Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ansiedliuigskonunission und die Enteignung

wird die Enteignung als der allerletzte Notbehelf gekennzeichnet. Können in dem
Bezirke (also nicht nur anschließend an vorhandene deutsche Niederlassungen)
durch freihändigen Ankauf die deutschen Siedlungen verstärkt werden, so ist im
allgemeinen die Enteignung ausgeschlossen; bieten also, mit anderen Worten zu
reden, in dem Bezirke (-^ in der Nähe) Teutsche ihren Grundbesitz an, darf in
der Regel ein Pole nicht enteignet werden, weil man vielleicht weniger Polen
haben will oder zu hohe Preise von den Verkausslustigen verlangt werden.
Früher soll es vorgekommen sein, daß ein Deutscher, dessen Gut allein zwischen
Ansiedlungsdörfern lag, es an eine polnische Bank verkaufte und diese es an
Polen anstellte. In solchen Fällen würde wohl die Enteignung eintreten können.
Aber derartiges kommt nicht mehr vor, seit das Gesetz vom 10. August 1904
den Aufbau neuer Gehöfte außerhalb geschlossener Ortschaften oder ihres Be¬
bauungsplans stets, innerhalb der Ortschaften bei Gutsparzellierungen und ferner
das Umbauen von Gebäuden zu Mohngebäuden unter gleichen Umständen ver¬
hindert, wenn beides zum Nachteil der staatlichen Besiedlung gereicht.

Die etwa gesetzlich möglichen Fülle der Enteignung sind so selten und
unbedeutend, daß sie für die Tätigkeit der Ansiedlungskonnmssion keine Rolle
spielen. Im Jahre 1910 sind der Kommission zum Ankaufe 121201 Kg,
also, selbst wenn man davon 26000 da, deren Ankauf früher abgelehnt war,
abzieht, rund 25000 Jia noch mehr angeboten, als insgesamt enteignet
werden dürfen.

Will man enteignen, müssen zunächst die Enteignungsbefugnisse erweitert
werden in der Art, daß die Enteignung schon dann zulässig ist, wenn sie der
Anstedlungskommission zur planmäßigen Fortführung der staatlichen deUschen
Ansiedlung erforderlich erscheint.

Die Bedenken tatsächlicher Natur, welche immer noch verbleiben, sind weniger
schwerwiegend. Ihnen gegenüber könnte man eher den Versuch der Enteignung
wagen. Diese Bedenken sind folgende. Es ist nicht zu erwarten, daß durch
die Enteignung die Grundstückspreise sinken werden. Ich glaube, sie werden
vielmehr steigen. Für die Entschädigung findet nämlich das Gesetz vom 11. Juni
1874 über die Enteignung von Grundeigentum Anwendung. Die Gerichte
haben, wenn der Enteignete nicht zufrieden ist, die Entschädigung festzusetzen.
Es ist der volle Wert zu ersetzen, nach der Praxis der Gerichte auch ein in
naher Zukunft erzielbarer Spekulationsgewinn. Der Zweck dieses Gesetzes ist,
den Enteigneten in die Lage zu setzen, alsbald wieder ein gleichartiges Grund¬
stück zu erwerben. Die Folge war und ist bei allen bisherigen Enteignungen,
daß stets sehr teuer, wohl nie billiger als freihändig gekauft ist. Darüber
klagen alle Eisenbahnunternehmungen, Stadtverwaltungen, Bergwerke 'und auf
ihrer letzten Tagung die Bodenreformer. Der enteignete Pole wäre daher an
sich in der Lage, jederzeit wieder einen Deutschen auszulaufen, denn noch sind
in Westpreußen 960000 Ka, in Posen rund 740000 im unbefestigter, frei ver-
äußerlicher deutscher Grundbesitz vorhanden. Ob der enteignete Pole sich stets


................................................................................................................................................................................................................................................................."."""",......M

