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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspii?gel

Situation so verstärken, bis Albion sich gefügiger zeigt. Es wäre kein Glück
für uns, sollten die Verhandlungen mit England forciert werden, etwa,
wie es im vergangenen Jahre mit Frankreich geschehen. Die heutige Lage ist
auch viel zu verschieden von der vorjährigen. 1911 war die Gefahr akut ge¬
worden, daß Frankreich uns in einer ganz bestimmten zur Reife drängenden
Angelegenheit zur Seite schob. Gegenwärtig handelt es sich um die Revision
der deutsch-englischen Beziehungen in ihrer Gesamtheit, ohne daß selbst in den
Bagdadbahnverhandlungen eine Frage lebendig geworden wäre, die sofortiges
Verhandeln benötigte, -- wenigstens nicht für Deutschland. Daß der Kaiser
die internationale Lage ebenso ansieht wie sein Staatssekretär des Auswärtigen
Amts, geht wohl am besten aus der Tatsache hervor, daß er die wegen des
Kohlengrubenstreiks um einige Tage verzögerte Reise nach Korfu nunmehr
G, Li. angetreten hat.


Die Heeresvorlage

Das Bedürfnis einer Neuorganisation, am stärksten fühlbar bei der Infanterie --
Malwerk oder Ansatz zu einem Neubau?-- Vorschläge -- Dreiteilung -- Verbesserung
deS Oberbauch des Offizierkorps der Infanterie

Als vor Jahresfrist die Festlegung der Friedenspräsenzstärke auf ein weiteres
Ouinquennium erfolgte, bedauerte man in militärischen Kreisen allgemein, daß
diese Gelegenheit nicht benutzt worden war, um für den weiteren Ausbau unseres
Heerwesens in organisatorischer Hinsicht bestimmte Richtlinien zu ziehen, daß
vielmehr nur den äußersten Bedürfnissen Rechnung getragen und selbst die Füllung
der bemerkenswertesten Lücken im wesentlichen ans die zweite Hälfte des fünf¬
jährigen Zeitraums verschoben wurde. Inzwischen ergab sich die Notwendigkeit,
die Kriegsbereitschaft des Heeres zu erhöhen. Der Reichskanzler hat die ihm
erforderlich scheinenden Vorschläge dem Bundesrat vorgelegt, von dessen Beschlüssen
die endgültige Gestalt der Entwürfe abhängt, die der Reichstag zum Gegenstande
seiner Beratungen zu machen haben wird. In welchem Rahmen sich die Heeres¬
vorlage bewegt, läßt sich aus der auszugsweisen Veröffentlichung der Nordd.
Allgemeinen Zeitung vom 23. d. Mes. zwar bereits allgemein überblicken, aber
doch noch nicht hinreichend, um ein abschließendes Urteil darüber abgeben zu
können, ob auch diesmal nur ein den augenblicklichen Bedürfnissen genügendes
Flickwerk geschaffen werden soll, oder ob die Heeresverwaltung die 1911 ver¬
säumte Gelegenheit jetzt wahrnehmen und eine umfassende Neuorganisation nach
großzügigem Plane in die Wege leiten will. Das Bedürfnis einer solchen
Neuorganisation ist zweifellos vorhanden. Am stärksten ist es in bezug auf die
Infanterie fühlbar. Einerseits handelt es sich dabei um eine solche Friedens-
glicderung dieser Hauptmasse der Armee, daß der möglichst rasche und reibungs¬
lose Übergang zur Kriegsgliederung gewährleistet ist. Anderseits erfordern die
Zustände im Offizierkorps der Infanterie (vgl. Neue Militärische Blätter --
Jnfanteristische Halbmonatshefte -- 1912, Ur. 1 und 2) durchgreifende Maß-


Grenzboten I 1912 82
Reichsspii?gel

Situation so verstärken, bis Albion sich gefügiger zeigt. Es wäre kein Glück
für uns, sollten die Verhandlungen mit England forciert werden, etwa,
wie es im vergangenen Jahre mit Frankreich geschehen. Die heutige Lage ist
auch viel zu verschieden von der vorjährigen. 1911 war die Gefahr akut ge¬
worden, daß Frankreich uns in einer ganz bestimmten zur Reife drängenden
Angelegenheit zur Seite schob. Gegenwärtig handelt es sich um die Revision
der deutsch-englischen Beziehungen in ihrer Gesamtheit, ohne daß selbst in den
Bagdadbahnverhandlungen eine Frage lebendig geworden wäre, die sofortiges
Verhandeln benötigte, — wenigstens nicht für Deutschland. Daß der Kaiser
die internationale Lage ebenso ansieht wie sein Staatssekretär des Auswärtigen
Amts, geht wohl am besten aus der Tatsache hervor, daß er die wegen des
Kohlengrubenstreiks um einige Tage verzögerte Reise nach Korfu nunmehr
G, Li. angetreten hat.


