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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Bühnenplastik und Vühnenraum
von v7. W. !varstat

an behauptet von der dramatischen Kunst gemeinhin, daß sie auf
Plastik hinarbeite. Das ist natürlich richtig! Die Bühne erst
stellt uns das dramatische Werk, die Dichtung und ihre Gestalten,
rund und voll in den Raum, sie stellt sie uns dreidimensional dar.
Welcher Art diese Plastik ist und in welchen: Verhältnis sie
zum Bühneuraume selber steht, das hat uns aber erst die jüngste Geschichte des
Theaters in. Deutschland, das haben uns die verschiedenen Gestaltungen gelehrt,
die man unserer modernen Bühne gegeben hat, zum Teil mit der ausgesprochenen
Absicht, sie zu reformieren. Erst jetzt, wo uns die Möglichkeit gegeben ist, das
Verhältnis von Bühnenplastik und Bühnenraum auf der Bühne der Mcininger
mit der Gestaltung des gleichen Problemes auf der Bühne des Deutschen Theaters
unter Brahms einerseits und unter Reinhardts Leitung anderseits zu vergleichen,
wo dieses Problem im Münchener Künstlerlheater gewissermaßen in abstrakter
und paradigmatischer Form behandelt ist, und wo uus schließlich Reinhardts
Zirkusaufführungen neue und doch vielleicht uralte Gestaltungen dieses Problems
nahe gebracht haben, erst jetzt vermögen wir die ganze Tragweite des Problems
für die weitere Entwicklung und die Reform unseres Theaters zu überschauen
und richtig einzuschätzen.

Alle modernen Bühnengestaltungen - ausgenommen sind die Versuche
Reinhardts, den Zirkus zur Bühne zu machen -- sind nur Weiter- und Um¬
bildungen der alten, primitiven Kulissenbühne und stehen daher zunächst mit
unter dein allgemeinen dekorativen Gesetz, das diese beherrscht. Denn der
Bühnenraum des modernen Theaters ist stets so angeordnet, daß nur mit seiner
Betrachtung von vorne, von einer einzigen Seite her, gerechnet zu werden braucht.
Das grundlegende dekorative Gesetz, das sich aus dieser Auordnung des Bühnen¬
raumes ergibt, ist dies, daß seine Ausgestaltung ganz und gar auf diese eine
Ansicht, auf die Ansicht von vorne her, erfolgen muß.

Dieser dekorativen Grundforderung suchte die alte, primitive Kulissenbühne
mit den einfachsten Mitteln gerecht zu werdeu, indem sie sich mit der
Hintereinandcrordnung von Kulissen und auf diesen mit rein flächenhaften und




Bühnenplastik und Vühnenraum
von v7. W. !varstat

an behauptet von der dramatischen Kunst gemeinhin, daß sie auf
Plastik hinarbeite. Das ist natürlich richtig! Die Bühne erst
stellt uns das dramatische Werk, die Dichtung und ihre Gestalten,
rund und voll in den Raum, sie stellt sie uns dreidimensional dar.
Welcher Art diese Plastik ist und in welchen: Verhältnis sie
zum Bühneuraume selber steht, das hat uns aber erst die jüngste Geschichte des
Theaters in. Deutschland, das haben uns die verschiedenen Gestaltungen gelehrt,
die man unserer modernen Bühne gegeben hat, zum Teil mit der ausgesprochenen
Absicht, sie zu reformieren. Erst jetzt, wo uns die Möglichkeit gegeben ist, das
Verhältnis von Bühnenplastik und Bühnenraum auf der Bühne der Mcininger
mit der Gestaltung des gleichen Problemes auf der Bühne des Deutschen Theaters
unter Brahms einerseits und unter Reinhardts Leitung anderseits zu vergleichen,
wo dieses Problem im Münchener Künstlerlheater gewissermaßen in abstrakter
und paradigmatischer Form behandelt ist, und wo uus schließlich Reinhardts
Zirkusaufführungen neue und doch vielleicht uralte Gestaltungen dieses Problems
nahe gebracht haben, erst jetzt vermögen wir die ganze Tragweite des Problems
für die weitere Entwicklung und die Reform unseres Theaters zu überschauen
und richtig einzuschätzen.

