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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der Mieseuzauii

"Deinen roten Mund zu küssen, Felicitas," sagte er hierauf mit zitternder
Stimme, "das wird mir wohl vor Gott nit möglich sein."

Noch standen sich die beiden einen Augenblick groß und wortlos gegenüber,
dann aber wandte sich die Jungfrau tiefgesenktem Hauptes und wankte langsam
der Türe zu.

Der Meister sah ihr schweigend mit weitgeöffneten Augen nach. Sie aber
hatte die Stube leise und ohne sich nochmals umzuwenden verlassen.---

Am späten Abend saß Herr Dürer noch lange vor der leise flackernden
Lampe. Er saß ganz still, die Hand ins lockige Haar vergraben.

Rings in der Nachbarschaft löschte man Licht um Licht. Nun brannte nur
noch eines gegenüber im Pilatushans und eines, ein winziges, ganz ferne oben
auf der kaiserlichen Burg.

Und bald erlosch auch dieses und bald auch jenes.

Nun war die Welt, da den Himmel jagendes Wolkengednnkel umhüllte,
in Finsternis gebettet, wie es tiefer Nacht gebührt.

Herr Dürer zog den Docht an seinem Lämpchen höher.

"Und wenn auch du noch verlöschest," murmelte er, "so herrscht wohl
Finsternis innen und außen!"

Doch plötzlich riß er sich mächtig empor und schritt nun eine Weile im
Zimmer auf und nieder.

Nach einiger Zeit begab er sich zu einem Pult in der Ecke, entnahm ihm
eine großgeformte Mappe und trug sie ans Licht.

Er rückte sich den Stuhl zurecht und begann nun langsam, wie liebkosend,
Seite sür Seite des Buches umzuwenden.

Es waren die herrlich urmächtigen Blätter der Apokalypse, in denen sich
einst die Kraft seiner Jugend und all ihr brausendes Schöpferglück geoffenbart.


3.

Herr Willibald Pirkheimer sandte erfreuliche Botschaft: Maximilian, des
geliebten Kaisers Majestät, habe geruht, den Reichstag nach Augsburg in die
Stadt zu berufen, und so werde er auch Nürnbergs ehrbare Räte in Gnaden
auf der Pfalz empfangen, und auch Herr Dürer sei zu der Reise geladen. "Und
nehmt auch seins Papier und säuberliche Kohlen mit, dieweil Ihr, wie ich's
Euch versprech, den Kaiser kunterfeneu sollt, so wahr ich bin Euer unverdrossener
Freund und Gönner Billibaldus Pirkhenmer."

Und bald nach diesem Briefe erschien auch Pirkheimer selbst. Es galt eine
andere wichtige Frage: Dürers neuen Entwurf für des Kaisers "Triumphzug"
zu prüfen. Mit des Meisters erster Fassung war der kluge und gestrenge
Freund nicht einverstanden gewesen. Nun aber leuchtete ihm das breite Antlitz
voll Stolz und Mitschöpferfreude.

"Da habt Ihr nun das Nichtige getroffen! Das soll nun an den Kaiser
gehn nach Innsbruck. Auch will ich Euch im Brief gehörig preisen."


Der Mieseuzauii

„Deinen roten Mund zu küssen, Felicitas," sagte er hierauf mit zitternder
Stimme, „das wird mir wohl vor Gott nit möglich sein."

Noch standen sich die beiden einen Augenblick groß und wortlos gegenüber,
dann aber wandte sich die Jungfrau tiefgesenktem Hauptes und wankte langsam
der Türe zu.

Der Meister sah ihr schweigend mit weitgeöffneten Augen nach. Sie aber
hatte die Stube leise und ohne sich nochmals umzuwenden verlassen.---

Am späten Abend saß Herr Dürer noch lange vor der leise flackernden
Lampe. Er saß ganz still, die Hand ins lockige Haar vergraben.

Rings in der Nachbarschaft löschte man Licht um Licht. Nun brannte nur
noch eines gegenüber im Pilatushans und eines, ein winziges, ganz ferne oben
auf der kaiserlichen Burg.

Und bald erlosch auch dieses und bald auch jenes.

Nun war die Welt, da den Himmel jagendes Wolkengednnkel umhüllte,
in Finsternis gebettet, wie es tiefer Nacht gebührt.

Herr Dürer zog den Docht an seinem Lämpchen höher.

„Und wenn auch du noch verlöschest," murmelte er, „so herrscht wohl
Finsternis innen und außen!"

Doch plötzlich riß er sich mächtig empor und schritt nun eine Weile im
Zimmer auf und nieder.

Nach einiger Zeit begab er sich zu einem Pult in der Ecke, entnahm ihm
eine großgeformte Mappe und trug sie ans Licht.

