Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der N?iesenzcmn

Da wich ihr, als der argwöhnische Gesell den Fremden eingehend schilderte,
das bißchen keimende Röte aus den weißen Wangen und wollte darauf nicht
wiederkehren.

Der Scherlin bemerkte es wohl, doch wagte er nichts darüber zu sagen,
obgleich es ihm das Herz gewaltig zusammenzog. Er ahnte mit dem Instinkt
des Liebenden, es liege seit Anbeginn etwas Scheues, vielleicht Unüberbrück-
liches zwischen ihm und der Felicitas. Doch wollte er sich hüten, daran zu
rühren. Wenigstens vorderhand. Sein Schicksal hatte ihn mürbe gemacht, er
wollte mit allem zufrieden sein, auch mit dem Ungewissen.

Doch war Felicitas ihm einmal angetraut, dann wollte er alles beseitigen,
im Guten oder im Bösen, was fremd, geheimnisvoll und unbegreiflich an ihr
war. Dann durfte sie nichts mehr trennen von ihm. Sie sollte werden und
sein wie er, nicht höher und nicht geringer.


9.

Es mochten anderthalb Jahre seither vergangen sein, da zog in einer
mondhellen Sommernacht ein wunderlicher Zug bachantisch erregter Leutchen
durch die Straßen der allgewaltigen Hansastadt Antwerpen in den Nieder,
landen. Eine tollverwegene Gesellschaft phantastisch bekränzter Männlein und
Weiblein war es, die bei Gesang und Lautenklang, flackernde Windlichter
schwingend, im Tanz- und Hüpfeschritt dahintrieb und sich gar nicht genug tun
konnte an drolligster Daseins- und Mondnachtfreude.

Antwerpener Malersleute, die es eben unternahmen, dem vielgeliebten und
vergötterten Meister, Herrn Albrecht Dürer, der jetzt allhier zu Gaste weilte,
nach einem köstlichen Festmahl, das sie ihm zu Ehren bereitet hatten, ein fröhlich
Geleit in seine Herberg zum "Jobst Plankfeld" zu geben.

Der Meister schritt voran, getragen vom Jubel der trunk- und tanzerhitzten
Jugend, einen Kranz aus wildem Weinlaub auf den schönen leichtergrauten
Locken. Und hinter ihm geleiteten zwei tolle Malersknaben sein würdig Ehe¬
weib, Frau Agnes Dürerin.

Man hatte sich kecklich zur Rechten und Linken in die sittsam verdutzte
Dame eingehängt und führte nun die Stattliche so leicht und schwebend dahin,
wie sie nie noch in ihrem Leben geschritten war.

Und selbst die treue Magd Susanne, die sich der Meister auf die Reise
w-itgenommen, war keineswegs ohne Unwert geblieben. Man hatte auch ihr
ein laubig Ungetüm zur Zier auf die Haube gedrückt und sagte dem guten, in
Ehren ergrauten Geschöpf manch neckisch vertrauliches Wörtlein ins Ohr, worüber
es fast ein wenig aus seinem dummen Gleichgewicht kam.

Der Rat zu Antwerpen hatte dem Meister im Laufe des Mahles vier
riesenhafte Krüge edelsten Weines gesandt, desgleichen der städtische Zinnner-
w-ann, Herr Meister Peter, zwei weitere Krüge aus besonderer Verehrung. Die
schleppte nun das lustige Malvolk im Zuge mit sich und füllte verstohlen manch
Becherlein daraus, wobei dem Meister, wie sie dachten, noch genug erübrigte.


Grenzboten II 1912 ^
Der N?iesenzcmn

Da wich ihr, als der argwöhnische Gesell den Fremden eingehend schilderte,
das bißchen keimende Röte aus den weißen Wangen und wollte darauf nicht
wiederkehren.

Der Scherlin bemerkte es wohl, doch wagte er nichts darüber zu sagen,
obgleich es ihm das Herz gewaltig zusammenzog. Er ahnte mit dem Instinkt
des Liebenden, es liege seit Anbeginn etwas Scheues, vielleicht Unüberbrück-
liches zwischen ihm und der Felicitas. Doch wollte er sich hüten, daran zu
rühren. Wenigstens vorderhand. Sein Schicksal hatte ihn mürbe gemacht, er
wollte mit allem zufrieden sein, auch mit dem Ungewissen.

Doch war Felicitas ihm einmal angetraut, dann wollte er alles beseitigen,
im Guten oder im Bösen, was fremd, geheimnisvoll und unbegreiflich an ihr
war. Dann durfte sie nichts mehr trennen von ihm. Sie sollte werden und
sein wie er, nicht höher und nicht geringer.


9.

