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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Stilfragen der Schule

indes das Volk sich schwatzend verlief. Und da er nun durch die Dunkelheit
schritt, im Herzen noch das Brausen von Glück und Qual der vergangenen
Augenblicke, erlosch das Laternchen in seiner Hand, das ihm Pirkheimer, der
fürsorgliche Freund, beim Abschied mitgegeben. So ging er nun seinen Weg
durch die Finsternis, und ihr drohendes Flügelschlagen war seiner Seele nicht
unwillkommen. Er liebte es, die Trübsal des Lebens der Finsternis ans Herz
zu legen, wohin sie gehörte, und wo sie dem endlosen Strom des Leidens sich
wiedervermählte, der alle Welt in Ewigkeit umschlingt. (Schluß folgt)




Stilsragen der Schule
von Fritz Tychow

chulelend und Schulnot bestehen trotz der vielen Schulstraußvögel,
die es bestreikn. Universitätsprofessoren klagen über die mangel-
! hafte Vorbildung der Studenten, Lehrer über das schlechte Schüler-
! Material, Mütter über die Ungerechtigkeit der Lehrer, Väter über
ihre Weltfremdheit, Goethebündler über den ganzen Betrieb in
Bausch und Bogen, Künstler über Formelkram und Mangel an Anschauung.
Einer sieht den Grund in dem unzureichenden Lehrermaterial, das sich zum
größten Teil aus dem Kleinbürgerstand rekrutiere, der andere in der Auswahl
des Stoffes, der dritte in seiner Darbietung aus den Händen verknöcherter
Pedanten.

Über alle diese Fragen gehen die Anschauungen der Beteiligten und der
Zuschauer hoffnungslos weit auseinander, manchmal schnurgerade entgegengesetzt,
manchmal berühren sie sich scheinbar durch den Gebrauch derselben Wörter, die
ihnen aber ganz verschiedene Begriffe tragen. Bei Gelegenheit des Extemporale¬
erlasses des preußischen Kultusministers hörte man Stimmen des Jubels, daß
das nervenzerrüttende völlig unpädagogische Extemporale geschwunden, und
Stimmen knirschender Wut, daß dem weichlichen Schulorganismus das letzte
Rückgrat gebrochen sei. Und die Ansichten über Latein und Griechisch! Hier
Ostwald und viele andere mit beißendem Spott über vergeudete Kraft, dort
alte heimatsliebevolle Verteidigung der Ideale altakademischer Jugend! Hier:
Reform! Dort: Endlich Ruhe!

Und dazwischen führen wir Oberlehrer einen Eiertanz auf zwischen Lehr¬
plänen, Erlassen, Direktoren, Verordnungen, Schulräten und eigener Meinung,
fortreißenden und hemmenden Kollegen, Lehrbüchern und Wissenschaft unter einem


Stilfragen der Schule

indes das Volk sich schwatzend verlief. Und da er nun durch die Dunkelheit
schritt, im Herzen noch das Brausen von Glück und Qual der vergangenen
Augenblicke, erlosch das Laternchen in seiner Hand, das ihm Pirkheimer, der
fürsorgliche Freund, beim Abschied mitgegeben. So ging er nun seinen Weg
durch die Finsternis, und ihr drohendes Flügelschlagen war seiner Seele nicht
unwillkommen. Er liebte es, die Trübsal des Lebens der Finsternis ans Herz
zu legen, wohin sie gehörte, und wo sie dem endlosen Strom des Leidens sich
wiedervermählte, der alle Welt in Ewigkeit umschlingt. (Schluß folgt)




Stilsragen der Schule
von Fritz Tychow

chulelend und Schulnot bestehen trotz der vielen Schulstraußvögel,
die es bestreikn. Universitätsprofessoren klagen über die mangel-
! hafte Vorbildung der Studenten, Lehrer über das schlechte Schüler-
! Material, Mütter über die Ungerechtigkeit der Lehrer, Väter über
ihre Weltfremdheit, Goethebündler über den ganzen Betrieb in
Bausch und Bogen, Künstler über Formelkram und Mangel an Anschauung.
Einer sieht den Grund in dem unzureichenden Lehrermaterial, das sich zum
größten Teil aus dem Kleinbürgerstand rekrutiere, der andere in der Auswahl
des Stoffes, der dritte in seiner Darbietung aus den Händen verknöcherter
Pedanten.

