Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Franz Weilers Martyrium
Die Tragödie eines Rindes
Von Richard Arles

^eFAM! le Kirche und die Schule stehen beisammen in dem rheinhessischen
Dorfe, das gemeint ist. Es liegt ein freier Platz um Schule und
Kirche; früher war das einmal der Friedhof. Unter den Flieder¬
bäumen stehen aus vergangenen Jahrhunderten noch etliche ver-
^ witterte Grabsteine. Heute klettern die Schulbuben darauf herum,
aber nur in den Pausen zwischen den Schulstunden. Außer der Schulzeit ist
der Spielplatz heiliger Ort. Und Schweigen muß sein an heiligem Orte. Dafür
sorgt auch schon der grimme Pfarrer, der sein Brevier meist in der Kirche betet
und nicht gestört sein will.

Eben ist die letzte Nachmittagspause und kein ehrfürchtiges Schweigen,
sondern lustiglautes Lärmen der Schulkinder. Man kennt an kleinen Orten
nicht die nach Geschlechtern getrennten Schulklassen; Buben und Mädchen wirbeln
durcheinander. Es ist auch keine Lehrerin da. In die acht Schulklassen teilen
sich vier Lehrer. Sie stehen während der Pause im Gange des Schulhauses
beisammen, verzehren ihr Vesperbrot und unterhalten sich. Eigentlich plaudern
nur die drei älteren, die zufällig auch in dem gleichen Seminar Kurskollegen
gewesen sind. Der ganz junge Vikar aber langweilt sich. Er ist Musikus, und
die älteren Kollegen unterhalten sich über Gartenbau. Und da sie vom Mist
und vom Düngen reden, betrachtet er seine zarten Hände und gähnt. Musik
und Mist, denkt er und stöhnt in sein Inneres hinein: O, diese Bauern!

Die Schullehrer-Bauern achten kaum auf ihn. Hie und da werfen sie ihm
ein Wort hin, damit der Kollegialität Genüge getan ist.

Der große glattrasierte Weiler sagt zum Musikus:

"Herr Marion, wollen Se mir net nach de Schul helfen Erbse legen?"

Herr Marton schüttelt den Kopf, daß die Künstlermähne wallt. Eine Locke
fällt in die Stirn und deutet auf das blasierte Lächeln der Augen.

"Ach, ich glaube, ich würde mich recht tappig dabei anstellen. Den Fiedel¬
bogen führe ich gewandter als ich die Harke handhaben würde."

"Die Harke," äfft sein Kollege Kaltner nach. Meinen Se dademit de
Reese, hä?"




Franz Weilers Martyrium
Die Tragödie eines Rindes
Von Richard Arles

^eFAM! le Kirche und die Schule stehen beisammen in dem rheinhessischen
Dorfe, das gemeint ist. Es liegt ein freier Platz um Schule und
Kirche; früher war das einmal der Friedhof. Unter den Flieder¬
bäumen stehen aus vergangenen Jahrhunderten noch etliche ver-
^ witterte Grabsteine. Heute klettern die Schulbuben darauf herum,
aber nur in den Pausen zwischen den Schulstunden. Außer der Schulzeit ist
der Spielplatz heiliger Ort. Und Schweigen muß sein an heiligem Orte. Dafür
sorgt auch schon der grimme Pfarrer, der sein Brevier meist in der Kirche betet
und nicht gestört sein will.

Eben ist die letzte Nachmittagspause und kein ehrfürchtiges Schweigen,
sondern lustiglautes Lärmen der Schulkinder. Man kennt an kleinen Orten
nicht die nach Geschlechtern getrennten Schulklassen; Buben und Mädchen wirbeln
durcheinander. Es ist auch keine Lehrerin da. In die acht Schulklassen teilen
sich vier Lehrer. Sie stehen während der Pause im Gange des Schulhauses
beisammen, verzehren ihr Vesperbrot und unterhalten sich. Eigentlich plaudern
nur die drei älteren, die zufällig auch in dem gleichen Seminar Kurskollegen
gewesen sind. Der ganz junge Vikar aber langweilt sich. Er ist Musikus, und
die älteren Kollegen unterhalten sich über Gartenbau. Und da sie vom Mist
und vom Düngen reden, betrachtet er seine zarten Hände und gähnt. Musik
und Mist, denkt er und stöhnt in sein Inneres hinein: O, diese Bauern!

Die Schullehrer-Bauern achten kaum auf ihn. Hie und da werfen sie ihm
ein Wort hin, damit der Kollegialität Genüge getan ist.

Der große glattrasierte Weiler sagt zum Musikus:

„Herr Marion, wollen Se mir net nach de Schul helfen Erbse legen?"

Herr Marton schüttelt den Kopf, daß die Künstlermähne wallt. Eine Locke
fällt in die Stirn und deutet auf das blasierte Lächeln der Augen.

„Ach, ich glaube, ich würde mich recht tappig dabei anstellen. Den Fiedel¬
bogen führe ich gewandter als ich die Harke handhaben würde."

