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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegcl

12 umzustellen sind, überdies würde die Friedensausbildung durch diese Ma߬
nahme erleichtert, und es ergäbe sich außerdem eine günstige Gelegenheit zu
praktischer Erprobung der dreiteiliger Bataillone. Auch General v. Bernhard:
spricht sich in seiner neuesten Schrift ("Deutschland und der nächste Krieg")
zugunsten der Dreiteilung aus. Für die Infanterie ergäben die 32 neuen
Bataillone zudem eine allerdings nur geringe und nur vorübergehende Besserung
der Beförderungsaussichten. Günstiger ist in bezug auf diese die Schaffung
von Landwehrinspektionen zu werten, die anscheinend für sämtliche Armeekorps
in Aussicht genommen sind. Sie sollen im Frieden die Brigadekommandeure
in den Geschäften des Ersatz- und Kontrollwesens entlasten und im Kriege das
Kommando von Neuformationen übernehmen.

Bisher war im wesentlichen von der Infanterie die Rede. Nicht minder
bedeutsam als für sie ist aber auch für die anderen Waffen eine systematische
Neuregelung der Organisation, zumal unter dem Gesichtspunkte einer Besser¬
stellung der Offiziere in ihren Berufsaussichten. In der nächsten Nummer wird
hierauf wie auf die weitgehenden Forderungen des Wehrvereins usw kritisch
Hauptmnnn Dr. Fritz Roeder eingegangen werden.


(Lhurchills Flottenreds

Winston Churchill, der Erste Lord der britischen Admiralität, hat am
18. März zum englischen Flottenetat im Unterhause eine Rede gehalten, die
von der gesamten Presse diesseit und jenseit des Kanals in lebhaftester Weise
kommentiert worden ist. Von den einen freudig begrüßt, da sie die Hand
biete zu dauernder Verständigung, wird die Etatsrede von den andern in heftigster
Weise angegriffen, da der englische Lord in bisher nicht dagewesener und
kränkender Form einer großen Nation offen den Fehdehandschuh hingeworfen.

Gar mancher wünscht und wähnt über seinem Arbeitstisch das Wort sine
et stuclic" geschrieben und merkt nicht, daß er es, wie Tacitus selbst, im
Kampf um die Tagesfragen, bei der schnelle Widerede heischenden Programm¬
reden führender Männer oder auf den Zinnen seiner Partei längst vergaß.
"Line ira et 3tuctio" oder zu Deutsch: "vornehm, ruhig und sachlich" -- wer
kämpft heilte noch so? Wer eine Brille trägt, muß durch die dauernde Ge¬
wöhnung zu immer schärferen Gläsern greifen. Wer jahrelang die Parteibrille
nicht vom Auge genommen, verliert Maßstab und Möglichkeit, Menschen und
Dinge zu sehen, wie sie sind. Solch ein Mensch wird süßlich, wo es zu
lieben gilt, wird gehässig, wo er hassen sollte.

Wir wollen den Gegner, der sich offen als solcher bekennt, weder um¬
schmeicheln, daß er uns gefügig werde, noch ihn schmähen, daß er die Hand
nur um so fester um den Schwertgriff legt. Macht er Vorschläge, so wollen
wir sie in Ruhe prüfen. Wir wollen den andern achten, solange er achtens¬
wert; und Winston Churchill bleibt auch nach seiner Rede achtenswert.


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12 umzustellen sind, überdies würde die Friedensausbildung durch diese Ma߬
nahme erleichtert, und es ergäbe sich außerdem eine günstige Gelegenheit zu
praktischer Erprobung der dreiteiliger Bataillone. Auch General v. Bernhard:
spricht sich in seiner neuesten Schrift („Deutschland und der nächste Krieg")
zugunsten der Dreiteilung aus. Für die Infanterie ergäben die 32 neuen
Bataillone zudem eine allerdings nur geringe und nur vorübergehende Besserung
der Beförderungsaussichten. Günstiger ist in bezug auf diese die Schaffung
von Landwehrinspektionen zu werten, die anscheinend für sämtliche Armeekorps
in Aussicht genommen sind. Sie sollen im Frieden die Brigadekommandeure
in den Geschäften des Ersatz- und Kontrollwesens entlasten und im Kriege das
Kommando von Neuformationen übernehmen.

Bisher war im wesentlichen von der Infanterie die Rede. Nicht minder
bedeutsam als für sie ist aber auch für die anderen Waffen eine systematische
Neuregelung der Organisation, zumal unter dem Gesichtspunkte einer Besser¬
stellung der Offiziere in ihren Berufsaussichten. In der nächsten Nummer wird
hierauf wie auf die weitgehenden Forderungen des Wehrvereins usw kritisch
Hauptmnnn Dr. Fritz Roeder eingegangen werden.


(Lhurchills Flottenreds

Winston Churchill, der Erste Lord der britischen Admiralität, hat am
18. März zum englischen Flottenetat im Unterhause eine Rede gehalten, die
von der gesamten Presse diesseit und jenseit des Kanals in lebhaftester Weise
kommentiert worden ist. Von den einen freudig begrüßt, da sie die Hand
biete zu dauernder Verständigung, wird die Etatsrede von den andern in heftigster
Weise angegriffen, da der englische Lord in bisher nicht dagewesener und
kränkender Form einer großen Nation offen den Fehdehandschuh hingeworfen.

Gar mancher wünscht und wähnt über seinem Arbeitstisch das Wort sine
et stuclic» geschrieben und merkt nicht, daß er es, wie Tacitus selbst, im
Kampf um die Tagesfragen, bei der schnelle Widerede heischenden Programm¬
reden führender Männer oder auf den Zinnen seiner Partei längst vergaß.
„Line ira et 3tuctio" oder zu Deutsch: „vornehm, ruhig und sachlich" — wer
kämpft heilte noch so? Wer eine Brille trägt, muß durch die dauernde Ge¬
wöhnung zu immer schärferen Gläsern greifen. Wer jahrelang die Parteibrille
nicht vom Auge genommen, verliert Maßstab und Möglichkeit, Menschen und
Dinge zu sehen, wie sie sind. Solch ein Mensch wird süßlich, wo es zu
lieben gilt, wird gehässig, wo er hassen sollte.

Wir wollen den Gegner, der sich offen als solcher bekennt, weder um¬
schmeicheln, daß er uns gefügig werde, noch ihn schmähen, daß er die Hand
nur um so fester um den Schwertgriff legt. Macht er Vorschläge, so wollen
wir sie in Ruhe prüfen. Wir wollen den andern achten, solange er achtens¬
wert; und Winston Churchill bleibt auch nach seiner Rede achtenswert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/655>, abgerufen am 29.04.2024.