eine stürmische Aufwärtsbewegung auf allen Gebieten der nationalen Produktion zu glauben und danach seine Dispositionen einzurichten. Der Irrtum war an sich verzeihlich. Es hatte in der Tat den Anschein, als werde eine Hochkonjunktur von großer Stärke und Schnelligkeit der Entwicklung anbrechen. Die Ziffern der Eisen- und Kohlengewinnung, des Außenhandels, die Einnahmen der Eisenbahnen, die Statistik des Arbeitsmarktes geben hierfür in ihrem zum Teil staunenswerten Aufschwung unwiderlegliche Beweise. Und doch hat die Entwicklung einen anderen Verlauf genommen. Zunächst war es die Politik, welche die Rechnung verdarb. Das gespannte Verhältnis zu England, die Furcht vor neuen und gefährlichen Komplikationen legte die Unternehmungslust brach, ließ ein tiefwurzelndes Mißtrauen aufwachsen und verhinderte durch die Rückwirkungen auf den Geldmarkt den erhofften wirt¬ schaftlichen Aufschwung. Nun ist zwar die politische Nervosität durch den Besuch Haldanes und die Erklärung des Reichskanzlers über die Verhandlungen mit England^ gewichen oder doch wenigstens gemildert. Geblieben aber sind die Begleiterscheinungen jener unruhigen und sorgenvollen Tage, ja. sie sind sogar durch neue recht bedenkliche Momente verstärkt worden, so daß heute trotz des Zurücktretens der politischen Sorgen die Gesamtlage noch unbefriedigender scheint als zuvor. In erster Linie muß die Lage des Geldmarktes Bedenken erregen. Die Bank von England hat zwar ihren Diskont herabgesetzt; die Reichsbank hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/408>, abgerufen am 29.04.2024.