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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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sind nicht nur als Großkapitalisten, sondern in erster Linie als praktisch
arbeitende Chefs von taufenden Untergebenen stärker auf das Autoritäts¬
prinzip hingewiesen als ihre liberalen Voreltern. Man braucht sich
nur der Verhandlungen zu erinnern, die dem letzten Kohlengräber-
streik vorausgingen, um zu erkennen, wie sehr der Autoritätsgedanke alle liberalen
Erwägungen schon hat in den Hintergrund treten lassen. Die Zahl dieser
konservativ gerichteten Liberalen, wie ich sie nennen möchte, hält nun durchaus
nicht mit der Zunahme der Bevölkerung Schritt. Die Statistiker zeigen viel¬
mehr, daß sowohl die Zentralisierung des Kapitals, wie die Verringerung der
Kinderzahl in den reichgewordcnen Familien ein langsames Absterben dieser
Kreise verursacht, während die gebildete Mittelschicht in abhängigen Stellungen
außerordentlich stark zunimmt. In diesen gebildeten Mittelschichten hat der
Liberalismus in seiner besten und für die Gesamtheit der Nation glücklichsten
Zusammenfassung eine Helmstädt gefunden trotz der lebhaften und unermüdlichen
Versuche der Demokratie, sich dieser Kreise zu bemächtigen. Dieser Entwicklung
wollen die Herren aus der preußischen Landtagsfraktion der nationalliberalen
Partei keine Rechnung tragen, weil sie darin lediglich einen Zug uach links
erkennen.

Tatsächlich geht der Zug nicht nach links, wohl aber siud in vierzigjähriger
glücklicher Entwicklung Millionen Menschen vollständig neu herangereift und es
haben sich innerhalb der Berufsstände solche Verschiebungen eingestellt, die
Bennigsen bei der Gründung der nationallibcralen Partei ebensowenig voraus¬
sehen und berücksichtigen konnte, wie Bismarck, als er die Verfassung des
Deutschen Reiches schuf.




Die Vorarbeiten für Flotten- und Heeresvorlagen mit ihren unvermeid¬
lichen Friktionen zwischen den technischen und den politischen Behörden haben
diesmal besonders zahlreiche Veranlassung zu allerhand Kombinationen über
Ministerwechsel und Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten Ressorts gegeben.
Wenn es nach der Tagespresse ginge, so müßte eigentlich nur Großadmiral
Tirpitz an seinem Platze geblieben sein, während Reichskanzler, Außenminister
und Reichssäckelmeistcr das Feld geräumt hätten. Nun, Herr von Bethmann
sitzt fest, und wäre es wirklich nur aus dein oben angegebenen Grunde. Herr
von Kiderlen fände schon' eher einen Nachfolger, da es unter den ältern
Diplomaten eine recht hübsche erste Garnitur gibt. Aber für seinen Abgang
besteht so lange kein sichtbarer Grund, als seine Tätigkeit die gleichen Ziele
verfolgt und nicht ohne Ergebnis verfolgt, die der Kaiser im Ange hat. Das
aber ist zurzeit der Fall, wenn auch die Verhandlungen mit England erhebliche
Schwierigkeiten bereiten. England fühlt sich Deutschland gegenüber noch zu
stark, um in Konzessionen zu willigen, die es einstweilen noch als ein "Zuviel"
empfindet. Also gilt es für die deutschen Diplomaten: abwarten und die


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sind nicht nur als Großkapitalisten, sondern in erster Linie als praktisch
arbeitende Chefs von taufenden Untergebenen stärker auf das Autoritäts¬
prinzip hingewiesen als ihre liberalen Voreltern. Man braucht sich
nur der Verhandlungen zu erinnern, die dem letzten Kohlengräber-
streik vorausgingen, um zu erkennen, wie sehr der Autoritätsgedanke alle liberalen
Erwägungen schon hat in den Hintergrund treten lassen. Die Zahl dieser
konservativ gerichteten Liberalen, wie ich sie nennen möchte, hält nun durchaus
nicht mit der Zunahme der Bevölkerung Schritt. Die Statistiker zeigen viel¬
mehr, daß sowohl die Zentralisierung des Kapitals, wie die Verringerung der
Kinderzahl in den reichgewordcnen Familien ein langsames Absterben dieser
Kreise verursacht, während die gebildete Mittelschicht in abhängigen Stellungen
außerordentlich stark zunimmt. In diesen gebildeten Mittelschichten hat der
Liberalismus in seiner besten und für die Gesamtheit der Nation glücklichsten
Zusammenfassung eine Helmstädt gefunden trotz der lebhaften und unermüdlichen
Versuche der Demokratie, sich dieser Kreise zu bemächtigen. Dieser Entwicklung
wollen die Herren aus der preußischen Landtagsfraktion der nationalliberalen
Partei keine Rechnung tragen, weil sie darin lediglich einen Zug uach links
erkennen.