Alle modernen Bühnengestaltungen - ausgenommen sind die Versuche
Reinhardts, den Zirkus zur Bühne zu machen — sind nur Weiter- und Um¬
bildungen der alten, primitiven Kulissenbühne und stehen daher zunächst mit
unter dein allgemeinen dekorativen Gesetz, das diese beherrscht. Denn der
Bühnenraum des modernen Theaters ist stets so angeordnet, daß nur mit seiner
Betrachtung von vorne, von einer einzigen Seite her, gerechnet zu werden braucht.
Das grundlegende dekorative Gesetz, das sich aus dieser Auordnung des Bühnen¬
raumes ergibt, ist dies, daß seine Ausgestaltung ganz und gar auf diese eine
Ansicht, auf die Ansicht von vorne her, erfolgen muß.

Dieser dekorativen Grundforderung suchte die alte, primitive Kulissenbühne
mit den einfachsten Mitteln gerecht zu werdeu, indem sie sich mit der
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[0196] [Abbildung] Bühnenplastik und Vühnenraum von v7. W. !varstat an behauptet von der dramatischen Kunst gemeinhin, daß sie auf Plastik hinarbeite. Das ist natürlich richtig! Die Bühne erst stellt uns das dramatische Werk, die Dichtung und ihre Gestalten, rund und voll in den Raum, sie stellt sie uns dreidimensional dar. Welcher Art diese Plastik ist und in welchen: Verhältnis sie zum Bühneuraume selber steht, das hat uns aber erst die jüngste Geschichte des Theaters in. Deutschland, das haben uns die verschiedenen Gestaltungen gelehrt, die man unserer modernen Bühne gegeben hat, zum Teil mit der ausgesprochenen Absicht, sie zu reformieren. Erst jetzt, wo uns die Möglichkeit gegeben ist, das Verhältnis von Bühnenplastik und Bühnenraum auf der Bühne der Mcininger mit der Gestaltung des gleichen Problemes auf der Bühne des Deutschen Theaters unter Brahms einerseits und unter Reinhardts Leitung anderseits zu vergleichen, wo dieses Problem im Münchener Künstlerlheater gewissermaßen in abstrakter und paradigmatischer Form behandelt ist, und wo uus schließlich Reinhardts Zirkusaufführungen neue und doch vielleicht uralte Gestaltungen dieses Problems nahe gebracht haben, erst jetzt vermögen wir die ganze Tragweite des Problems für die weitere Entwicklung und die Reform unseres Theaters zu überschauen und richtig einzuschätzen. Alle modernen Bühnengestaltungen - ausgenommen sind die Versuche Reinhardts, den Zirkus zur Bühne zu machen — sind nur Weiter- und Um¬ bildungen der alten, primitiven Kulissenbühne und stehen daher zunächst mit unter dein allgemeinen dekorativen Gesetz, das diese beherrscht. Denn der Bühnenraum des modernen Theaters ist stets so angeordnet, daß nur mit seiner Betrachtung von vorne, von einer einzigen Seite her, gerechnet zu werden braucht. Das grundlegende dekorative Gesetz, das sich aus dieser Auordnung des Bühnen¬ raumes ergibt, ist dies, daß seine Ausgestaltung ganz und gar auf diese eine Ansicht, auf die Ansicht von vorne her, erfolgen muß. Dieser dekorativen Grundforderung suchte die alte, primitive Kulissenbühne mit den einfachsten Mitteln gerecht zu werdeu, indem sie sich mit der Hintereinandcrordnung von Kulissen und auf diesen mit rein flächenhaften und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/196>, abgerufen am 26.05.2024.