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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedlungskommission und die Enteignung

Gerichte auf anderweitige Festsetzung, also der Enteignete auf Erhöhung des
Preises klagen. Die Wertschätzung hat nach den Vorschriften des Gesetzes vom
11. Juni 1874 über die Enteignung von Grundeigentum zu erfolgen.

Wie kommt es nun, daß die Enteignung noch nicht angewendet ist?

Zunächst ist sie rechtlich an bestimmte eng umgrenzte Voraussetzungen geknüpft.
Es heißt wörtlich in Art. I § 13 des Gesetzes vom 20. März 1908:


"Dein Staate wird das Recht verliehen, in den Bezirken, in denen die
Sicherung des gefährdeten Deutschtums nicht anders als durch Stärkung und
Mrundung deutscher Niederlassungen mittels Ansiedlungen (§ 1) -- ZI des
Gesetzes vom 26. April 1836 ist ^gemeint -- möglich erscheint, die hierzu
erforderlichen Grundstücke in einer Gesamtfläche von nicht mehr als 70000 In
nötigenfalls im Wege der Enteignung zu erwerben."'

Die Enteignung kann demnach nicht unter denselben Umständen erfolgen
wie die Ansiedlung, deren Zweck, wie eingangs erwähnt ist, die Förderung des
deutschen Elements gegen polonisierende Bestrebungen ist. Die Enteignung ist
vielmehr der äußerste Notbehelf, nicht zur Fortführung der Ansiedlung, sondern
zur Sicherung des gefährdeten Deutschtums. Das Deutschtum ist aber nicht
gefährdet in reinpolnischen Bezirken oder in solchen Gegenden, wo das Deutschtum
im Fortschreiten begriffen ist. Die Enteignung muß in denselben Bezirken
erfolgen, wo die Gefährdung eingetreten ist. Man kann also nicht als Gegen¬
schlag gegen einen erlittenen Verlust eines deutschen Guts an einen Polen in
einem anderen Bezirk einen Polen enteignen. Vielleicht, d. h. bei Vorliegen der
übrigen Voraussetzungen, kann man den Polen enteignen, der ein deutsches Gut
gekauft hat. Aber man wird es aus Gründen der Zweckmäßigkeit nicht tun.
Regelmäßig bietet in Posen und Westpreußen ein Deutscher vor den: Verkaufe
sein Gut der Anstedlungskommission an, schon um alle Vorteile des W ettbewerbs
der Polen und Deutschen auszunutzen. Erst wenn sie nicht genug G eit zahlen
will oder das Gut als zur Besiedelung nicht geeignet zurückweist, überläßt er
es dem Polen. Ein solches Gut ist mithin entweder ungeeignet oder zu teuer,
denn in der Enteignung wird es nicht billiger. Vgl. unten.

Die Enteignung hat als weitere Voraussetzung, daß sie zur Stärkung und
Abrundung deutscher Niederlassungen mittels Ansiedlung (Z 1) geschieht. Die
Bezugnahme auf § 1 des Gesetzes vom 26. April 1886 bedeutet, daß nicht
enteignet werden darf, um das enteignete Gut ungeteilt an einen Deutschen als
Rentengut zu geben, sondern daß es zu Bauern- und Arbeiterstellen höchstens
mit Liegenlassen eines Restguts aufgeteilt werden muß. Das enteignete Grund¬
stück hat sich an bestehende deutsche Niederlassungen, worunter freilich nicht nur
die Ansiedlungen der Kommission, sondern auch alte deutsche Ortschaften zu ver¬
stehen sind, anzuschließen, denn sonst könnten nicht Niederlassungen verstärkt und
abgerundet werden.

Endlich sagt das Gesetz, die Sicherung darf nicht anders möglich sein, die
Enteignung nur nötigenfalls erfolgen. Durch diese Doppelung des Ausdrucks


Die Ansiedlungskommission und die Enteignung

Gerichte auf anderweitige Festsetzung, also der Enteignete auf Erhöhung des
Preises klagen. Die Wertschätzung hat nach den Vorschriften des Gesetzes vom
11. Juni 1874 über die Enteignung von Grundeigentum zu erfolgen.

Wie kommt es nun, daß die Enteignung noch nicht angewendet ist?

Zunächst ist sie rechtlich an bestimmte eng umgrenzte Voraussetzungen geknüpft.
Es heißt wörtlich in Art. I § 13 des Gesetzes vom 20. März 1908:


„Dein Staate wird das Recht verliehen, in den Bezirken, in denen die
Sicherung des gefährdeten Deutschtums nicht anders als durch Stärkung und
Mrundung deutscher Niederlassungen mittels Ansiedlungen (§ 1) — ZI des
Gesetzes vom 26. April 1836 ist ^gemeint — möglich erscheint, die hierzu
erforderlichen Grundstücke in einer Gesamtfläche von nicht mehr als 70000 In
nötigenfalls im Wege der Enteignung zu erwerben."'

