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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Die Polen in Ostpreußen
von R. Baumgarten

ange Zeit hatte man der Polenfrage in Ostpreußen keine Bedeutung
beigemessen. Die Polen dort sind meist evangelisch, sprechen zum
größeren Teile eine besondere, mit litauischen und deutschen Wort¬
stämmen versetzte Art des Polnischen, das sogenannte Masurische,
welches nicht Schriftsprache geworden ist. In der evangelischen
Kirche wird zwar auch masurisch oder polnisch gepredigt, die evangelischen Geist¬
lichen sind aber bis auf ein oder zwei Masuren sämtlich deutsch; die Schule ist
deutsch. Eine polnisch-politische Agitation kannte man vor 1900 kaum in Ost¬
preußen.

Der Preußische Staat gab daher in Ergänzung des Reichsvereinsgesetzes
durch eine Verordnung vom 8. Mai 1908 in den drei Regierungsbezirken
Königsberg, Gumbinnen und Altenstein allgemein den Mitgebrauch des Masu-
rischen in öffentlichen Versammlungen frei, während er sonst nirgends der
polnischen Sprache dieses Recht über die Vorschriften des obigen Reichsgesetzes
hinaus gewährte. Ob man freilich in der Anwendung stets das Schriftpolnische
vom Masurischen unterscheiden wird, bleibt abzuwarten.

Allen schien es so, als ob die Polen (Masuren) in Ostpreußen schnell ein¬
deutschten und keine Gefahr für das Deutschtum und den Staat seien, zumal
Ostpreußen weder in das Preußische Abgeordnetenhaus noch in den Reichstag
polnische Abgeordnete entsendet. Wird dies jedoch immer so bleiben? Kann
auch künftig keine Gefahr entstehen?

Zu den nachfolgenden statistischen Zahlen möchte ich vorausschicken, daß ich
den von der amtlichen Statistik gemachten Unterschied zwischen Masuren und
Polen nicht befolge. Wie bereits erörtert ist, bildet das Masurische nur eine
polnische Mundart, ähnlich wie das Kassubische. Im Deutschen unterscheidet man
bei der Volkszählung auch keine Dialekte gegenüber dem Schriftdeutschen. Die
Zähler oder die Gezahlten scheinen häufig bei Ausfüllung der Zählkarten Polnisch
und Masurisch verwechselt zu haben, denn sonst wären Schwankungen in einer
Höhe bis 160 vom Tausend zwischen diesen beiden amtlichen Zählsprachen in
einigen Kreisen bei aufeinanderfolgenden Volkszählungen nicht erklärbar. Unsere
Betrachtung gewinnt bedeutend an Zuverlässigkeit dadurch, daß ich alle polnischen
Mundarten zusammengerechnet habe und nur allgemein das Polnische den:
Deutschen entgegensetze.




Die Polen in Ostpreußen
von R. Baumgarten

ange Zeit hatte man der Polenfrage in Ostpreußen keine Bedeutung
beigemessen. Die Polen dort sind meist evangelisch, sprechen zum
größeren Teile eine besondere, mit litauischen und deutschen Wort¬
stämmen versetzte Art des Polnischen, das sogenannte Masurische,
welches nicht Schriftsprache geworden ist. In der evangelischen
Kirche wird zwar auch masurisch oder polnisch gepredigt, die evangelischen Geist¬
lichen sind aber bis auf ein oder zwei Masuren sämtlich deutsch; die Schule ist
deutsch. Eine polnisch-politische Agitation kannte man vor 1900 kaum in Ost¬
preußen.

Der Preußische Staat gab daher in Ergänzung des Reichsvereinsgesetzes
durch eine Verordnung vom 8. Mai 1908 in den drei Regierungsbezirken
Königsberg, Gumbinnen und Altenstein allgemein den Mitgebrauch des Masu-
rischen in öffentlichen Versammlungen frei, während er sonst nirgends der
polnischen Sprache dieses Recht über die Vorschriften des obigen Reichsgesetzes
hinaus gewährte. Ob man freilich in der Anwendung stets das Schriftpolnische
vom Masurischen unterscheiden wird, bleibt abzuwarten.