Über alle diese Fragen gehen die Anschauungen der Beteiligten und der
Zuschauer hoffnungslos weit auseinander, manchmal schnurgerade entgegengesetzt,
manchmal berühren sie sich scheinbar durch den Gebrauch derselben Wörter, die
ihnen aber ganz verschiedene Begriffe tragen. Bei Gelegenheit des Extemporale¬
erlasses des preußischen Kultusministers hörte man Stimmen des Jubels, daß
das nervenzerrüttende völlig unpädagogische Extemporale geschwunden, und
Stimmen knirschender Wut, daß dem weichlichen Schulorganismus das letzte
Rückgrat gebrochen sei. Und die Ansichten über Latein und Griechisch! Hier
Ostwald und viele andere mit beißendem Spott über vergeudete Kraft, dort
alte heimatsliebevolle Verteidigung der Ideale altakademischer Jugend! Hier:
Reform! Dort: Endlich Ruhe!

Und dazwischen führen wir Oberlehrer einen Eiertanz auf zwischen Lehr¬
plänen, Erlassen, Direktoren, Verordnungen, Schulräten und eigener Meinung,
fortreißenden und hemmenden Kollegen, Lehrbüchern und Wissenschaft unter einem


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[0344] Stilfragen der Schule indes das Volk sich schwatzend verlief. Und da er nun durch die Dunkelheit schritt, im Herzen noch das Brausen von Glück und Qual der vergangenen Augenblicke, erlosch das Laternchen in seiner Hand, das ihm Pirkheimer, der fürsorgliche Freund, beim Abschied mitgegeben. So ging er nun seinen Weg durch die Finsternis, und ihr drohendes Flügelschlagen war seiner Seele nicht unwillkommen. Er liebte es, die Trübsal des Lebens der Finsternis ans Herz zu legen, wohin sie gehörte, und wo sie dem endlosen Strom des Leidens sich wiedervermählte, der alle Welt in Ewigkeit umschlingt. (Schluß folgt) Stilsragen der Schule von Fritz Tychow chulelend und Schulnot bestehen trotz der vielen Schulstraußvögel, die es bestreikn. Universitätsprofessoren klagen über die mangel- ! hafte Vorbildung der Studenten, Lehrer über das schlechte Schüler- ! Material, Mütter über die Ungerechtigkeit der Lehrer, Väter über ihre Weltfremdheit, Goethebündler über den ganzen Betrieb in Bausch und Bogen, Künstler über Formelkram und Mangel an Anschauung. Einer sieht den Grund in dem unzureichenden Lehrermaterial, das sich zum größten Teil aus dem Kleinbürgerstand rekrutiere, der andere in der Auswahl des Stoffes, der dritte in seiner Darbietung aus den Händen verknöcherter Pedanten. Über alle diese Fragen gehen die Anschauungen der Beteiligten und der Zuschauer hoffnungslos weit auseinander, manchmal schnurgerade entgegengesetzt, manchmal berühren sie sich scheinbar durch den Gebrauch derselben Wörter, die ihnen aber ganz verschiedene Begriffe tragen. Bei Gelegenheit des Extemporale¬ erlasses des preußischen Kultusministers hörte man Stimmen des Jubels, daß das nervenzerrüttende völlig unpädagogische Extemporale geschwunden, und Stimmen knirschender Wut, daß dem weichlichen Schulorganismus das letzte Rückgrat gebrochen sei. Und die Ansichten über Latein und Griechisch! Hier Ostwald und viele andere mit beißendem Spott über vergeudete Kraft, dort alte heimatsliebevolle Verteidigung der Ideale altakademischer Jugend! Hier: Reform! Dort: Endlich Ruhe! Und dazwischen führen wir Oberlehrer einen Eiertanz auf zwischen Lehr¬ plänen, Erlassen, Direktoren, Verordnungen, Schulräten und eigener Meinung, fortreißenden und hemmenden Kollegen, Lehrbüchern und Wissenschaft unter einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/344>, abgerufen am 26.05.2024.