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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Felicitas aber hatte kaum einen Blick auf die Zeichnung getan, als ihr
Antlitz in heftiger Röte aufflammte und das Blatt ihrer bebenden Hand entglitt.

Der junge Springinsklee bückte sich rasch danach und schaute nun selbst
verdutzt darein, denn er war auf solche Wirkung nicht gefaßt gewesen. Er sah,
wie die Jungfrau die Zeichnung großen Auges betrachtete, als wollte sie jeden
Strich ihrer Seele einprägen; er hörte das erregte Atmen ihrer Brust, und es
ward ihm plötzlich bange, als hätte er das Bild nicht zeigen dürfen.

Und so erschrak er nicht wenig, als sich Felicitas jählings mit flehender
Gebärde an ihn wandte und ihn beschwor, ihr das Blatt nach Hause mit¬
zugeben, wo sie es wie ein Kindlein behüten und betreuen wolle.

Das war dem verlegenen Malerknaben keineswegs willkommen, denn er
wußte nicht, ob es dem Meister recht wäre.

"Ihr könnt es morgen holen, Jungfrau, bis ich die Meisterin gefragt, die
jetzo nicht zu Hause ist," versuchte er auszuweichen.

Felicitas aber sagte entschlossen und drohend:

"Ich geb's Euch nimmer! Ihr müßt es mir lassen!"

Und als gelte es, das Bild aufs schnellste in Sicherheit zu bringen, wandte
sie sich hastig der Tür zu und lief in Eile die Treppe hinab.

Im ersten Augenblick gedachte der junge Springinsklee ihr nachzusetzen.
Dann aber zuckte er die Achseln, als wäre da nichts mehr zu ändern, ergriff
sein Barettleiu und folgte ihr geruhigen Schrittes nach.

Im dunkelnden Hausflur traf er auf Dürers Magd Susanne, die ein Licht
in der Hand hielt und ihn mißtrauisch fragte, wer denn die tolle Weibsperson
gewesen, die eben die Treppe herab gerannt sei und sie fast umgeworfen habe.
Ob's etwa eine Diebin war?

Der Jüngling beruhigte die Gute und meinte, es sei ein Modell des
Meisters gewesen, und diese Art von Frauenzimmern sei immer ein wenig verrückt.

Da gab sie sich lachend zufrieden und sagte, das sei sie hier in diesem Hause
schon gewohnt, und es könne ihr auch recht sein, denn es sei ein lustig Leben.

Der Malgeselle aber klopfte ihr schalkhaft auf die rauhe Wange und schritt
durch die Tür hinaus, die Felicitas in Eile offen gelassen.


5.

Als die Dürerin erfuhr, was während ihrer Abwesenheit sich zugetragen,
gab es am nächsten Morgen eine böse Unterredung mit dem jungen Springinsklee.
Er mußte sich nach einer reumütigen Abbitte bequemen, ein Schreiben an den
Meister nach Augsburg zu richten, worin er ihm den Vorfall beichtete und
seiner Zerknirschung gehörigen Ausdruck gab.

Es kam zwar keine Antwort von Dürer selbst, wohl aber erschien nach
einigen Tagen Herr Willibald Pirkheimer, begab sich unter viel Gepuste und
Gestöhne in den Gesellensaal und nahm dort den Springinsklee angesichts aller
beim Ohrläppchen, was aber eher einer Liebkosung als einer Züchtigung glich.


Felicitas aber hatte kaum einen Blick auf die Zeichnung getan, als ihr
Antlitz in heftiger Röte aufflammte und das Blatt ihrer bebenden Hand entglitt.

Der junge Springinsklee bückte sich rasch danach und schaute nun selbst
verdutzt darein, denn er war auf solche Wirkung nicht gefaßt gewesen. Er sah,
wie die Jungfrau die Zeichnung großen Auges betrachtete, als wollte sie jeden
Strich ihrer Seele einprägen; er hörte das erregte Atmen ihrer Brust, und es
ward ihm plötzlich bange, als hätte er das Bild nicht zeigen dürfen.

Und so erschrak er nicht wenig, als sich Felicitas jählings mit flehender
Gebärde an ihn wandte und ihn beschwor, ihr das Blatt nach Hause mit¬
zugeben, wo sie es wie ein Kindlein behüten und betreuen wolle.

Das war dem verlegenen Malerknaben keineswegs willkommen, denn er
wußte nicht, ob es dem Meister recht wäre.

„Ihr könnt es morgen holen, Jungfrau, bis ich die Meisterin gefragt, die
jetzo nicht zu Hause ist," versuchte er auszuweichen.

Felicitas aber sagte entschlossen und drohend:

„Ich geb's Euch nimmer! Ihr müßt es mir lassen!"

Und als gelte es, das Bild aufs schnellste in Sicherheit zu bringen, wandte
sie sich hastig der Tür zu und lief in Eile die Treppe hinab.

Im ersten Augenblick gedachte der junge Springinsklee ihr nachzusetzen.
Dann aber zuckte er die Achseln, als wäre da nichts mehr zu ändern, ergriff
sein Barettleiu und folgte ihr geruhigen Schrittes nach.

