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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Das dritte allerwichtigste in dem Buche ist
Wolfs Zukunftsperspektive, welche die opti¬
mistischen Fortschrittsenthusiasten mit ganzen
Strömen kalten Wassers übergießt. Er zeigt,
daß wir mit dem technischen wie mit dem
wirtschaftlichen Fortschritt nahe an den Grenzen
angelangt sind, die von der Beschaffenheit
unseres Planeten gezogen werden, der nun
einmal zu klein ist für eine unbegrenzte Ver¬
mehrung des Menschengeschlechts, und daß
uns eben der reißend schnelle Fortschritt der
letzten anderthalb Jahrhunderte den weiteren
Fortschritt in gleichem Tempo verbaut hat,
Hunderte von packenden Beispielen führt er
an zum Beweise dafür. Um von ihnen nur
eins zu nennen: der Zentner Zucker kostete
zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
60 Mark, vor kurzem nach Magdeburger
Notierung 8V2 Mark; um weitere 41V2 Mark
kann er also nicht mehr abschlagen, selbst wenn
er ganz umsonst geliefert wird. Alle Phan¬
tastischen Träume von unendlicher Vermehrung
der Nahrungsmittel, von Ersatz der zu Ende
gehenden Kohle, von weiterer Erleichterung
und Beschleunigung des Verkehrs werden teils
als technische, teils als ökonomische Unmög¬
lichkeiten nachgewiesen; wo etwa die Technik
noch weiter kaun, gebietet die Ökonomie Halt,
indem bei der Anwendung der neuen Technik
die Kosten den Ertrag übersteigen. (Das ist
z, B. bei weiterer Steigerung der Kunstdüngung
der Fall; hier tritt die kaufmännische Auf¬
fassung wieder als berechtigt hervor, abgesehen
davon, daß der Nutzen mit jeder Steigerung
kleiner wird und bei einem bestimmten Grade
in Schaden umschlägt.) Von den Aussichten,
die der optimistische Chemiker Ostwald er¬
öffnet, wird nur eine als haltbar anerkannt:
die auf bessere Ausnützung des Wärmegehalts
der Kohle. Wolf hebt ausdrücklich hervor,
daß die Ergebnisse dieser Untersuchung, die
anzunehmen uns Tatsachen zwingen, seiner
eigenen Natur, die jn, wie sein erstes bedeu¬
tendes Werk beweise, durchaus optimistisch
angelegt sei, nicht weniger unangenehm seien
als irgend einem anderen Menschen. Aber
diesen fatalen Tatsachen unerschrocken ins
Antlitz zu sehen, gebieten Vernunft und Pflicht,
denn nur wenn wir sie anerkennen, werden
wir mit deur Energievorrat unserer Erde
(dessen Geringfügigkeit auch Ludwig Brinkmann

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im zweiten Bande des Jahrgangs 1911 der
Neuen Rundschau S. 1666 ff. nachweist) richtig
haushalten. Daß die Dämpfung des fröh¬
lichen Enthusiasmus den Fortschritt hemmen
werde, ist nicht zu befürchten: fortzuschreiten
bis an die Grenzen der Möglichkeit, dazu
zwingen uns die Nöte des Lebens.