Die Ansiedliuigskonunission und die Enteignung

wird die Enteignung als der allerletzte Notbehelf gekennzeichnet. Können in dem
Bezirke (also nicht nur anschließend an vorhandene deutsche Niederlassungen)
durch freihändigen Ankauf die deutschen Siedlungen verstärkt werden, so ist im
allgemeinen die Enteignung ausgeschlossen; bieten also, mit anderen Worten zu
reden, in dem Bezirke (-^ in der Nähe) Teutsche ihren Grundbesitz an, darf in
der Regel ein Pole nicht enteignet werden, weil man vielleicht weniger Polen
haben will oder zu hohe Preise von den Verkausslustigen verlangt werden.
Früher soll es vorgekommen sein, daß ein Deutscher, dessen Gut allein zwischen
Ansiedlungsdörfern lag, es an eine polnische Bank verkaufte und diese es an
Polen anstellte. In solchen Fällen würde wohl die Enteignung eintreten können.
Aber derartiges kommt nicht mehr vor, seit das Gesetz vom 10. August 1904
den Aufbau neuer Gehöfte außerhalb geschlossener Ortschaften oder ihres Be¬
bauungsplans stets, innerhalb der Ortschaften bei Gutsparzellierungen und ferner
das Umbauen von Gebäuden zu Mohngebäuden unter gleichen Umständen ver¬
hindert, wenn beides zum Nachteil der staatlichen Besiedlung gereicht.

Die etwa gesetzlich möglichen Fülle der Enteignung sind so selten und
unbedeutend, daß sie für die Tätigkeit der Ansiedlungskonnmssion keine Rolle
spielen. Im Jahre 1910 sind der Kommission zum Ankaufe 121201 Kg,
also, selbst wenn man davon 26000 da, deren Ankauf früher abgelehnt war,
abzieht, rund 25000 Jia noch mehr angeboten, als insgesamt enteignet
werden dürfen.

Will man enteignen, müssen zunächst die Enteignungsbefugnisse erweitert
werden in der Art, daß die Enteignung schon dann zulässig ist, wenn sie der
Anstedlungskommission zur planmäßigen Fortführung der staatlichen deUschen
Ansiedlung erforderlich erscheint.

Die Bedenken tatsächlicher Natur, welche immer noch verbleiben, sind weniger
schwerwiegend. Ihnen gegenüber könnte man eher den Versuch der Enteignung
wagen. Diese Bedenken sind folgende. Es ist nicht zu erwarten, daß durch
die Enteignung die Grundstückspreise sinken werden. Ich glaube, sie werden
vielmehr steigen. Für die Entschädigung findet nämlich das Gesetz vom 11. Juni
1874 über die Enteignung von Grundeigentum Anwendung. Die Gerichte
haben, wenn der Enteignete nicht zufrieden ist, die Entschädigung festzusetzen.
Es ist der volle Wert zu ersetzen, nach der Praxis der Gerichte auch ein in
naher Zukunft erzielbarer Spekulationsgewinn. Der Zweck dieses Gesetzes ist,
den Enteigneten in die Lage zu setzen, alsbald wieder ein gleichartiges Grund¬
stück zu erwerben. Die Folge war und ist bei allen bisherigen Enteignungen,
daß stets sehr teuer, wohl nie billiger als freihändig gekauft ist. Darüber
klagen alle Eisenbahnunternehmungen, Stadtverwaltungen, Bergwerke 'und auf
ihrer letzten Tagung die Bodenreformer. Der enteignete Pole wäre daher an
sich in der Lage, jederzeit wieder einen Deutschen auszulaufen, denn noch sind
in Westpreußen 960000 Ka, in Posen rund 740000 im unbefestigter, frei ver-
äußerlicher deutscher Grundbesitz vorhanden. Ob der enteignete Pole sich stets


.................................................................................................................................................................................................................................................................».»»»»,......M