„Die Harke," äfft sein Kollege Kaltner nach. Meinen Se dademit de
Reese, hä?"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320899"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_320416/figures/grenzboten_341895_320416_320899_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Franz Weilers Martyrium<lb/>
Die Tragödie eines Rindes<lb/><note type="byline"> Von Richard Arles</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_2022"> ^eFAM! le Kirche und die Schule stehen beisammen in dem rheinhessischen<lb/>
Dorfe, das gemeint ist. Es liegt ein freier Platz um Schule und<lb/>
Kirche; früher war das einmal der Friedhof. Unter den Flieder¬<lb/>
bäumen stehen aus vergangenen Jahrhunderten noch etliche ver-<lb/>
^ witterte Grabsteine. Heute klettern die Schulbuben darauf herum,<lb/>
aber nur in den Pausen zwischen den Schulstunden. Außer der Schulzeit ist<lb/>
der Spielplatz heiliger Ort. Und Schweigen muß sein an heiligem Orte. Dafür<lb/>
sorgt auch schon der grimme Pfarrer, der sein Brevier meist in der Kirche betet<lb/>
und nicht gestört sein will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2023"> Eben ist die letzte Nachmittagspause und kein ehrfürchtiges Schweigen,<lb/>
sondern lustiglautes Lärmen der Schulkinder. Man kennt an kleinen Orten<lb/>
nicht die nach Geschlechtern getrennten Schulklassen; Buben und Mädchen wirbeln<lb/>
durcheinander. Es ist auch keine Lehrerin da. In die acht Schulklassen teilen<lb/>
sich vier Lehrer. Sie stehen während der Pause im Gange des Schulhauses<lb/>
beisammen, verzehren ihr Vesperbrot und unterhalten sich. Eigentlich plaudern<lb/>
nur die drei älteren, die zufällig auch in dem gleichen Seminar Kurskollegen<lb/>
gewesen sind. Der ganz junge Vikar aber langweilt sich. Er ist Musikus, und<lb/>
die älteren Kollegen unterhalten sich über Gartenbau. Und da sie vom Mist<lb/>
und vom Düngen reden, betrachtet er seine zarten Hände und gähnt. Musik<lb/>
und Mist, denkt er und stöhnt in sein Inneres hinein: O, diese Bauern!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2024"> Die Schullehrer-Bauern achten kaum auf ihn.  Hie und da werfen sie ihm<lb/>
ein Wort hin, damit der Kollegialität Genüge getan ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2025"> Der große glattrasierte Weiler sagt zum Musikus:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2026"> &#x201E;Herr Marion, wollen Se mir net nach de Schul helfen Erbse legen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2027"> Herr Marton schüttelt den Kopf, daß die Künstlermähne wallt.  Eine Locke<lb/>
fällt in die Stirn und deutet auf das blasierte Lächeln der Augen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2028"> &#x201E;Ach, ich glaube, ich würde mich recht tappig dabei anstellen. Den Fiedel¬<lb/>
bogen führe ich gewandter als ich die Harke handhaben würde."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2029"> &#x201E;Die Harke," äfft sein Kollege Kaltner nach. Meinen Se dademit de<lb/>
Reese, hä?"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0482] [Abbildung] Franz Weilers Martyrium Die Tragödie eines Rindes Von Richard Arles ^eFAM! le Kirche und die Schule stehen beisammen in dem rheinhessischen Dorfe, das gemeint ist. Es liegt ein freier Platz um Schule und Kirche; früher war das einmal der Friedhof. Unter den Flieder¬ bäumen stehen aus vergangenen Jahrhunderten noch etliche ver- ^ witterte Grabsteine. Heute klettern die Schulbuben darauf herum, aber nur in den Pausen zwischen den Schulstunden. Außer der Schulzeit ist der Spielplatz heiliger Ort. Und Schweigen muß sein an heiligem Orte. Dafür sorgt auch schon der grimme Pfarrer, der sein Brevier meist in der Kirche betet und nicht gestört sein will. Eben ist die letzte Nachmittagspause und kein ehrfürchtiges Schweigen, sondern lustiglautes Lärmen der Schulkinder. Man kennt an kleinen Orten nicht die nach Geschlechtern getrennten Schulklassen; Buben und Mädchen wirbeln durcheinander. Es ist auch keine Lehrerin da. In die acht Schulklassen teilen sich vier Lehrer. Sie stehen während der Pause im Gange des Schulhauses beisammen, verzehren ihr Vesperbrot und unterhalten sich. Eigentlich plaudern nur die drei älteren, die zufällig auch in dem gleichen Seminar Kurskollegen gewesen sind. Der ganz junge Vikar aber langweilt sich. Er ist Musikus, und die älteren Kollegen unterhalten sich über Gartenbau. Und da sie vom Mist und vom Düngen reden, betrachtet er seine zarten Hände und gähnt. Musik und Mist, denkt er und stöhnt in sein Inneres hinein: O, diese Bauern! Die Schullehrer-Bauern achten kaum auf ihn. Hie und da werfen sie ihm ein Wort hin, damit der Kollegialität Genüge getan ist. Der große glattrasierte Weiler sagt zum Musikus: „Herr Marion, wollen Se mir net nach de Schul helfen Erbse legen?" Herr Marton schüttelt den Kopf, daß die Künstlermähne wallt. Eine Locke fällt in die Stirn und deutet auf das blasierte Lächeln der Augen. „Ach, ich glaube, ich würde mich recht tappig dabei anstellen. Den Fiedel¬ bogen führe ich gewandter als ich die Harke handhaben würde." „Die Harke," äfft sein Kollege Kaltner nach. Meinen Se dademit de Reese, hä?"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/482
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/482>, abgerufen am 29.04.2024.