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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Strömungen innerhalb der Zentrumspartei

Partikularismus." Und er hat geschlossen: "Eine künftige Allianz wird mit
England nicht ein Deutschland verbinden, wie es gegenwärtig (1846) ist, sondern
Deutschland, wie es sein sollte und wie es mit Hilfe Englands werden könnte."

Marschall von Biberstein geht von Konstanttnopel nach London. Wenn
nicht alle Zeichen trügen, beginnt wieder eine Listsche Prophetie sich zu erfüllen.




Strömungen innerhalb der Zentrumspartei
Von Dr. Arueckemeyer

>er ganze Streit innerhalb der Zentrumspartei beruht im letzten
Grunde auf der zueinander in Gegensatz gebrachten mehr oder
minder einseitig schroff hervorgehobenen Betonung der Begriffe
"politisch" und "konfessionell" (katholisch).

Das Zentrum will nach seinem Programm und den partei¬
amtlichen Kundgebungen eine politische, nichtkonfessionelle Partei sein, die auf dem
Boden der Verfassung steht. Daran ändert nichts, daß die Verhältnisse, unter denen
seine Gründung sich vollzog, und die weitere Entwicklung es tatsächlich zur politischen
Organisation der deutschen Katholiken gemacht haben, der sich nur wenige Nicht-
katholiken angeschlossen haben. So hat das katholisch-religiöse Moment von
Anfang an im Parteileben eine starke Betonung erfahren, was vielfach in anderen
Parteikreisen zu der Auffassung führte, daß die Zentrumspartei eine vom
Papste abhängige, sogenannte "ultramontane" Partei sei. Es ist nicht die
Aufgabe der nachfolgenden Zeilen, gegen dies Vorurteil anzukämpfen, vielmehr
soll dargelegt werden, wie man auf der einen Seite im Zentrum sich bemühte,
den politischen, nichtkonfessionellen Charakter der Partei immer schärfer heraus¬
zuarbeiten, wie aber die Art und Weise, in der das mitunter geschah, in manchen
katholischen Kreisen Bedenken auflöste, die dann zu einer stärkeren, selbst über¬
mäßigen Betonung des katholisch-religiösen Moments im Parteileben führten.

Einen praktischen Ausdruck fand die stärkere Betonung des politischen
Moments in der Stellung zu den sogenannten interkonfessionellen Organisationen,
speziell zu den christlichen Gewerkschaften, sowie in der Umwandlung konfessioneller
Organisationen in nichtkonfessionelle, wie der Windthorstbunde; ferner in dem
Bestreben, die im Verbände katholischer Kaufleute organisierte Gehilfenschaft dem
gewerkschaftlich organisierten interkonfessionellen Verbände deutscher Handlungs¬
gehilfen zuzuführen, und in so manchem anderen. Das Schlagwort für alle
diese auf eine engere Arbeitsgemeinschaft der Katholiken mit den Nichtkatholiken


Strömungen innerhalb der Zentrumspartei

Partikularismus." Und er hat geschlossen: „Eine künftige Allianz wird mit
England nicht ein Deutschland verbinden, wie es gegenwärtig (1846) ist, sondern
Deutschland, wie es sein sollte und wie es mit Hilfe Englands werden könnte."

Marschall von Biberstein geht von Konstanttnopel nach London. Wenn
nicht alle Zeichen trügen, beginnt wieder eine Listsche Prophetie sich zu erfüllen.




Strömungen innerhalb der Zentrumspartei
Von Dr. Arueckemeyer

>er ganze Streit innerhalb der Zentrumspartei beruht im letzten
Grunde auf der zueinander in Gegensatz gebrachten mehr oder
minder einseitig schroff hervorgehobenen Betonung der Begriffe
„politisch" und „konfessionell" (katholisch).