Allen schien es so, als ob die Polen (Masuren) in Ostpreußen schnell ein¬
deutschten und keine Gefahr für das Deutschtum und den Staat seien, zumal
Ostpreußen weder in das Preußische Abgeordnetenhaus noch in den Reichstag
polnische Abgeordnete entsendet. Wird dies jedoch immer so bleiben? Kann
auch künftig keine Gefahr entstehen?

Zu den nachfolgenden statistischen Zahlen möchte ich vorausschicken, daß ich
den von der amtlichen Statistik gemachten Unterschied zwischen Masuren und
Polen nicht befolge. Wie bereits erörtert ist, bildet das Masurische nur eine
polnische Mundart, ähnlich wie das Kassubische. Im Deutschen unterscheidet man
bei der Volkszählung auch keine Dialekte gegenüber dem Schriftdeutschen. Die
Zähler oder die Gezahlten scheinen häufig bei Ausfüllung der Zählkarten Polnisch
und Masurisch verwechselt zu haben, denn sonst wären Schwankungen in einer
Höhe bis 160 vom Tausend zwischen diesen beiden amtlichen Zählsprachen in
einigen Kreisen bei aufeinanderfolgenden Volkszählungen nicht erklärbar. Unsere
Betrachtung gewinnt bedeutend an Zuverlässigkeit dadurch, daß ich alle polnischen
Mundarten zusammengerechnet habe und nur allgemein das Polnische den:
Deutschen entgegensetze.


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[0031] [Abbildung] Die Polen in Ostpreußen von R. Baumgarten ange Zeit hatte man der Polenfrage in Ostpreußen keine Bedeutung beigemessen. Die Polen dort sind meist evangelisch, sprechen zum größeren Teile eine besondere, mit litauischen und deutschen Wort¬ stämmen versetzte Art des Polnischen, das sogenannte Masurische, welches nicht Schriftsprache geworden ist. In der evangelischen Kirche wird zwar auch masurisch oder polnisch gepredigt, die evangelischen Geist¬ lichen sind aber bis auf ein oder zwei Masuren sämtlich deutsch; die Schule ist deutsch. Eine polnisch-politische Agitation kannte man vor 1900 kaum in Ost¬ preußen. Der Preußische Staat gab daher in Ergänzung des Reichsvereinsgesetzes durch eine Verordnung vom 8. Mai 1908 in den drei Regierungsbezirken Königsberg, Gumbinnen und Altenstein allgemein den Mitgebrauch des Masu- rischen in öffentlichen Versammlungen frei, während er sonst nirgends der polnischen Sprache dieses Recht über die Vorschriften des obigen Reichsgesetzes hinaus gewährte. Ob man freilich in der Anwendung stets das Schriftpolnische vom Masurischen unterscheiden wird, bleibt abzuwarten. Allen schien es so, als ob die Polen (Masuren) in Ostpreußen schnell ein¬ deutschten und keine Gefahr für das Deutschtum und den Staat seien, zumal Ostpreußen weder in das Preußische Abgeordnetenhaus noch in den Reichstag polnische Abgeordnete entsendet. Wird dies jedoch immer so bleiben? Kann auch künftig keine Gefahr entstehen? Zu den nachfolgenden statistischen Zahlen möchte ich vorausschicken, daß ich den von der amtlichen Statistik gemachten Unterschied zwischen Masuren und Polen nicht befolge. Wie bereits erörtert ist, bildet das Masurische nur eine polnische Mundart, ähnlich wie das Kassubische. Im Deutschen unterscheidet man bei der Volkszählung auch keine Dialekte gegenüber dem Schriftdeutschen. Die Zähler oder die Gezahlten scheinen häufig bei Ausfüllung der Zählkarten Polnisch und Masurisch verwechselt zu haben, denn sonst wären Schwankungen in einer Höhe bis 160 vom Tausend zwischen diesen beiden amtlichen Zählsprachen in einigen Kreisen bei aufeinanderfolgenden Volkszählungen nicht erklärbar. Unsere Betrachtung gewinnt bedeutend an Zuverlässigkeit dadurch, daß ich alle polnischen Mundarten zusammengerechnet habe und nur allgemein das Polnische den: Deutschen entgegensetze.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/31>, abgerufen am 26.05.2024.