Die Heeresvorlage

Das Bedürfnis einer Neuorganisation, am stärksten fühlbar bei der Infanterie —
Malwerk oder Ansatz zu einem Neubau?— Vorschläge — Dreiteilung — Verbesserung
deS Oberbauch des Offizierkorps der Infanterie

Als vor Jahresfrist die Festlegung der Friedenspräsenzstärke auf ein weiteres
Ouinquennium erfolgte, bedauerte man in militärischen Kreisen allgemein, daß
diese Gelegenheit nicht benutzt worden war, um für den weiteren Ausbau unseres
Heerwesens in organisatorischer Hinsicht bestimmte Richtlinien zu ziehen, daß
vielmehr nur den äußersten Bedürfnissen Rechnung getragen und selbst die Füllung
der bemerkenswertesten Lücken im wesentlichen ans die zweite Hälfte des fünf¬
jährigen Zeitraums verschoben wurde. Inzwischen ergab sich die Notwendigkeit,
die Kriegsbereitschaft des Heeres zu erhöhen. Der Reichskanzler hat die ihm
erforderlich scheinenden Vorschläge dem Bundesrat vorgelegt, von dessen Beschlüssen
die endgültige Gestalt der Entwürfe abhängt, die der Reichstag zum Gegenstande
seiner Beratungen zu machen haben wird. In welchem Rahmen sich die Heeres¬
vorlage bewegt, läßt sich aus der auszugsweisen Veröffentlichung der Nordd.
Allgemeinen Zeitung vom 23. d. Mes. zwar bereits allgemein überblicken, aber
doch noch nicht hinreichend, um ein abschließendes Urteil darüber abgeben zu
können, ob auch diesmal nur ein den augenblicklichen Bedürfnissen genügendes
Flickwerk geschaffen werden soll, oder ob die Heeresverwaltung die 1911 ver¬
säumte Gelegenheit jetzt wahrnehmen und eine umfassende Neuorganisation nach
großzügigem Plane in die Wege leiten will. Das Bedürfnis einer solchen
Neuorganisation ist zweifellos vorhanden. Am stärksten ist es in bezug auf die
Infanterie fühlbar. Einerseits handelt es sich dabei um eine solche Friedens-
glicderung dieser Hauptmasse der Armee, daß der möglichst rasche und reibungs¬
lose Übergang zur Kriegsgliederung gewährleistet ist. Anderseits erfordern die
Zustände im Offizierkorps der Infanterie (vgl. Neue Militärische Blätter —
Jnfanteristische Halbmonatshefte — 1912, Ur. 1 und 2) durchgreifende Maß-


Grenzboten I 1912 82
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[0653] Reichsspii?gel Situation so verstärken, bis Albion sich gefügiger zeigt. Es wäre kein Glück für uns, sollten die Verhandlungen mit England forciert werden, etwa, wie es im vergangenen Jahre mit Frankreich geschehen. Die heutige Lage ist auch viel zu verschieden von der vorjährigen. 1911 war die Gefahr akut ge¬ worden, daß Frankreich uns in einer ganz bestimmten zur Reife drängenden Angelegenheit zur Seite schob. Gegenwärtig handelt es sich um die Revision der deutsch-englischen Beziehungen in ihrer Gesamtheit, ohne daß selbst in den Bagdadbahnverhandlungen eine Frage lebendig geworden wäre, die sofortiges Verhandeln benötigte, — wenigstens nicht für Deutschland. Daß der Kaiser die internationale Lage ebenso ansieht wie sein Staatssekretär des Auswärtigen Amts, geht wohl am besten aus der Tatsache hervor, daß er die wegen des Kohlengrubenstreiks um einige Tage verzögerte Reise nach Korfu nunmehr G, Li. angetreten hat. Die Heeresvorlage Das Bedürfnis einer Neuorganisation, am stärksten fühlbar bei der Infanterie — Malwerk oder Ansatz zu einem Neubau?— Vorschläge — Dreiteilung — Verbesserung deS Oberbauch des Offizierkorps der Infanterie Als vor Jahresfrist die Festlegung der Friedenspräsenzstärke auf ein weiteres Ouinquennium erfolgte, bedauerte man in militärischen Kreisen allgemein, daß diese Gelegenheit nicht benutzt worden war, um für den weiteren Ausbau unseres Heerwesens in organisatorischer Hinsicht bestimmte Richtlinien zu ziehen, daß vielmehr nur den äußersten Bedürfnissen Rechnung getragen und selbst die Füllung der bemerkenswertesten Lücken im wesentlichen ans die zweite Hälfte des fünf¬ jährigen Zeitraums verschoben wurde. Inzwischen ergab sich die Notwendigkeit, die Kriegsbereitschaft des Heeres zu erhöhen. Der Reichskanzler hat die ihm erforderlich scheinenden Vorschläge dem Bundesrat vorgelegt, von dessen Beschlüssen die endgültige Gestalt der Entwürfe abhängt, die der Reichstag zum Gegenstande seiner Beratungen zu machen haben wird. In welchem Rahmen sich die Heeres¬ vorlage bewegt, läßt sich aus der auszugsweisen Veröffentlichung der Nordd. Allgemeinen Zeitung vom 23. d. Mes. zwar bereits allgemein überblicken, aber doch noch nicht hinreichend, um ein abschließendes Urteil darüber abgeben zu können, ob auch diesmal nur ein den augenblicklichen Bedürfnissen genügendes Flickwerk geschaffen werden soll, oder ob die Heeresverwaltung die 1911 ver¬ säumte Gelegenheit jetzt wahrnehmen und eine umfassende Neuorganisation nach großzügigem Plane in die Wege leiten will. Das Bedürfnis einer solchen Neuorganisation ist zweifellos vorhanden. Am stärksten ist es in bezug auf die Infanterie fühlbar. Einerseits handelt es sich dabei um eine solche Friedens- glicderung dieser Hauptmasse der Armee, daß der möglichst rasche und reibungs¬ lose Übergang zur Kriegsgliederung gewährleistet ist. Anderseits erfordern die Zustände im Offizierkorps der Infanterie (vgl. Neue Militärische Blätter — Jnfanteristische Halbmonatshefte — 1912, Ur. 1 und 2) durchgreifende Maß- Grenzboten I 1912 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/653>, abgerufen am 29.04.2024.