Es mochten anderthalb Jahre seither vergangen sein, da zog in einer
mondhellen Sommernacht ein wunderlicher Zug bachantisch erregter Leutchen
durch die Straßen der allgewaltigen Hansastadt Antwerpen in den Nieder,
landen. Eine tollverwegene Gesellschaft phantastisch bekränzter Männlein und
Weiblein war es, die bei Gesang und Lautenklang, flackernde Windlichter
schwingend, im Tanz- und Hüpfeschritt dahintrieb und sich gar nicht genug tun
konnte an drolligster Daseins- und Mondnachtfreude.

Antwerpener Malersleute, die es eben unternahmen, dem vielgeliebten und
vergötterten Meister, Herrn Albrecht Dürer, der jetzt allhier zu Gaste weilte,
nach einem köstlichen Festmahl, das sie ihm zu Ehren bereitet hatten, ein fröhlich
Geleit in seine Herberg zum „Jobst Plankfeld" zu geben.

Der Meister schritt voran, getragen vom Jubel der trunk- und tanzerhitzten
Jugend, einen Kranz aus wildem Weinlaub auf den schönen leichtergrauten
Locken. Und hinter ihm geleiteten zwei tolle Malersknaben sein würdig Ehe¬
weib, Frau Agnes Dürerin.

Man hatte sich kecklich zur Rechten und Linken in die sittsam verdutzte
Dame eingehängt und führte nun die Stattliche so leicht und schwebend dahin,
wie sie nie noch in ihrem Leben geschritten war.

Und selbst die treue Magd Susanne, die sich der Meister auf die Reise
w-itgenommen, war keineswegs ohne Unwert geblieben. Man hatte auch ihr
ein laubig Ungetüm zur Zier auf die Haube gedrückt und sagte dem guten, in
Ehren ergrauten Geschöpf manch neckisch vertrauliches Wörtlein ins Ohr, worüber
es fast ein wenig aus seinem dummen Gleichgewicht kam.

Der Rat zu Antwerpen hatte dem Meister im Laufe des Mahles vier
riesenhafte Krüge edelsten Weines gesandt, desgleichen der städtische Zinnner-
w-ann, Herr Meister Peter, zwei weitere Krüge aus besonderer Verehrung. Die
schleppte nun das lustige Malvolk im Zuge mit sich und füllte verstohlen manch
Becherlein daraus, wobei dem Meister, wie sie dachten, noch genug erübrigte.