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320482"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ansiedliuigskonunission und die Enteignung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_218" prev="#ID_217"> wird die Enteignung als der allerletzte Notbehelf gekennzeichnet. Können in dem<lb/>
Bezirke (also nicht nur anschließend an vorhandene deutsche Niederlassungen)<lb/>
durch freihändigen Ankauf die deutschen Siedlungen verstärkt werden, so ist im<lb/>
allgemeinen die Enteignung ausgeschlossen; bieten also, mit anderen Worten zu<lb/>
reden, in dem Bezirke (-^ in der Nähe) Teutsche ihren Grundbesitz an, darf in<lb/>
der Regel ein Pole nicht enteignet werden, weil man vielleicht weniger Polen<lb/>
haben will oder zu hohe Preise von den Verkausslustigen verlangt werden.<lb/>
Früher soll es vorgekommen sein, daß ein Deutscher, dessen Gut allein zwischen<lb/>
Ansiedlungsdörfern lag, es an eine polnische Bank verkaufte und diese es an<lb/>
Polen anstellte. In solchen Fällen würde wohl die Enteignung eintreten können.<lb/>
Aber derartiges kommt nicht mehr vor, seit das Gesetz vom 10. August 1904<lb/>
den Aufbau neuer Gehöfte außerhalb geschlossener Ortschaften oder ihres Be¬<lb/>
bauungsplans stets, innerhalb der Ortschaften bei Gutsparzellierungen und ferner<lb/>
das Umbauen von Gebäuden zu Mohngebäuden unter gleichen Umständen ver¬<lb/>
hindert, wenn beides zum Nachteil der staatlichen Besiedlung gereicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_219"> Die etwa gesetzlich möglichen Fülle der Enteignung sind so selten und<lb/>
unbedeutend, daß sie für die Tätigkeit der Ansiedlungskonnmssion keine Rolle<lb/>
spielen. Im Jahre 1910 sind der Kommission zum Ankaufe 121201 Kg,<lb/>
also, selbst wenn man davon 26000 da, deren Ankauf früher abgelehnt war,<lb/>
abzieht, rund 25000 Jia noch mehr angeboten, als insgesamt enteignet<lb/>
werden dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_220"> Will man enteignen, müssen zunächst die Enteignungsbefugnisse erweitert<lb/>
werden in der Art, daß die Enteignung schon dann zulässig ist, wenn sie der<lb/>
Anstedlungskommission zur planmäßigen Fortführung der staatlichen deUschen<lb/>
Ansiedlung erforderlich erscheint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_221" next="#ID_222"> Die Bedenken tatsächlicher Natur, welche immer noch verbleiben, sind weniger<lb/>
schwerwiegend. Ihnen gegenüber könnte man eher den Versuch der Enteignung<lb/>
wagen. Diese Bedenken sind folgende. Es ist nicht zu erwarten, daß durch<lb/>
die Enteignung die Grundstückspreise sinken werden. Ich glaube, sie werden<lb/>
vielmehr steigen. Für die Entschädigung findet nämlich das Gesetz vom 11. Juni<lb/>
1874 über die Enteignung von Grundeigentum Anwendung. Die Gerichte<lb/>
haben, wenn der Enteignete nicht zufrieden ist, die Entschädigung festzusetzen.<lb/>
Es ist der volle Wert zu ersetzen, nach der Praxis der Gerichte auch ein in<lb/>
naher Zukunft erzielbarer Spekulationsgewinn. Der Zweck dieses Gesetzes ist,<lb/>
den Enteigneten in die Lage zu setzen, alsbald wieder ein gleichartiges Grund¬<lb/>
stück zu erwerben. Die Folge war und ist bei allen bisherigen Enteignungen,<lb/>
daß stets sehr teuer, wohl nie billiger als freihändig gekauft ist. Darüber<lb/>
klagen alle Eisenbahnunternehmungen, Stadtverwaltungen, Bergwerke 'und auf<lb/>
ihrer letzten Tagung die Bodenreformer. Der enteignete Pole wäre daher an<lb/>
sich in der Lage, jederzeit wieder einen Deutschen auszulaufen, denn noch sind<lb/>
in Westpreußen 960000 Ka, in Posen rund 740000 im unbefestigter, frei ver-<lb/>