Lari Jentsch
Justiz und Verwaltung

Eine Lücke in unsrer Gesetzgebung. In
der Verfassung des Deutschen Reiches vom
16. April 1871 bestimmt Artikel 67: "jeder
Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in
Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen."
Von dieser Wehrpflicht sind bis jetzt nur aus¬
genommen die bor dem 11. August 1890 ge¬
borenen Helgoländer. Außerdem bestimmt
der H 31 des deutschen Strafgesetzbuches:
"die Verurteilung zur Zuchthausstrafe hat die
dauernde Unfähigkeit zum Dienste in dem
deutschen Heere und der Kaiserlichen Marine,
sowie die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung
öffentlicher Ämter zur Folge." Jn ß 34 des¬
selben Gesetzbuches heißt es: "die Aberkennung
der bürgerlichen Ehrenrechte bewirkt ferner
die Unfähigkeit, während der im Urteile be¬
stimmten Zeit, 1. die Landeskokarde zu tragen,
2. in das deutsche Heer oder die Kaiserliche
Marine einzutreten." Zwischen diesen Ge¬
setzen klafft eine Lücke. Die Reichsverfassung
bezeichnet es als eine Pflicht jedes Deutschen,
eine gesetzlich bestimmte Zeit die körperliche
Steuer des Heeresdienstes zu leisten. Da
diese Pflicht aber zugleich auch als die Ehre
aufgefaßt wird, des Königs Rock tragen zu
dürfen, so soll ehrlose Gesinnung, die Zucht¬
hausstrafe zur Folge hat, konsequenter Weise
von der Ehre des militärischen Dienstes aus¬
schließen. Wer Ehrverlust in Verbindung mit
Gefängnisstrafen erlitten hat, soll für diese Zeit
auch ausgeschlossen sein, da das Vaterland
sich seiner schämt und ihn deshalb nicht der
Ehre würdigt, seine Kokarde zu tragen. Wem
der Ehrverlust zuteil wird, nachdem er schon
Soldat geworden ist, der wird zwar nicht
unbedingt aus dem Heere ausgestoßen, aber die
Kokarde wird ihm genommen, damit er durch
denMangelderselben seinen übrigenKameraden
gegenüber gewissermaßen als warnendes und
abschreckendes Beispiel hingestellt wird.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Das dritte allerwichtigste in dem Buche ist
Wolfs Zukunftsperspektive, welche die opti¬
mistischen Fortschrittsenthusiasten mit ganzen
Strömen kalten Wassers übergießt. Er zeigt,
daß wir mit dem technischen wie mit dem
wirtschaftlichen Fortschritt nahe an den Grenzen
angelangt sind, die von der Beschaffenheit
unseres Planeten gezogen werden, der nun
einmal zu klein ist für eine unbegrenzte Ver¬
mehrung des Menschengeschlechts, und daß
uns eben der reißend schnelle Fortschritt der
letzten anderthalb Jahrhunderte den weiteren
Fortschritt in gleichem Tempo verbaut hat,
Hunderte von packenden Beispielen führt er
an zum Beweise dafür. Um von ihnen nur
eins zu nennen: der Zentner Zucker kostete
zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
60 Mark, vor kurzem nach Magdeburger
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kann er also nicht mehr abschlagen, selbst wenn
er ganz umsonst geliefert wird. Alle Phan¬
tastischen Träume von unendlicher Vermehrung
der Nahrungsmittel, von Ersatz der zu Ende
gehenden Kohle, von weiterer Erleichterung
und Beschleunigung des Verkehrs werden teils
als technische, teils als ökonomische Unmög¬
lichkeiten nachgewiesen; wo etwa die Technik
noch weiter kaun, gebietet die Ökonomie Halt,
indem bei der Anwendung der neuen Technik
die Kosten den Ertrag übersteigen. (Das ist
z, B. bei weiterer Steigerung der Kunstdüngung
der Fall; hier tritt die kaufmännische Auf¬
fassung wieder als berechtigt hervor, abgesehen
davon, daß der Nutzen mit jeder Steigerung
kleiner wird und bei einem bestimmten Grade
in Schaden umschlägt.) Von den Aussichten,
die der optimistische Chemiker Ostwald er¬
öffnet, wird nur eine als haltbar anerkannt:
die auf bessere Ausnützung des Wärmegehalts
der Kohle. Wolf hebt ausdrücklich hervor,
daß die Ergebnisse dieser Untersuchung, die
anzunehmen uns Tatsachen zwingen, seiner
eigenen Natur, die jn, wie sein erstes bedeu¬
tendes Werk beweise, durchaus optimistisch
angelegt sei, nicht weniger unangenehm seien
als irgend einem anderen Menschen. Aber
diesen fatalen Tatsachen unerschrocken ins
Antlitz zu sehen, gebieten Vernunft und Pflicht,
denn nur wenn wir sie anerkennen, werden
wir mit deur Energievorrat unserer Erde
(dessen Geringfügigkeit auch Ludwig Brinkmann

[Spaltenumbruch]

im zweiten Bande des Jahrgangs 1911 der
Neuen Rundschau S. 1666 ff. nachweist) richtig
haushalten. Daß die Dämpfung des fröh¬
lichen Enthusiasmus den Fortschritt hemmen
werde, ist nicht zu befürchten: fortzuschreiten
bis an die Grenzen der Möglichkeit, dazu
zwingen uns die Nöte des Lebens.

Lari Jentsch
Justiz und Verwaltung

Eine Lücke in unsrer Gesetzgebung. In
der Verfassung des Deutschen Reiches vom
16. April 1871 bestimmt Artikel 67: „jeder
Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in
Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen."
Von dieser Wehrpflicht sind bis jetzt nur aus¬
genommen die bor dem 11. August 1890 ge¬
borenen Helgoländer. Außerdem bestimmt
der H 31 des deutschen Strafgesetzbuches:
„die Verurteilung zur Zuchthausstrafe hat die
dauernde Unfähigkeit zum Dienste in dem
deutschen Heere und der Kaiserlichen Marine,
sowie die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung
öffentlicher Ämter zur Folge." Jn ß 34 des¬
selben Gesetzbuches heißt es: „die Aberkennung
der bürgerlichen Ehrenrechte bewirkt ferner
die Unfähigkeit, während der im Urteile be¬
stimmten Zeit, 1. die Landeskokarde zu tragen,
2. in das deutsche Heer oder die Kaiserliche
Marine einzutreten." Zwischen diesen Ge¬
setzen klafft eine Lücke. Die Reichsverfassung
bezeichnet es als eine Pflicht jedes Deutschen,
eine gesetzlich bestimmte Zeit die körperliche
Steuer des Heeresdienstes zu leisten. Da
diese Pflicht aber zugleich auch als die Ehre
aufgefaßt wird, des Königs Rock tragen zu
dürfen, so soll ehrlose Gesinnung, die Zucht¬
hausstrafe zur Folge hat, konsequenter Weise
von der Ehre des militärischen Dienstes aus¬
schließen. Wer Ehrverlust in Verbindung mit
Gefängnisstrafen erlitten hat, soll für diese Zeit
auch ausgeschlossen sein, da das Vaterland
sich seiner schämt und ihn deshalb nicht der
Ehre würdigt, seine Kokarde zu tragen. Wem
der Ehrverlust zuteil wird, nachdem er schon
Soldat geworden ist, der wird zwar nicht
unbedingt aus dem Heere ausgestoßen, aber die
Kokarde wird ihm genommen, damit er durch
denMangelderselben seinen übrigenKameraden
gegenüber gewissermaßen als warnendes und
abschreckendes Beispiel hingestellt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/457>, abgerufen am 26.05.2024.