Grenzboten II 1912 ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321484"/>
            <fw type="header" place="top"> Der N?iesenzcmn</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1698"> Da wich ihr, als der argwöhnische Gesell den Fremden eingehend schilderte,<lb/>
das bißchen keimende Röte aus den weißen Wangen und wollte darauf nicht<lb/>
wiederkehren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1699"> Der Scherlin bemerkte es wohl, doch wagte er nichts darüber zu sagen,<lb/>
obgleich es ihm das Herz gewaltig zusammenzog. Er ahnte mit dem Instinkt<lb/>
des Liebenden, es liege seit Anbeginn etwas Scheues, vielleicht Unüberbrück-<lb/>
liches zwischen ihm und der Felicitas. Doch wollte er sich hüten, daran zu<lb/>
rühren. Wenigstens vorderhand. Sein Schicksal hatte ihn mürbe gemacht, er<lb/>
wollte mit allem zufrieden sein, auch mit dem Ungewissen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1700"> Doch war Felicitas ihm einmal angetraut, dann wollte er alles beseitigen,<lb/>
im Guten oder im Bösen, was fremd, geheimnisvoll und unbegreiflich an ihr<lb/>
war. Dann durfte sie nichts mehr trennen von ihm. Sie sollte werden und<lb/>
sein wie er, nicht höher und nicht geringer.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 9.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1701"> Es mochten anderthalb Jahre seither vergangen sein, da zog in einer<lb/>
mondhellen Sommernacht ein wunderlicher Zug bachantisch erregter Leutchen<lb/>
durch die Straßen der allgewaltigen Hansastadt Antwerpen in den Nieder,<lb/>
landen. Eine tollverwegene Gesellschaft phantastisch bekränzter Männlein und<lb/>
Weiblein war es, die bei Gesang und Lautenklang, flackernde Windlichter<lb/>
schwingend, im Tanz- und Hüpfeschritt dahintrieb und sich gar nicht genug tun<lb/>
konnte an drolligster Daseins- und Mondnachtfreude.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1702"> Antwerpener Malersleute, die es eben unternahmen, dem vielgeliebten und<lb/>
vergötterten Meister, Herrn Albrecht Dürer, der jetzt allhier zu Gaste weilte,<lb/>
nach einem köstlichen Festmahl, das sie ihm zu Ehren bereitet hatten, ein fröhlich<lb/>
Geleit in seine Herberg zum &#x201E;Jobst Plankfeld" zu geben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1703"> Der Meister schritt voran, getragen vom Jubel der trunk- und tanzerhitzten<lb/>
Jugend, einen Kranz aus wildem Weinlaub auf den schönen leichtergrauten<lb/>
Locken. Und hinter ihm geleiteten zwei tolle Malersknaben sein würdig Ehe¬<lb/>
weib, Frau Agnes Dürerin.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1704"> Man hatte sich kecklich zur Rechten und Linken in die sittsam verdutzte<lb/>
Dame eingehängt und führte nun die Stattliche so leicht und schwebend dahin,<lb/>
wie sie nie noch in ihrem Leben geschritten war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1705"> Und selbst die treue Magd Susanne, die sich der Meister auf die Reise<lb/>
w-itgenommen, war keineswegs ohne Unwert geblieben. Man hatte auch ihr<lb/>
ein laubig Ungetüm zur Zier auf die Haube gedrückt und sagte dem guten, in<lb/>
Ehren ergrauten Geschöpf manch neckisch vertrauliches Wörtlein ins Ohr, worüber<lb/>
es fast ein wenig aus seinem dummen Gleichgewicht kam.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1706"> Der Rat zu Antwerpen hatte dem Meister im Laufe des Mahles vier<lb/>
riesenhafte Krüge edelsten Weines gesandt, desgleichen der städtische Zinnner-<lb/>
w-ann, Herr Meister Peter, zwei weitere Krüge aus besonderer Verehrung. Die<lb/>
schleppte nun das lustige Malvolk im Zuge mit sich und füllte verstohlen manch<lb/>
Becherlein daraus, wobei dem Meister, wie sie dachten, noch genug erübrigte.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1912 ^</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0401] Der N?iesenzcmn Da wich ihr, als der argwöhnische Gesell den Fremden eingehend schilderte, das bißchen keimende Röte aus den weißen Wangen und wollte darauf nicht wiederkehren. Der Scherlin bemerkte es wohl, doch wagte er nichts darüber zu sagen, obgleich es ihm das Herz gewaltig zusammenzog. Er ahnte mit dem Instinkt des Liebenden, es liege seit Anbeginn etwas Scheues, vielleicht Unüberbrück- liches zwischen ihm und der Felicitas. Doch wollte er sich hüten, daran zu rühren. Wenigstens vorderhand. Sein Schicksal hatte ihn mürbe gemacht, er wollte mit allem zufrieden sein, auch mit dem Ungewissen. Doch war Felicitas ihm einmal angetraut, dann wollte er alles beseitigen, im Guten oder im Bösen, was fremd, geheimnisvoll und unbegreiflich an ihr war. Dann durfte sie nichts mehr trennen von ihm. Sie sollte werden und sein wie er, nicht höher und nicht geringer. 9. Es mochten anderthalb Jahre seither vergangen sein, da zog in einer mondhellen Sommernacht ein wunderlicher Zug bachantisch erregter Leutchen durch die Straßen der allgewaltigen Hansastadt Antwerpen in den Nieder, landen. Eine tollverwegene Gesellschaft phantastisch bekränzter Männlein und Weiblein war es, die bei Gesang und Lautenklang, flackernde Windlichter schwingend, im Tanz- und Hüpfeschritt dahintrieb und sich gar nicht genug tun konnte an drolligster Daseins- und Mondnachtfreude. Antwerpener Malersleute, die es eben unternahmen, dem vielgeliebten und vergötterten Meister, Herrn Albrecht Dürer, der jetzt allhier zu Gaste weilte, nach einem köstlichen Festmahl, das sie ihm zu Ehren bereitet hatten, ein fröhlich Geleit in seine Herberg zum „Jobst Plankfeld" zu geben. Der Meister schritt voran, getragen vom Jubel der trunk- und tanzerhitzten Jugend, einen Kranz aus wildem Weinlaub auf den schönen leichtergrauten Locken. Und hinter ihm geleiteten zwei tolle Malersknaben sein würdig Ehe¬ weib, Frau Agnes Dürerin. Man hatte sich kecklich zur Rechten und Linken in die sittsam verdutzte Dame eingehängt und führte nun die Stattliche so leicht und schwebend dahin, wie sie nie noch in ihrem Leben geschritten war. Und selbst die treue Magd Susanne, die sich der Meister auf die Reise w-itgenommen, war keineswegs ohne Unwert geblieben. Man hatte auch ihr ein laubig Ungetüm zur Zier auf die Haube gedrückt und sagte dem guten, in Ehren ergrauten Geschöpf manch neckisch vertrauliches Wörtlein ins Ohr, worüber es fast ein wenig aus seinem dummen Gleichgewicht kam. Der Rat zu Antwerpen hatte dem Meister im Laufe des Mahles vier riesenhafte Krüge edelsten Weines gesandt, desgleichen der städtische Zinnner- w-ann, Herr Meister Peter, zwei weitere Krüge aus besonderer Verehrung. Die schleppte nun das lustige Malvolk im Zuge mit sich und füllte verstohlen manch Becherlein daraus, wobei dem Meister, wie sie dachten, noch genug erübrigte. Grenzboten II 1912 ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/401
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/401>, abgerufen am 26.05.2024.