Er rückte sich den Stuhl zurecht und begann nun langsam, wie liebkosend,
Seite sür Seite des Buches umzuwenden.

Es waren die herrlich urmächtigen Blätter der Apokalypse, in denen sich
einst die Kraft seiner Jugend und all ihr brausendes Schöpferglück geoffenbart.


3.

Herr Willibald Pirkheimer sandte erfreuliche Botschaft: Maximilian, des
geliebten Kaisers Majestät, habe geruht, den Reichstag nach Augsburg in die
Stadt zu berufen, und so werde er auch Nürnbergs ehrbare Räte in Gnaden
auf der Pfalz empfangen, und auch Herr Dürer sei zu der Reise geladen. „Und
nehmt auch seins Papier und säuberliche Kohlen mit, dieweil Ihr, wie ich's
Euch versprech, den Kaiser kunterfeneu sollt, so wahr ich bin Euer unverdrossener
Freund und Gönner Billibaldus Pirkhenmer."

Und bald nach diesem Briefe erschien auch Pirkheimer selbst. Es galt eine
andere wichtige Frage: Dürers neuen Entwurf für des Kaisers „Triumphzug"
zu prüfen. Mit des Meisters erster Fassung war der kluge und gestrenge
Freund nicht einverstanden gewesen. Nun aber leuchtete ihm das breite Antlitz
voll Stolz und Mitschöpferfreude.

„Da habt Ihr nun das Nichtige getroffen! Das soll nun an den Kaiser
gehn nach Innsbruck. Auch will ich Euch im Brief gehörig preisen."


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[0239] Der Mieseuzauii „Deinen roten Mund zu küssen, Felicitas," sagte er hierauf mit zitternder Stimme, „das wird mir wohl vor Gott nit möglich sein." Noch standen sich die beiden einen Augenblick groß und wortlos gegenüber, dann aber wandte sich die Jungfrau tiefgesenktem Hauptes und wankte langsam der Türe zu. Der Meister sah ihr schweigend mit weitgeöffneten Augen nach. Sie aber hatte die Stube leise und ohne sich nochmals umzuwenden verlassen.--- Am späten Abend saß Herr Dürer noch lange vor der leise flackernden Lampe. Er saß ganz still, die Hand ins lockige Haar vergraben. Rings in der Nachbarschaft löschte man Licht um Licht. Nun brannte nur noch eines gegenüber im Pilatushans und eines, ein winziges, ganz ferne oben auf der kaiserlichen Burg. Und bald erlosch auch dieses und bald auch jenes. Nun war die Welt, da den Himmel jagendes Wolkengednnkel umhüllte, in Finsternis gebettet, wie es tiefer Nacht gebührt. Herr Dürer zog den Docht an seinem Lämpchen höher. „Und wenn auch du noch verlöschest," murmelte er, „so herrscht wohl Finsternis innen und außen!" Doch plötzlich riß er sich mächtig empor und schritt nun eine Weile im Zimmer auf und nieder. Nach einiger Zeit begab er sich zu einem Pult in der Ecke, entnahm ihm eine großgeformte Mappe und trug sie ans Licht. Er rückte sich den Stuhl zurecht und begann nun langsam, wie liebkosend, Seite sür Seite des Buches umzuwenden. Es waren die herrlich urmächtigen Blätter der Apokalypse, in denen sich einst die Kraft seiner Jugend und all ihr brausendes Schöpferglück geoffenbart. 3. Herr Willibald Pirkheimer sandte erfreuliche Botschaft: Maximilian, des geliebten Kaisers Majestät, habe geruht, den Reichstag nach Augsburg in die Stadt zu berufen, und so werde er auch Nürnbergs ehrbare Räte in Gnaden auf der Pfalz empfangen, und auch Herr Dürer sei zu der Reise geladen. „Und nehmt auch seins Papier und säuberliche Kohlen mit, dieweil Ihr, wie ich's Euch versprech, den Kaiser kunterfeneu sollt, so wahr ich bin Euer unverdrossener Freund und Gönner Billibaldus Pirkhenmer." Und bald nach diesem Briefe erschien auch Pirkheimer selbst. Es galt eine andere wichtige Frage: Dürers neuen Entwurf für des Kaisers „Triumphzug" zu prüfen. Mit des Meisters erster Fassung war der kluge und gestrenge Freund nicht einverstanden gewesen. Nun aber leuchtete ihm das breite Antlitz voll Stolz und Mitschöpferfreude. „Da habt Ihr nun das Nichtige getroffen! Das soll nun an den Kaiser gehn nach Innsbruck. Auch will ich Euch im Brief gehörig preisen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/239>, abgerufen am 26.05.2024.