Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Anatole France von Dr. Eduard Platzhoff-Lejcunc in

natole France nimmt in Deutschland nicht den Rang ein, der
ihm gebührt. Hinter Franzosen zweiten und dritten Ranges steht
er zurück. Den bedeutenden Einfluß, den er auf seine Landsleute
ausübt, unterschätzt man gewaltig. Selbst die Höhe der Auf¬
lagen seiner Bücher vermag die gröbere Aufmerksamkeit im Aus¬
lande nicht zu erzwingen. Oder sollte das an seiner ganzen geistigen Art
liegen? Gibt es doch Autoren, die nun einmal trotz ihrer unbestrittenen Größe
keine "Exportartikel" sind. Die beste Übersetzung nimmt ihnen den Duft; der
klügste und gewandteste Impresario hat kein Glück mit ihnen. Außerhalb seines
Sprach- und Kulturgebietes bleibt er immer ein aus dem Wasser gezogener
Fisch. Wie dem nun sei, ein Versuch, ihn von neuem dem deutschen Publikum
in Erinnerung zu rufen, sei gewagr; er findet seine Rechtfertigung zum
mindesten in der aktiven, noch längst nicht abgeschlossenen Produktion des in
seinem Schaffen und seiner Geistesachtung kurz hier zu skizzierenden Schrift¬
stellers.

Originale Geister lassen sich nicht klassifizieren. Sie schaffen Neues und
Eigenes. Aber wenigstens durch ihren Ausgangspunkt sind sie mit ihren ersten
Versuchen an Vergangenes gebunden. Auf France haben zwei sehr verschiedene
Strömungen deutlich gewirkt: einmal Renan, dann die Schule der Parnasstens.
Kaum kann man sich größere Gegensätze denken, und doch hat France beide
vereinigt. Renan hat keine Schule gemacht; sein Fall war so einzig, daß
jede Wiederholung ausgeschlossen war. Ein Schüler Renans hätte wie er
Priester sein, den Glauben verlieren und austreten müssen. Er hätte einen
Bretonen zum Vater und eine Gascognerin zur Mutter haben, nach Palästina
reisen und Orientalin studieren müssen. Immerhin ist Renan auf die jüngeren
Generationen von Einfluß gewesen; aber wie weit haben sich doch seine als
solche wohl bezeichneten Schüler Jules Lemcutre, Maurice Barrss und Anatole
France von ihm entfernt: Lemaitre ist zum polemischen Antipoden geworden,
Barros, dem Hermann Bahr als le pariÄt MAZicien ele l'Ironie morale ein
Buch widmete, ist heute nichts weniger als das, sondern ein braver Nationalist




Anatole France von Dr. Eduard Platzhoff-Lejcunc in

natole France nimmt in Deutschland nicht den Rang ein, der
ihm gebührt. Hinter Franzosen zweiten und dritten Ranges steht
er zurück. Den bedeutenden Einfluß, den er auf seine Landsleute
ausübt, unterschätzt man gewaltig. Selbst die Höhe der Auf¬
lagen seiner Bücher vermag die gröbere Aufmerksamkeit im Aus¬
lande nicht zu erzwingen. Oder sollte das an seiner ganzen geistigen Art
liegen? Gibt es doch Autoren, die nun einmal trotz ihrer unbestrittenen Größe
keine „Exportartikel" sind. Die beste Übersetzung nimmt ihnen den Duft; der
klügste und gewandteste Impresario hat kein Glück mit ihnen. Außerhalb seines
Sprach- und Kulturgebietes bleibt er immer ein aus dem Wasser gezogener
Fisch. Wie dem nun sei, ein Versuch, ihn von neuem dem deutschen Publikum
in Erinnerung zu rufen, sei gewagr; er findet seine Rechtfertigung zum
mindesten in der aktiven, noch längst nicht abgeschlossenen Produktion des in
seinem Schaffen und seiner Geistesachtung kurz hier zu skizzierenden Schrift¬
stellers.