äußerlicher deutscher Grundbesitz vorhanden. Ob der enteignete Pole sich stets</p><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> .................................................................................................................................................................................................................................................................».»»»»,......M</head><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0065] Die Ansiedliuigskonunission und die Enteignung wird die Enteignung als der allerletzte Notbehelf gekennzeichnet. Können in dem Bezirke (also nicht nur anschließend an vorhandene deutsche Niederlassungen) durch freihändigen Ankauf die deutschen Siedlungen verstärkt werden, so ist im allgemeinen die Enteignung ausgeschlossen; bieten also, mit anderen Worten zu reden, in dem Bezirke (-^ in der Nähe) Teutsche ihren Grundbesitz an, darf in der Regel ein Pole nicht enteignet werden, weil man vielleicht weniger Polen haben will oder zu hohe Preise von den Verkausslustigen verlangt werden. Früher soll es vorgekommen sein, daß ein Deutscher, dessen Gut allein zwischen Ansiedlungsdörfern lag, es an eine polnische Bank verkaufte und diese es an Polen anstellte. In solchen Fällen würde wohl die Enteignung eintreten können. Aber derartiges kommt nicht mehr vor, seit das Gesetz vom 10. August 1904 den Aufbau neuer Gehöfte außerhalb geschlossener Ortschaften oder ihres Be¬ bauungsplans stets, innerhalb der Ortschaften bei Gutsparzellierungen und ferner das Umbauen von Gebäuden zu Mohngebäuden unter gleichen Umständen ver¬ hindert, wenn beides zum Nachteil der staatlichen Besiedlung gereicht. Die etwa gesetzlich möglichen Fülle der Enteignung sind so selten und unbedeutend, daß sie für die Tätigkeit der Ansiedlungskonnmssion keine Rolle spielen. Im Jahre 1910 sind der Kommission zum Ankaufe 121201 Kg, also, selbst wenn man davon 26000 da, deren Ankauf früher abgelehnt war, abzieht, rund 25000 Jia noch mehr angeboten, als insgesamt enteignet werden dürfen. Will man enteignen, müssen zunächst die Enteignungsbefugnisse erweitert werden in der Art, daß die Enteignung schon dann zulässig ist, wenn sie der Anstedlungskommission zur planmäßigen Fortführung der staatlichen deUschen Ansiedlung erforderlich erscheint. Die Bedenken tatsächlicher Natur, welche immer noch verbleiben, sind weniger schwerwiegend. Ihnen gegenüber könnte man eher den Versuch der Enteignung wagen. Diese Bedenken sind folgende. Es ist nicht zu erwarten, daß durch die Enteignung die Grundstückspreise sinken werden. Ich glaube, sie werden vielmehr steigen. Für die Entschädigung findet nämlich das Gesetz vom 11. Juni 1874 über die Enteignung von Grundeigentum Anwendung. Die Gerichte haben, wenn der Enteignete nicht zufrieden ist, die Entschädigung festzusetzen. Es ist der volle Wert zu ersetzen, nach der Praxis der Gerichte auch ein in naher Zukunft erzielbarer Spekulationsgewinn. Der Zweck dieses Gesetzes ist, den Enteigneten in die Lage zu setzen, alsbald wieder ein gleichartiges Grund¬ stück zu erwerben. Die Folge war und ist bei allen bisherigen Enteignungen, daß stets sehr teuer, wohl nie billiger als freihändig gekauft ist. Darüber klagen alle Eisenbahnunternehmungen, Stadtverwaltungen, Bergwerke 'und auf ihrer letzten Tagung die Bodenreformer. Der enteignete Pole wäre daher an sich in der Lage, jederzeit wieder einen Deutschen auszulaufen, denn noch sind in Westpreußen 960000 Ka, in Posen rund 740000 im unbefestigter, frei ver- äußerlicher deutscher Grundbesitz vorhanden. Ob der enteignete Pole sich stets .................................................................................................................................................................................................................................................................».»»»»,......M

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/65
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/65>, abgerufen am 29.04.2024.