Das Zentrum will nach seinem Programm und den partei¬
amtlichen Kundgebungen eine politische, nichtkonfessionelle Partei sein, die auf dem
Boden der Verfassung steht. Daran ändert nichts, daß die Verhältnisse, unter denen
seine Gründung sich vollzog, und die weitere Entwicklung es tatsächlich zur politischen
Organisation der deutschen Katholiken gemacht haben, der sich nur wenige Nicht-
katholiken angeschlossen haben. So hat das katholisch-religiöse Moment von
Anfang an im Parteileben eine starke Betonung erfahren, was vielfach in anderen
Parteikreisen zu der Auffassung führte, daß die Zentrumspartei eine vom
Papste abhängige, sogenannte „ultramontane" Partei sei. Es ist nicht die
Aufgabe der nachfolgenden Zeilen, gegen dies Vorurteil anzukämpfen, vielmehr
soll dargelegt werden, wie man auf der einen Seite im Zentrum sich bemühte,
den politischen, nichtkonfessionellen Charakter der Partei immer schärfer heraus¬
zuarbeiten, wie aber die Art und Weise, in der das mitunter geschah, in manchen
katholischen Kreisen Bedenken auflöste, die dann zu einer stärkeren, selbst über¬
mäßigen Betonung des katholisch-religiösen Moments im Parteileben führten.

Einen praktischen Ausdruck fand die stärkere Betonung des politischen
Moments in der Stellung zu den sogenannten interkonfessionellen Organisationen,
speziell zu den christlichen Gewerkschaften, sowie in der Umwandlung konfessioneller
Organisationen in nichtkonfessionelle, wie der Windthorstbunde; ferner in dem
Bestreben, die im Verbände katholischer Kaufleute organisierte Gehilfenschaft dem
gewerkschaftlich organisierten interkonfessionellen Verbände deutscher Handlungs¬
gehilfen zuzuführen, und in so manchem anderen. Das Schlagwort für alle
diese auf eine engere Arbeitsgemeinschaft der Katholiken mit den Nichtkatholiken


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[0524] Strömungen innerhalb der Zentrumspartei Partikularismus." Und er hat geschlossen: „Eine künftige Allianz wird mit England nicht ein Deutschland verbinden, wie es gegenwärtig (1846) ist, sondern Deutschland, wie es sein sollte und wie es mit Hilfe Englands werden könnte." Marschall von Biberstein geht von Konstanttnopel nach London. Wenn nicht alle Zeichen trügen, beginnt wieder eine Listsche Prophetie sich zu erfüllen. Strömungen innerhalb der Zentrumspartei Von Dr. Arueckemeyer >er ganze Streit innerhalb der Zentrumspartei beruht im letzten Grunde auf der zueinander in Gegensatz gebrachten mehr oder minder einseitig schroff hervorgehobenen Betonung der Begriffe „politisch" und „konfessionell" (katholisch). Das Zentrum will nach seinem Programm und den partei¬ amtlichen Kundgebungen eine politische, nichtkonfessionelle Partei sein, die auf dem Boden der Verfassung steht. Daran ändert nichts, daß die Verhältnisse, unter denen seine Gründung sich vollzog, und die weitere Entwicklung es tatsächlich zur politischen Organisation der deutschen Katholiken gemacht haben, der sich nur wenige Nicht- katholiken angeschlossen haben. So hat das katholisch-religiöse Moment von Anfang an im Parteileben eine starke Betonung erfahren, was vielfach in anderen Parteikreisen zu der Auffassung führte, daß die Zentrumspartei eine vom Papste abhängige, sogenannte „ultramontane" Partei sei. Es ist nicht die Aufgabe der nachfolgenden Zeilen, gegen dies Vorurteil anzukämpfen, vielmehr soll dargelegt werden, wie man auf der einen Seite im Zentrum sich bemühte, den politischen, nichtkonfessionellen Charakter der Partei immer schärfer heraus¬ zuarbeiten, wie aber die Art und Weise, in der das mitunter geschah, in manchen katholischen Kreisen Bedenken auflöste, die dann zu einer stärkeren, selbst über¬ mäßigen Betonung des katholisch-religiösen Moments im Parteileben führten. Einen praktischen Ausdruck fand die stärkere Betonung des politischen Moments in der Stellung zu den sogenannten interkonfessionellen Organisationen, speziell zu den christlichen Gewerkschaften, sowie in der Umwandlung konfessioneller Organisationen in nichtkonfessionelle, wie der Windthorstbunde; ferner in dem Bestreben, die im Verbände katholischer Kaufleute organisierte Gehilfenschaft dem gewerkschaftlich organisierten interkonfessionellen Verbände deutscher Handlungs¬ gehilfen zuzuführen, und in so manchem anderen. Das Schlagwort für alle diese auf eine engere Arbeitsgemeinschaft der Katholiken mit den Nichtkatholiken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/524>, abgerufen am 26.05.2024.