Die Enteignung kann demnach nicht unter denselben Umständen erfolgen
wie die Ansiedlung, deren Zweck, wie eingangs erwähnt ist, die Förderung des
deutschen Elements gegen polonisierende Bestrebungen ist. Die Enteignung ist
vielmehr der äußerste Notbehelf, nicht zur Fortführung der Ansiedlung, sondern
zur Sicherung des gefährdeten Deutschtums. Das Deutschtum ist aber nicht
gefährdet in reinpolnischen Bezirken oder in solchen Gegenden, wo das Deutschtum
im Fortschreiten begriffen ist. Die Enteignung muß in denselben Bezirken
erfolgen, wo die Gefährdung eingetreten ist. Man kann also nicht als Gegen¬
schlag gegen einen erlittenen Verlust eines deutschen Guts an einen Polen in
einem anderen Bezirk einen Polen enteignen. Vielleicht, d. h. bei Vorliegen der
übrigen Voraussetzungen, kann man den Polen enteignen, der ein deutsches Gut
gekauft hat. Aber man wird es aus Gründen der Zweckmäßigkeit nicht tun.
Regelmäßig bietet in Posen und Westpreußen ein Deutscher vor den: Verkaufe
sein Gut der Anstedlungskommission an, schon um alle Vorteile des W ettbewerbs
der Polen und Deutschen auszunutzen. Erst wenn sie nicht genug G eit zahlen
will oder das Gut als zur Besiedelung nicht geeignet zurückweist, überläßt er
es dem Polen. Ein solches Gut ist mithin entweder ungeeignet oder zu teuer,
denn in der Enteignung wird es nicht billiger. Vgl. unten.

Die Enteignung hat als weitere Voraussetzung, daß sie zur Stärkung und
Abrundung deutscher Niederlassungen mittels Ansiedlung (Z 1) geschieht. Die
Bezugnahme auf § 1 des Gesetzes vom 26. April 1886 bedeutet, daß nicht
enteignet werden darf, um das enteignete Gut ungeteilt an einen Deutschen als
Rentengut zu geben, sondern daß es zu Bauern- und Arbeiterstellen höchstens
mit Liegenlassen eines Restguts aufgeteilt werden muß. Das enteignete Grund¬
stück hat sich an bestehende deutsche Niederlassungen, worunter freilich nicht nur
die Ansiedlungen der Kommission, sondern auch alte deutsche Ortschaften zu ver¬
stehen sind, anzuschließen, denn sonst könnten nicht Niederlassungen verstärkt und
abgerundet werden.

Endlich sagt das Gesetz, die Sicherung darf nicht anders möglich sein, die
Enteignung nur nötigenfalls erfolgen. Durch diese Doppelung des Ausdrucks


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[0064] Die Ansiedlungskommission und die Enteignung Gerichte auf anderweitige Festsetzung, also der Enteignete auf Erhöhung des Preises klagen. Die Wertschätzung hat nach den Vorschriften des Gesetzes vom 11. Juni 1874 über die Enteignung von Grundeigentum zu erfolgen. Wie kommt es nun, daß die Enteignung noch nicht angewendet ist? Zunächst ist sie rechtlich an bestimmte eng umgrenzte Voraussetzungen geknüpft. Es heißt wörtlich in Art. I § 13 des Gesetzes vom 20. März 1908: „Dein Staate wird das Recht verliehen, in den Bezirken, in denen die Sicherung des gefährdeten Deutschtums nicht anders als durch Stärkung und Mrundung deutscher Niederlassungen mittels Ansiedlungen (§ 1) — ZI des Gesetzes vom 26. April 1836 ist ^gemeint — möglich erscheint, die hierzu erforderlichen Grundstücke in einer Gesamtfläche von nicht mehr als 70000 In nötigenfalls im Wege der Enteignung zu erwerben."' Die Enteignung kann demnach nicht unter denselben Umständen erfolgen wie die Ansiedlung, deren Zweck, wie eingangs erwähnt ist, die Förderung des deutschen Elements gegen polonisierende Bestrebungen ist. Die Enteignung ist vielmehr der äußerste Notbehelf, nicht zur Fortführung der Ansiedlung, sondern zur Sicherung des gefährdeten Deutschtums. Das Deutschtum ist aber nicht gefährdet in reinpolnischen Bezirken oder in solchen Gegenden, wo das Deutschtum im Fortschreiten begriffen ist. Die Enteignung muß in denselben Bezirken erfolgen, wo die Gefährdung eingetreten ist. Man kann also nicht als Gegen¬ schlag gegen einen erlittenen Verlust eines deutschen Guts an einen Polen in einem anderen Bezirk einen Polen enteignen. Vielleicht, d. h. bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen, kann man den Polen enteignen, der ein deutsches Gut gekauft hat. Aber man wird es aus Gründen der Zweckmäßigkeit nicht tun. Regelmäßig bietet in Posen und Westpreußen ein Deutscher vor den: Verkaufe sein Gut der Anstedlungskommission an, schon um alle Vorteile des W ettbewerbs der Polen und Deutschen auszunutzen. Erst wenn sie nicht genug G eit zahlen will oder das Gut als zur Besiedelung nicht geeignet zurückweist, überläßt er es dem Polen. Ein solches Gut ist mithin entweder ungeeignet oder zu teuer, denn in der Enteignung wird es nicht billiger. Vgl. unten. Die Enteignung hat als weitere Voraussetzung, daß sie zur Stärkung und Abrundung deutscher Niederlassungen mittels Ansiedlung (Z 1) geschieht. Die Bezugnahme auf § 1 des Gesetzes vom 26. April 1886 bedeutet, daß nicht enteignet werden darf, um das enteignete Gut ungeteilt an einen Deutschen als Rentengut zu geben, sondern daß es zu Bauern- und Arbeiterstellen höchstens mit Liegenlassen eines Restguts aufgeteilt werden muß. Das enteignete Grund¬ stück hat sich an bestehende deutsche Niederlassungen, worunter freilich nicht nur die Ansiedlungen der Kommission, sondern auch alte deutsche Ortschaften zu ver¬ stehen sind, anzuschließen, denn sonst könnten nicht Niederlassungen verstärkt und abgerundet werden. Endlich sagt das Gesetz, die Sicherung darf nicht anders möglich sein, die Enteignung nur nötigenfalls erfolgen. Durch diese Doppelung des Ausdrucks

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/64>, abgerufen am 15.05.2024.