Im dunkelnden Hausflur traf er auf Dürers Magd Susanne, die ein Licht
in der Hand hielt und ihn mißtrauisch fragte, wer denn die tolle Weibsperson
gewesen, die eben die Treppe herab gerannt sei und sie fast umgeworfen habe.
Ob's etwa eine Diebin war?

Der Jüngling beruhigte die Gute und meinte, es sei ein Modell des
Meisters gewesen, und diese Art von Frauenzimmern sei immer ein wenig verrückt.

Da gab sie sich lachend zufrieden und sagte, das sei sie hier in diesem Hause
schon gewohnt, und es könne ihr auch recht sein, denn es sei ein lustig Leben.

Der Malgeselle aber klopfte ihr schalkhaft auf die rauhe Wange und schritt
durch die Tür hinaus, die Felicitas in Eile offen gelassen.


5.

Als die Dürerin erfuhr, was während ihrer Abwesenheit sich zugetragen,
gab es am nächsten Morgen eine böse Unterredung mit dem jungen Springinsklee.
Er mußte sich nach einer reumütigen Abbitte bequemen, ein Schreiben an den
Meister nach Augsburg zu richten, worin er ihm den Vorfall beichtete und
seiner Zerknirschung gehörigen Ausdruck gab.

Es kam zwar keine Antwort von Dürer selbst, wohl aber erschien nach
einigen Tagen Herr Willibald Pirkheimer, begab sich unter viel Gepuste und
Gestöhne in den Gesellensaal und nahm dort den Springinsklee angesichts aller
beim Ohrläppchen, was aber eher einer Liebkosung als einer Züchtigung glich.


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[0294] Felicitas aber hatte kaum einen Blick auf die Zeichnung getan, als ihr Antlitz in heftiger Röte aufflammte und das Blatt ihrer bebenden Hand entglitt. Der junge Springinsklee bückte sich rasch danach und schaute nun selbst verdutzt darein, denn er war auf solche Wirkung nicht gefaßt gewesen. Er sah, wie die Jungfrau die Zeichnung großen Auges betrachtete, als wollte sie jeden Strich ihrer Seele einprägen; er hörte das erregte Atmen ihrer Brust, und es ward ihm plötzlich bange, als hätte er das Bild nicht zeigen dürfen. Und so erschrak er nicht wenig, als sich Felicitas jählings mit flehender Gebärde an ihn wandte und ihn beschwor, ihr das Blatt nach Hause mit¬ zugeben, wo sie es wie ein Kindlein behüten und betreuen wolle. Das war dem verlegenen Malerknaben keineswegs willkommen, denn er wußte nicht, ob es dem Meister recht wäre. „Ihr könnt es morgen holen, Jungfrau, bis ich die Meisterin gefragt, die jetzo nicht zu Hause ist," versuchte er auszuweichen. Felicitas aber sagte entschlossen und drohend: „Ich geb's Euch nimmer! Ihr müßt es mir lassen!" Und als gelte es, das Bild aufs schnellste in Sicherheit zu bringen, wandte sie sich hastig der Tür zu und lief in Eile die Treppe hinab. Im ersten Augenblick gedachte der junge Springinsklee ihr nachzusetzen. Dann aber zuckte er die Achseln, als wäre da nichts mehr zu ändern, ergriff sein Barettleiu und folgte ihr geruhigen Schrittes nach. Im dunkelnden Hausflur traf er auf Dürers Magd Susanne, die ein Licht in der Hand hielt und ihn mißtrauisch fragte, wer denn die tolle Weibsperson gewesen, die eben die Treppe herab gerannt sei und sie fast umgeworfen habe. Ob's etwa eine Diebin war? Der Jüngling beruhigte die Gute und meinte, es sei ein Modell des Meisters gewesen, und diese Art von Frauenzimmern sei immer ein wenig verrückt. Da gab sie sich lachend zufrieden und sagte, das sei sie hier in diesem Hause schon gewohnt, und es könne ihr auch recht sein, denn es sei ein lustig Leben. Der Malgeselle aber klopfte ihr schalkhaft auf die rauhe Wange und schritt durch die Tür hinaus, die Felicitas in Eile offen gelassen. 5. Als die Dürerin erfuhr, was während ihrer Abwesenheit sich zugetragen, gab es am nächsten Morgen eine böse Unterredung mit dem jungen Springinsklee. Er mußte sich nach einer reumütigen Abbitte bequemen, ein Schreiben an den Meister nach Augsburg zu richten, worin er ihm den Vorfall beichtete und seiner Zerknirschung gehörigen Ausdruck gab. Es kam zwar keine Antwort von Dürer selbst, wohl aber erschien nach einigen Tagen Herr Willibald Pirkheimer, begab sich unter viel Gepuste und Gestöhne in den Gesellensaal und nahm dort den Springinsklee angesichts aller beim Ohrläppchen, was aber eher einer Liebkosung als einer Züchtigung glich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/294>, abgerufen am 26.05.2024.