Originale Geister lassen sich nicht klassifizieren. Sie schaffen Neues und
Eigenes. Aber wenigstens durch ihren Ausgangspunkt sind sie mit ihren ersten
Versuchen an Vergangenes gebunden. Auf France haben zwei sehr verschiedene
Strömungen deutlich gewirkt: einmal Renan, dann die Schule der Parnasstens.
Kaum kann man sich größere Gegensätze denken, und doch hat France beide
vereinigt. Renan hat keine Schule gemacht; sein Fall war so einzig, daß
jede Wiederholung ausgeschlossen war. Ein Schüler Renans hätte wie er
Priester sein, den Glauben verlieren und austreten müssen. Er hätte einen
Bretonen zum Vater und eine Gascognerin zur Mutter haben, nach Palästina
reisen und Orientalin studieren müssen. Immerhin ist Renan auf die jüngeren
Generationen von Einfluß gewesen; aber wie weit haben sich doch seine als
solche wohl bezeichneten Schüler Jules Lemcutre, Maurice Barrss und Anatole
France von ihm entfernt: Lemaitre ist zum polemischen Antipoden geworden,
Barros, dem Hermann Bahr als le pariÄt MAZicien ele l'Ironie morale ein
Buch widmete, ist heute nichts weniger als das, sondern ein braver Nationalist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321327"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321082/figures/grenzboten_341895_321082_321327_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Anatole France <note type="byline"> von Dr. Eduard Platzhoff-Lejcunc </note> in </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1023"> natole France nimmt in Deutschland nicht den Rang ein, der<lb/>
ihm gebührt. Hinter Franzosen zweiten und dritten Ranges steht<lb/>
er zurück. Den bedeutenden Einfluß, den er auf seine Landsleute<lb/>
ausübt, unterschätzt man gewaltig. Selbst die Höhe der Auf¬<lb/>
lagen seiner Bücher vermag die gröbere Aufmerksamkeit im Aus¬<lb/>
lande nicht zu erzwingen. Oder sollte das an seiner ganzen geistigen Art<lb/>
liegen? Gibt es doch Autoren, die nun einmal trotz ihrer unbestrittenen Größe<lb/>
keine &#x201E;Exportartikel" sind. Die beste Übersetzung nimmt ihnen den Duft; der<lb/>
klügste und gewandteste Impresario hat kein Glück mit ihnen. Außerhalb seines<lb/>
Sprach- und Kulturgebietes bleibt er immer ein aus dem Wasser gezogener<lb/>
Fisch. Wie dem nun sei, ein Versuch, ihn von neuem dem deutschen Publikum<lb/>
in Erinnerung zu rufen, sei gewagr; er findet seine Rechtfertigung zum<lb/>
mindesten in der aktiven, noch längst nicht abgeschlossenen Produktion des in<lb/>
seinem Schaffen und seiner Geistesachtung kurz hier zu skizzierenden Schrift¬<lb/>
stellers.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1024" next="#ID_1025"> Originale Geister lassen sich nicht klassifizieren. Sie schaffen Neues und<lb/>
Eigenes. Aber wenigstens durch ihren Ausgangspunkt sind sie mit ihren ersten<lb/>
Versuchen an Vergangenes gebunden. Auf France haben zwei sehr verschiedene<lb/>
Strömungen deutlich gewirkt: einmal Renan, dann die Schule der Parnasstens.<lb/>
Kaum kann man sich größere Gegensätze denken, und doch hat France beide<lb/>
vereinigt. Renan hat keine Schule gemacht; sein Fall war so einzig, daß<lb/>
jede Wiederholung ausgeschlossen war. Ein Schüler Renans hätte wie er<lb/>
Priester sein, den Glauben verlieren und austreten müssen. Er hätte einen<lb/>
Bretonen zum Vater und eine Gascognerin zur Mutter haben, nach Palästina<lb/>
reisen und Orientalin studieren müssen. Immerhin ist Renan auf die jüngeren<lb/>
Generationen von Einfluß gewesen; aber wie weit haben sich doch seine als<lb/>
solche wohl bezeichneten Schüler Jules Lemcutre, Maurice Barrss und Anatole<lb/>
France von ihm entfernt: Lemaitre ist zum polemischen Antipoden geworden,<lb/>
Barros, dem Hermann Bahr als le pariÄt MAZicien ele l'Ironie morale ein<lb/>
Buch widmete, ist heute nichts weniger als das, sondern ein braver Nationalist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0244] [Abbildung] Anatole France von Dr. Eduard Platzhoff-Lejcunc in natole France nimmt in Deutschland nicht den Rang ein, der ihm gebührt. Hinter Franzosen zweiten und dritten Ranges steht er zurück. Den bedeutenden Einfluß, den er auf seine Landsleute ausübt, unterschätzt man gewaltig. Selbst die Höhe der Auf¬ lagen seiner Bücher vermag die gröbere Aufmerksamkeit im Aus¬ lande nicht zu erzwingen. Oder sollte das an seiner ganzen geistigen Art liegen? Gibt es doch Autoren, die nun einmal trotz ihrer unbestrittenen Größe keine „Exportartikel" sind. Die beste Übersetzung nimmt ihnen den Duft; der klügste und gewandteste Impresario hat kein Glück mit ihnen. Außerhalb seines Sprach- und Kulturgebietes bleibt er immer ein aus dem Wasser gezogener Fisch. Wie dem nun sei, ein Versuch, ihn von neuem dem deutschen Publikum in Erinnerung zu rufen, sei gewagr; er findet seine Rechtfertigung zum mindesten in der aktiven, noch längst nicht abgeschlossenen Produktion des in seinem Schaffen und seiner Geistesachtung kurz hier zu skizzierenden Schrift¬ stellers. Originale Geister lassen sich nicht klassifizieren. Sie schaffen Neues und Eigenes. Aber wenigstens durch ihren Ausgangspunkt sind sie mit ihren ersten Versuchen an Vergangenes gebunden. Auf France haben zwei sehr verschiedene Strömungen deutlich gewirkt: einmal Renan, dann die Schule der Parnasstens. Kaum kann man sich größere Gegensätze denken, und doch hat France beide vereinigt. Renan hat keine Schule gemacht; sein Fall war so einzig, daß jede Wiederholung ausgeschlossen war. Ein Schüler Renans hätte wie er Priester sein, den Glauben verlieren und austreten müssen. Er hätte einen Bretonen zum Vater und eine Gascognerin zur Mutter haben, nach Palästina reisen und Orientalin studieren müssen. Immerhin ist Renan auf die jüngeren Generationen von Einfluß gewesen; aber wie weit haben sich doch seine als solche wohl bezeichneten Schüler Jules Lemcutre, Maurice Barrss und Anatole France von ihm entfernt: Lemaitre ist zum polemischen Antipoden geworden, Barros, dem Hermann Bahr als le pariÄt MAZicien ele l'Ironie morale ein Buch widmete, ist heute nichts weniger als das, sondern ein braver Nationalist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/244
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/244>, abgerufen am 26.05.2024.