Tatsächlich geht der Zug nicht nach links, wohl aber siud in vierzigjähriger
glücklicher Entwicklung Millionen Menschen vollständig neu herangereift und es
haben sich innerhalb der Berufsstände solche Verschiebungen eingestellt, die
Bennigsen bei der Gründung der nationallibcralen Partei ebensowenig voraus¬
sehen und berücksichtigen konnte, wie Bismarck, als er die Verfassung des
Deutschen Reiches schuf.




Die Vorarbeiten für Flotten- und Heeresvorlagen mit ihren unvermeid¬
lichen Friktionen zwischen den technischen und den politischen Behörden haben
diesmal besonders zahlreiche Veranlassung zu allerhand Kombinationen über
Ministerwechsel und Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten Ressorts gegeben.
Wenn es nach der Tagespresse ginge, so müßte eigentlich nur Großadmiral
Tirpitz an seinem Platze geblieben sein, während Reichskanzler, Außenminister
und Reichssäckelmeistcr das Feld geräumt hätten. Nun, Herr von Bethmann
sitzt fest, und wäre es wirklich nur aus dein oben angegebenen Grunde. Herr
von Kiderlen fände schon' eher einen Nachfolger, da es unter den ältern
Diplomaten eine recht hübsche erste Garnitur gibt. Aber für seinen Abgang
besteht so lange kein sichtbarer Grund, als seine Tätigkeit die gleichen Ziele
verfolgt und nicht ohne Ergebnis verfolgt, die der Kaiser im Ange hat. Das
aber ist zurzeit der Fall, wenn auch die Verhandlungen mit England erhebliche
Schwierigkeiten bereiten. England fühlt sich Deutschland gegenüber noch zu
stark, um in Konzessionen zu willigen, die es einstweilen noch als ein „Zuviel"
empfindet. Also gilt es für die deutschen Diplomaten: abwarten und die


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[0652] Rcichsspicgcl sind nicht nur als Großkapitalisten, sondern in erster Linie als praktisch arbeitende Chefs von taufenden Untergebenen stärker auf das Autoritäts¬ prinzip hingewiesen als ihre liberalen Voreltern. Man braucht sich nur der Verhandlungen zu erinnern, die dem letzten Kohlengräber- streik vorausgingen, um zu erkennen, wie sehr der Autoritätsgedanke alle liberalen Erwägungen schon hat in den Hintergrund treten lassen. Die Zahl dieser konservativ gerichteten Liberalen, wie ich sie nennen möchte, hält nun durchaus nicht mit der Zunahme der Bevölkerung Schritt. Die Statistiker zeigen viel¬ mehr, daß sowohl die Zentralisierung des Kapitals, wie die Verringerung der Kinderzahl in den reichgewordcnen Familien ein langsames Absterben dieser Kreise verursacht, während die gebildete Mittelschicht in abhängigen Stellungen außerordentlich stark zunimmt. In diesen gebildeten Mittelschichten hat der Liberalismus in seiner besten und für die Gesamtheit der Nation glücklichsten Zusammenfassung eine Helmstädt gefunden trotz der lebhaften und unermüdlichen Versuche der Demokratie, sich dieser Kreise zu bemächtigen. Dieser Entwicklung wollen die Herren aus der preußischen Landtagsfraktion der nationalliberalen Partei keine Rechnung tragen, weil sie darin lediglich einen Zug uach links erkennen. Tatsächlich geht der Zug nicht nach links, wohl aber siud in vierzigjähriger glücklicher Entwicklung Millionen Menschen vollständig neu herangereift und es haben sich innerhalb der Berufsstände solche Verschiebungen eingestellt, die Bennigsen bei der Gründung der nationallibcralen Partei ebensowenig voraus¬ sehen und berücksichtigen konnte, wie Bismarck, als er die Verfassung des Deutschen Reiches schuf. Die Vorarbeiten für Flotten- und Heeresvorlagen mit ihren unvermeid¬ lichen Friktionen zwischen den technischen und den politischen Behörden haben diesmal besonders zahlreiche Veranlassung zu allerhand Kombinationen über Ministerwechsel und Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten Ressorts gegeben. Wenn es nach der Tagespresse ginge, so müßte eigentlich nur Großadmiral Tirpitz an seinem Platze geblieben sein, während Reichskanzler, Außenminister und Reichssäckelmeistcr das Feld geräumt hätten. Nun, Herr von Bethmann sitzt fest, und wäre es wirklich nur aus dein oben angegebenen Grunde. Herr von Kiderlen fände schon' eher einen Nachfolger, da es unter den ältern Diplomaten eine recht hübsche erste Garnitur gibt. Aber für seinen Abgang besteht so lange kein sichtbarer Grund, als seine Tätigkeit die gleichen Ziele verfolgt und nicht ohne Ergebnis verfolgt, die der Kaiser im Ange hat. Das aber ist zurzeit der Fall, wenn auch die Verhandlungen mit England erhebliche Schwierigkeiten bereiten. England fühlt sich Deutschland gegenüber noch zu stark, um in Konzessionen zu willigen, die es einstweilen noch als ein „Zuviel" empfindet. Also gilt es für die deutschen Diplomaten: abwarten und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/652>, abgerufen am 15.05.2024.